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Kultur: Neue Räume für die bedrohte Aufklärung

Eine Debatte in der Akademie der Künste.

Von Caroline Fetscher

Es kann nicht, es darf nicht sein, dass zunehmend „bürokratisch fundierte Alternativlosigkeit“ das Denken und Handeln der Gegenwart unserer Gesellschaft bestimmt. Es muss, es sollte möglich bleiben, Alternativen zu entwerfen, realistische Utopien. So dachten vier Intellektuelle und handelten – sich zunächst einmal eine Debatte ein, zu der sie eingeladen hatten. Die vier sind der Sozialphilosoph Oskar Negt, Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste (AdK), Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler und Johannes Odenthal, Programmdirektor der AdK.

Gekommen waren zum informellen Diskutieren am vergangenen Freitag und Samstag am Pariser Platz 50 Intellektuelle und Kulturarbeiter, um sich den Bedingungen der Möglichkeit für einen neuen „Denk- und Handlungsraum Aufklärung“ zu widmen. Einleitend fragte Axel Honneth danach, warum aus der Summe der einzelnen Intellektuellen keine konsensuale Basis mehr für kulturelle Hegemonialansprüche zu entstehen scheint. Hatte das Konzept der „Nation“, das sich in einer Auslaufphase befindet, einmal den Rahmen dafür geliefert, gelte es nun, ein aktuelleres Konzept für eine Hintergrundkultur zu erkennen, die erneuter Aufklärung den Rahmen bietet.

Während Kant vom Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit sprach, ließe sich im Europa der Krise, da waren sich zahlreiche der Debattanten einig, von einer neuen Unmündigkeit, einer grassierenden Gegenaufklärung sprechen. Dominant geworden ist ein Begriffskosmos, in dem Sachzwänge und neoliberale Pseudoselbstverständlichkeiten als gedankliche Währung zirkulieren. Sogar der Grundrechtskatalog der Verfassung nimmt sich im Vergleich mit dieser neuen Sphäre passagenweise wie eine utopische Anmaßung aus. Verdrängt, vergessen werden soll in dieser gedanklichen Enge, was ein Menschenbild bedeutet, das Subjekte als Grundrechtsträger sieht, als legitime, legitimierte Akteure im Prozess ihrer eigenen Entfaltung und Teilhabe, daran erinnerte mehrfach Oskar Negt.

Zum Diskutieren eingeladen worden waren auch der Soziologe und Erziehungswissenschaftler Klaus Ahlheim, die Soziologin Ute Gerhard, die Politikwissenschaftler Gesine Schwan und Ekkehart Krippendorf und die Philosophin Juliane Rebentisch, deren kritische Reflexionen in problematischen Lagen erheblich zur Begriffsklärung beitrugen. Weitere Teilnehmer waren erfahrene, hoch engagierte Kulturfunktionäre wie Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Mit der enormen Vielfalt der Perspektiven, dem explosiven Kaleidoskop der Fragen, die sich aus ökonomischer und technischer Sicht, aus kulturellem, feministischem, psychologischem, bildungspolitischem, ökologischem, gewerkschaftlichem Blickwinkel ergaben, war kein fixiertes Ziel verbunden, weder eine Resolution noch ein Manifest sollten einen Schlussakkord setzen. Gedacht war vielmehr an einen Anfang.

Bewusst ließen die Veranstalter zu, dass die Diskursebenen wechselten, und forderten von sich wie den Teilnehmern aufmerksame Geduld beim Anhören der anderen. In diesem Konzept konnten sich die Gastgeber bestätigt sehen, angesichts einer lebhaften Debattierfreude, die in rund einem Dutzend Stunden an zwei Tagen nie nachließ. Wie notwendig das Eröffnen neuer Denk- und Handlungsräume ist, machte jede neue Frage deutlich, die auf der Suche nach Konsens auftauchte, eine gefühlte Frage alle vier Minuten. Nicht nur Hausherr Klaus Staeck wünschte, dass der große runde Tisch kritischer Intellektueller den Auftakt zu weiteren Runden darstellt, an denen verstärkt auch die jüngeren Generationen teilnehmen sollen. Ein neuer Aufklärungsschub, das leuchtete allen ein, ist notwendig im Wortsinn. Caroline Fetscher

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