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Familiärer Konsens. Emma Scholl (l.) und ihre Mutter Carolyn waren beim Women’s March in Sacramento dabei.

© imago/ZUMA Press

Neuer Feminismus in den USA: Vereint gegen den Grapscher

„Feminismus ist für alle“: Nach dem Women’s March sieht sich die Frauenbewegung in den USA im Aufwind.

Es scheint, als habe der Wahlsieg Donald Trumps der Frauenbewegung in den USA neue Schlagkraft verliehen. In einer Zeit, in der Bilder oft mehr Macht als Worte besitzen, wird das Meer von rosafarbenen „Pussyhats“ auf den Women’s Marches nicht so schnell vergessen werden. Die „Pussy Hats“ sind Strickmützen, die eine selbstbewusste Antwort auf Trumps testosterongeladenes Gerede vom „Pussy Grabbing“ (In-den-Schritt-Fassen) darstellen. War die Frauenbewegung in den USA nicht weniger zersplittert als in Europa, so zeigt sie zumindest seit dem traumatischen amerikanischen Herbst angesichts des gemeinsamen Feindes viel Geschlossenheit.

Auf den großen Protestmärschen vom vergangenen Wochenende, an denen nach Zahlen der University of Connecticut in den USA bis zu 4,2 Millionen Menschen teilnahmen, waren die unterschiedlichsten Frauen zu sehen. Die Women’s Marches blieben keine akademische Angelegenheit, waren keine Frage des Alters, der Generationszugehörigkeit, der Rasse oder sozialen Schicht.

Auch bei den Berliner Protesten war die Schar der Demonstrantinnen und Demonstranten ähnlich heterogen. Man traf Bekannte wieder, die sich seit Jahren – von linksradikalem Kommunendasein in Kreuzberg bis zum bürgerlichen Familienleben in Pankow – in höchst unterschiedlichen Sphären bewegt hatten.

Auffällig war, wie viele Menschen Anliegen anderer Bevölkerungsgruppen vertraten. So hielten weiße und asiatische Frauen „Black lives Matter“-Schilder hoch, Schwarze traten für die Rechte von lateinamerikanischen Einwanderern ein, junge und alte Männer staksten mit Plakaten gegen Frauenfeindlichkeit durch die Menge. Die neue Bewegung schließt Männer explizit mit ein. Einige Schilder auf den Demonstrationen zeigten das Venus-Symbol kombiniert mit Mars-Symbol. Nichts Neues, aber man hatte es länger nicht mehr gesehen. Dem Feminismus wurde oft vorgeworfen, verkniffen und spaßfrei zu sein. Doch viele Slogans waren ebenso kämpferisch wie lustig: „Girl Power versus Trump Tower“ oder „We shall overcomb“ (auf Plakaten mit Trumps eindrucksvoller Haartolle).

Was der Bewegung Schwung verleiht, ist, dass sie keine Selbstghettoisierung in pinken Nischen betreibt. Deshalb ist sie so anschlussfähig. Deshalb traten, wie in Berlin, finnische Umweltschützerinnen auf. Von Alaska über Kenia und Südafrika bis zur Antarktis waren Klimawandelexperten unterwegs. Pazifisten mit Love- And-Peace-Signs wie aus Flower- Power-Zeiten, LGBTQ-Vertreter, um das Gesundheitssystem Besorgte und sogar Patrioten mit „March for America“-Schildern in den Südstaaten waren dabei, da sie Trump als Gefahr für das Land ansehen. „Feminism is for everyone“ stand auf einem Schild in Springfield, Missouri.

Dass der größte Massenprotest in der Geschichte der USA und wohl auch weltweit – in 81 Ländern und auf allen Kontinenten fanden Women’s Marches statt – von Frauen initiiert wurde, könnte eine selbstdynamisierende Wirkung auf die Bewegung haben. Tatsächlich war der 21. Januar ein farbenfroher Befreiungsschlag nach gut zwei Monaten Wahl-Winter-Depression. Und es sieht nicht danach aus, als ob es bei dem einmaligen Fest bleibt: Die Organisatorinnen des Women’s March planen für die ersten 100 Amtstage von Trump alle zehn Tage eine neue Aktion. Die Leute kaufen weiterhin „Nasty- Woman“- und „Pussy-grabs-back“- T-Shirts, werden Mitglied der „Pantsuit- Nation“, einer Facebook-Gruppe, die sich nach Hillary Clintons Lieblingskleidungsstück, dem Hosenanzug, benannt und schon über vier Millionen Anhänger und Anhängerinnen gefunden hat oder gründen Gruppen, die wütende Briefe an Abgeordnete schreiben. Sie setzen sich für ein bezahlbares Gesundheitssystem ein und wehren sich gegen die Kürzung von Geldern für öffentliche Schulen.

Am 15. April, Ostersamstag, sollen wieder massive Protestmärsche stattfinden. Trump soll dann aufgefordert werden, seine Steuererklärung offenzulegen – wenige Tage vor dem tax day, an dem die Steuererklärungen abgegeben werden müssen.

Das öffentliche Gespräch von Madonna und der Bildenden Künstlerin Marylin Minter im Brooklyn Museum war ein Weckruf. So sprach Madonna davon, dass die Wahl Trumps ihr klargemacht habe, wie träge und verwöhnt wir alle angesichts von scheinbar selbstverständlichen Werten wie Freiheit und Bürgerrechten geworden seien. Es bleibt die Frage, warum nicht die erste Kandidatur einer Frau in der Geschichte der USA zur Belebung der Frauenbewegung in den USA geführt hat, sondern der Sieg eines Mannes.

Tatsächlich haben sich, wie nach dem Brexit, viele, vor allem jüngere Amerikaner, geärgert, nicht gewählt zu haben. „Hillary gewinnt doch sowieso“, das war häufig zu hören. Hillary Clinton hat eben keine Massen mobilisiert wie noch Obama und wurde von vielen nur gewählt, um Trump zu verhindern. Und eine knappe Mehrheit der Amerikanerinnen hat für Trump gestimmt. Hillary Clintons Unbeliebtheit wurde mit Sätzen erklärt wie „weil sie nur mächtig sein will, weil sie kein Herz hat“. Der Frau, die in allen drei Wahlkampf-Fernsehduellen, offenbar gut gecoacht, stets ihr Enkelkind erwähnte und sichtbar versuchte, wärmer zu wirken, wurden Eigenschaften zum Verhängnis, die man männlichen Kandidaten nie ankreiden würde: Wille zur Macht, kühler Sachverstand. Eine mächtige Frau stellt man sich in den USA immer noch mehrheitlich als mütterliche Charity-Präsidentengattin vor – auch wenn Michelle Obama schon andere Akzente setzt.

Madonna und Minter waren sich einig, dass Clinton nur deshalb gegen den unqualifiziertesten Kandidaten, der je zu einer Präsidentschaftswahl angetreten ist, unterliegen konnte, weil sie massiv als Frau angegriffen wurde. Jeder, der den Wahlkampf in den USA miterlebt hat, kann dies nur bestätigen. So hat der „National Enquirer“, ein Boulevardblatt, wöchentlich abscheulich bearbeitete Fotos von Hillary veröffentlicht, auf denen sie aussah wie eine Greisin. Es wurde behauptet, sie würde eine leber- und herzkranke Alkoholikerin sein (ihr Gesicht war dunkelgelb eingefärbt), Krebs haben, psychisch krank sein, eine böse, alte Hexe eben. Vielerorts war der sexistische Spruch „Hillary sucks – but not like Monica“ im Umlauf. Eine geschmackloser Verweis auf Bill Clintons Praktikantin und Geliebte Monica Lewinsky.

Aber vielleicht hat Clinton auch Herzen kalt gelassen, die sie ohne Mühe hätte erobern können. So wurde von einer Demonstration für Frauenrechte in New York berichtet, an der sie vor zwei Jahren teilgenommen hatte. Dort habe Clinton mit niemand außerhalb ihrer Entourage gesprochen, ausgestreckte Hände und Redeangebote kühl, fast ängstlich, gemieden. Volksnähe ist nicht ihre Stärke. Sisterhood? Nicht mit Hillary.

Doch egal, wie sich Hillary Clinton in den vergangenen Jahren präsentiert hat oder wie sie dargestellt wurde: Ein knappes Fünftel aller US-Amerikaner will grundsätzlich keine Frau an der Spitze des Landes sehen. Viele Linksliberale hatten gedacht, nach Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, sei die Zeit nun auch reif für eine Frau. Das war allzu optimistisch. Aber auf die Niederlage von Hillary Clinton folgt nun eine vielstimmige Frauenbewegung, die dem von Trump verkörperten Backlash entschieden den Kampf angesagt hat.

Tanja Dückers lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Sie lehrt regelmäßig an amerikanischen Universitäten, zuletzt am Oberlin College in Ohio. Ihr aktuelles Buch ist „Mein altes West-Berlin: Berliner Orte“ im be.bra Verlag.

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