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Angreiferin. Mutter (Katja Hiller) will Kind aufs Gymnasium boxen. Foto: Bresadola/drama

© Bresadola/drama-berlin.de

Neue Produktion am Grips: Was Eltern schafft

„Frau Müller muss weg“: Sönke Wortmann und Lutz Hübner laden zu einem fulminanten Schulbesuch ins Grips-Theater.

Irgendwo hört der Spaß ja immer auf, aber wenn es um das Wohl der Kinder geht, fängt er im Zweifelsfall gar nicht erst an. Besonders ernst wird es, wenn sich dieses Wohl in Noten messen lässt. Da wollen alle nur das Beste für die Kleinen, und das geht selten gut aus. Wir wissen: Nicht nur im Krieg, auch im Klassenzimmer ist der Firnis der Zivilisation sehr dünn.

In Lutz Hübners Stück „Frau Müller muss weg“ hat sich eine Gruppe von Eltern versammelt, denen die Nerven blank liegen. Die Kinder gehen in die letzte Grundschulklasse, das nächste Zeugnis wird über die gesamte Zukunft richten: Gymnasium oder Gosse, dazwischen gibt es nichts. Ausgerechnet in dieser überlebenswichtigen Phase sind die Noten der Schüler abgesackt, scheint das Klassenklima vergiftet. Schuld trägt, ganz klar, die Lehrerin, Frau Müller. Nach allem, was die Kinder zu Hause erzählen, hat die Pädagogin weder die Schützlinge noch sich selbst im Griff – erleidet Tränenausbrüche vor der Tafel und geht sogar in Therapie. Weswegen die wackeren Erzeuger sie jetzt mit einer Unterschriftenliste bewaffnet vors Elterntribunal am Pult geladen haben. Meuterei im Klassenzimmer, die Frau muss fliegen!

Am Grips-Theater hat Sönke Wortmann diesen komödiantisch zugespitzten Kampf gegen die Zensur inszeniert. Dass Grips-Leiter Stefan Fischer-Fels den Filmemacher für den Abendspielplan gewonnen hat, darf schon als kleiner Coup gelten, schließlich liegen Wortmanns letzte Theaterarbeiten – unter anderem Woody Allens „Bullets over Broadway“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – über zehn Jahre zurück. Der breiten Masse ist er ja vor allem als Regisseur der höchst erfolgreichen Fußballhymnen „Das Wunder von Bern“ und „Deutschland, ein Sommermärchen“ präsent. Wobei es vom Fußball zur Bildung kein so weiter Schritt ist. Auf beiden Feldern glaubt schließlich jeder, Experte zu sein.

Wortmann lässt das Stück im naturalistischen Klassenraum spielen (Ausstattung: Thurid Peine), in dessen Mitte unterm Zweigmobile ein mit bunten Blättern und Kastanienmännchen vollgestopfter Glaskasten thront: das Herbstprojekt der Kinder. Und zugleich das Sinnbild des nahenden Frostes. Es ist eine Schule irgendwo im Osten Berlins, Köpenick wird mal erwähnt, da hat die Grips-Dramaturgie der Text leicht gegenüber der Dresdner Uraufführung von 2010 verändert. Aber die Probleme, um die es hier geht, kennen ohnehin keinen festen Wohnsitz.

Als Wortführerin der Frustrierten setzt sich Jessica Höfel in Szene (Katja Hiller), Typ taffe Verwaltungsbeamtin, die ihre nach Selbsteinschätzung nicht sonderlich helle Tochter irgendwie bis zur Gymnasialempfehlung durchboxen will. Von der höheren Schule hängt auch für den arbeitslosen Wolf (René Schubert) alles ab, der seine Janine mit vollem Freizeitprogramm von der Matheolympiade bis zur Kinderuni tyrannisiert und in einem schwachen Moment gesteht, er habe mehr Angst vor dem kommenden Zeugnis als seine Tochter. Das Paar Marina und Patrick Jeskow (Alessa Kordeck und Roland Wolf), von Köln in den fernen Osten strafversetzt, bangt dagegen in erster Linie um das Seelenheil ihres Sohnes, der keinen Anschluss in der Klasse findet und sogar als „Wessiarsch“ gemobbt worden sein soll. Einzig die Museumspädagogin Katja Grabowski (Nina Reithmeier), Mutter des Einserkandidaten Fritz, müsste sich eigentlich keine Sorgen machen, ist aber aus Solidarität mit zum Richtfest über Frau Müller erschienen.

Es braucht dann nur einen Auftritt der prinzipienfesten Pädagogin (Regine Seidler), um erstens ein paar Gerüchte so mühelos wegzuwischen wie die letzte Hausaufgabe von der Tafel. Und um zweitens die gegen sie verschworene Gemeinschaft in einen Haufen heillos zerstrittener Einzelkämpfer zu verwandeln. Jeder stichelt gegen jeden: Ost gegen West, Ehemann gegen Ehefrau. Vereint ist die Elternbaggage bald nur noch in ihrem bedingungslosen Opportunismus.

Es ist ein schlau gebautes Stück. Und Sönke Wortmann inszeniert es klasse. Ohne sich als Regisseur übermäßig sichtbar zu machen, und ohne den Grundernst des Themas zu überspielen, legt er einen schnörkellos spannenden und immer wieder sprühend amüsanten Elternabend in 80 Minuten hin. Mit einem Grips-Ensemble, das man lange nicht so gut gesehen hat. Die von Hübner nur leicht überzeichneten Typen sind erkennbar der Realität abgeschaut – entsprechend lustvoll-nuanciert legen die Spieler ihre Figuren an. Wer je einen Elternabend besucht hat, wird vom Schauder des Wiedererkennens ergriffen. Aber das ist keine Bedingung, um seine Freude an diesem göttlichen Gemetzel im Klassenzimmer zu haben.

Wortmann diffamiert keine der Figuren. Und beide behaupten auch nicht, auf dem hoffnungslos hysterisierten Bildungsfeld Orientierung geben zu können, Rezepte gegen den wachsenden Leistungsdruck zu kennen. Hübner ist allerdings auch Verfasser eines schönen Essays zum Thema. „Entschleunigung“, schreibt er da, „wäre das richtige Konzept, um der nächsten Generation das Rüstzeug zu vermitteln, im globalen Turbokapitalismus die Nerven zu behalten.“ Entspannte Eltern. Mit dieser Utopie könnte der Spaß beginnen. Auch in der Schule.

Wieder am 7. sowie am 24. und 25.2.

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