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Neue Räume für die Kunst: Die Hefe dieser Stadt

Im Neuköllner Rollbergviertel wurde lange Bier hergestellt. Dann schloss die Kindl-Brauerei, der Ort verwaiste. Jetzt erschaffen Sammler aus der Schweiz dort einen gewaltigen Kunstraum.

Wie ein gigantisches Gotteshaus erhebt sich der Backsteinbau an der Neuköllner Werbellinstraße, mit Langschiff, Glockenturm und Apsis. Aber kein heiliger Geist wurde hier im Rollbergviertel ausgeschüttet, sondern Bier gebraut, in Kessel-, Maschinen- und Sudhaus. Dennoch bleibt die kolossale Architektur der zwanziger Jahre respekteinflößend wie eine Kathedrale. Die gewaltigen Dimensionen sind der Abfüllanlage und den Maischekesseln geschuldet, die hier brodelten. Doch die Zeiten sind vorbei. 2005 hat Kindl seine Produktionsstätte nach Weißensee verlagert.

Zurück blieb neben dem 50 000 Quadratmeter großen Terrain ein Trumm von Gebäude, auf den die Denkmalpflege ihren Daumen hält. Nicht nur äußerlich achtet sie auf die Fassade, sondern auch im Inneren, wo sechs gewaltige Sudpfannen zurückgelassen wurden, passt sie auf. Einst waren sie die größten ihrer Art in Europa. Aus den Pfannen führen Kupferrohre in die Höhe. Schalttafeln an den Wänden, Steuerräder zum Öffnen und Schließen der Zugänge zeugen davon, dass hier einst komplizierte Gärungsprozesse stattgefunden haben. Heute ruht alles still, bis auf die Tauben, die hereingeflattert sind. Graffiti an den Wänden, ein Flyer auf dem Boden verraten, dass zwischenzeitlich Partys stattgefunden haben. Der morbide Charme, die schiere Größe machten die Brauerei zur coolen Location. Peter Stein zeigte 2007 in der Leerguthalle seinen „Wallenstein“, auch die Modemesse Bread & Butter zeigte sich interessiert.

Nun soll es etwas Großes werden mit der Neuköllner Kindl-Brauerei, die Überraschung ist geglückt. Nachdem ein Investor nach dem anderen in den letzten Jahren abgesprungen war, abgeschreckt von den denkmalpflegerischen Auflagen und der Verpflichtung zur kulturellen Nutzung, kommt die Rettung aus der Schweiz. Das Zürcher Sammlerehepaar Burkhard Varnholt und Salome Grisard – er Bänker, sie Architektin – hat die Immobilie bei einem Berlinbesuch entdeckt, im Spätsommer 2011 unterschrieb es einen Kaufvertrag. Ähnlich wie bei dem Kinderdorf in Uganda, das Varnholt 2004 gründete, versteht sich das Schweizer Paar auch hier als Mäzen ohne marktwirtschaftliche Interessen.

Als Investoren im klassischen Sinne sehen sich die beiden nicht, eher als Ermöglicher der Kunst. Mit ihrer eigenen Kollektion halten sie sich zurück; ein weiteres privates Sammlermuseum soll es nicht geben. Die Programmgestaltung überlassen sie dem Schweizer Kurator Andreas Fiedler, den sie als künstlerischen Direktor gewannen. Inzwischen hat das Großprojekt auch einen Namen: „Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst“. Damit stellt sich die Verbindung zur Tate Modern in London ein: ebenfalls ein Industriedenkmal und Backstein-Kubus mitten in der Stadt, den die Kunst zu neuem Leben erweckt hat. Berlin bekommt seine eigene Turbine Hall, wenn auch in moderateren Maßen als das Londoner Pendant. Immerhin, das Kesselhaus ist 20 mal 20 mal 20 Meter groß und in seinen Dimensionen in Deutschland als Ausstellungsraum außergewöhnlich.

Noch versteckt sich alles hinter Planen, die Fassade wird saniert. Der Innenausbau beginnt erst im Sommer. Die Baupläne für die sechs Millionen Euro teure Umgestaltung hängen rundum an den Wänden des Büros, das temporär im ehemaligen Verwaltungstrakt der Brauerei eingerichtet wurde. Dort, wo einst der Kindl-Buchhalter residierte, mit Blick auf die eintreffenden Bierkutscher, sitzt nun Andreas Fiedler und überlegt, was er ab September 2014 zeigen will – wenn er nicht gerade Besucher herumführt und ihnen im obersten Geschoss die atemberaubende Aussicht auf die Stadt präsentiert.

Über seine Berliner Pläne verrät der 48-jährige Kurator nur so viel, dass er das gewaltige Kesselhaus jedes Jahr einem anderen Künstler überlassen will, Namen nennt er noch nicht. Das Maschinenhaus mit seinen drei Etagen von jeweils gut 400 Quadratmetern wird monografischen und thematischen Ausstellungen gewidmet sein, die zweimal im Jahr wechseln. Alles von internationalem Rang, versteht sich. Zwar kennt man Fiedler als Kurator vornehmlich in der Schweiz, doch arbeitet er vernetzt. So ist Thomas Scheibitz bei seiner nächsten Ausstellung in Solothurn dabei. Den in Berlin lebenden Maler und Bildhauer könnte man sich sofort im Kesselhaus vorstellen, nachdem er es bereits mit dem rauen Charme des Kunstbunkers von Christian Boros in Berlin-Mitte aufgenommen hat.

Für das Sudhaus ist ein Literaturcafé vorgesehen; Kunst wird dort nur punktuell platziert, um nicht mit den spektakulären Sudpfannen zu konkurrieren. Prompt kommt dem Besucher in den Sinn, wie sich Videoarbeiten machen würden, die aus der Tiefe der Kupferbecken nach oben flackern. Die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist empfiehlt sich sogleich. Auch Soundinstallationen würden passen. In dem Turm mit seinem lichten Treppenhaus entstehen neben den künftigen Büros zwei Ateliers.

Nachdem die Galerie Johann König in Kreuzberg die St.-Agnes-Kirche zum Ausstellungsort deklariert hat, der Sammler Axel Haubrok die ehemalige Fahrbereitschaft der DDR in Lichtenberg zum Kunstquartier umwidmen will, folgt mit der Kindl-Brauerei der dritte Streich innerhalb kurzer Zeit. Noch immer und immer wieder bietet Berlin überraschende Orte für Ausstellungen. Die Spuren der Vergangenheit erweisen sich als reizvoll, die Kunst profitiert von dem spannungsreichen Verhältnis zu den alten Gemäuern.

Wie sich die Kunst in die Kindl-Brauerei fügt, wird sich 2014 erweisen. Doch schon in diesem Jahr soll das Gebäude öffnen. Im Juni gastiert das Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“, im September tritt das Ensemble Echtzeitmusik auf. Noch gestaltet sich die Kontaktaufnahme zu den Nachbarn vorsichtig. Das Terrain wird erst sondiert. Die Heag hat als einstige Eigentümerin des Gesamtgeländes parzellenweise verkauft, eine diverse Mischung ist dadurch entstanden. In die einstige Leerguthalle zog ein Supermarkt, ein Dialysezentrum wurde daneben gegründet.

Dort, wo noch die Halle der Gokartbahn steht, will ein dänischer Investor Townhouses hochziehen. In den historischen Verwaltungsgebäuden residieren Agenturen, Textbüros und das Genderkompetenzzentrum. Sogar einen Bierbrauer gibt es wieder, der im Keller des Sudhauses wirkt und den Geruch von Hopfen, Malz, Maische wieder durch das Gelände wabern lässt. Der Biergarten, den das Kindl-Kunstzentrum ebenfalls betreiben will, passt dazu.

Mit großer Spannung wird die Reaktion der internationalen Kunstwelt erwartet. Aber ebenso wichtig ist die Frage, wie die Neuköllner Nachbarschaft auf das Projekt reagiert. Längst hat die Szene den Bezirk entdeckt, Galerien sprießen, Künstler verlegen ihre Ateliers hierher. In der Nähe hat das Künstlerduo Elmgreen und Dragset ein altes Industriegebäude eindrucksvoll zum Show- und Arbeitsraum umgebaut. Das Wort von der Gentrifizierung macht die Runde, das Kindl-Kunstzentrum dürfte schnell unter Verdacht geraten.

Diese Gefahr hat auch Bettina Busse erkannt, die kommissarische Leiterin des Fachbereichs Kultur im Neuköllner Rathaus. „Wir müssen sensibel damit umgehen“, warnt sie und empfiehlt den Betreibern, sich als geistigen Sprung immer den Weg vom Backshop im Supermarkt zur Kunst im Kesselhaus vorzustellen. Der Bezirk, froh über den neuen Nutzer, will sich deshalb kulturpädagogisch engagieren. Um diese Herausforderung weiß auch Andreas Fiedler. Er will die Besucher gleich am Eingang des Geländes empfangen. Im kleinen Pförtnerhaus, das gegenwärtig funktionslos an der Werbellinstraße steht, soll eine veränderliche Installation untergebracht werden, die übers Jahr wächst und wuchert. Eigentlich müsste dort die Bierblume gedeihen.

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