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Vom Besten. Per Hauber (rechts) mit dem Pianisten Igor Levit bei der Verleihung des „Opus Klassik 2019“ in Berlin.

© Jakob Nawka

Neuer Klassik-Chef Per Hauber: Sony Classical ist das größte Konzerthaus der Welt

Per Hauber möchte junge Leute mit Streamingdiensten für Klassik gewinnen. Doch am liebsten erzählt er von der Arbeit mit Teodor Currentzis und Igor Levit.

Wer Per Hauber gegenübersitzt, könnte glauben, es gäbe gar keine Krise der CD-Industrie. Dabei ist der Umsatz im Klassik-Bereich auf dem deutschen Tonträgermarkt zwischen 2017 und 2018 von 56 auf 42 Millionen Euro gesunken.

Und obwohl die Fans von Bach, Beethoven, Brahms und Co. hierzulande beim digitalen Konsum sehr zurückhaltend sind, stieg der Anteil der Streamingdienste am Umsatz zwischen 2015 und dem ersten Halbjahr 2019 von drei Prozent auf mittlerweile 16 Prozent.

Doch der neue President of Sony Classical redet nicht gern über Dinge, von denen man erwartet hätte, dass ein Musikmanager sie sogar ungefragt erzählt. In der Berliner Sony-Zentrale in den Edison-Höfen am Nordbahnhof schwärmt der 42-jährige Hauber von seiner Arbeit mit den Stars, die er unter Vertrag hat, und von den gemeinsamen Projekten.

Vor den Streamingdiensten, die langsam die Rolle der Plattenverkäufer übernehmen, ist ihm nicht bang. Dass es Spotify im Musikbusiness so machen könnte wie Netflix im Bereich des Kinos – nämlich nicht nur vorhandenes Material zu vertreiben, sondern mit eigenen Produktionen den Markt anzugreifen –, glaubt Hauber nicht. „Klassische Labels pflegen eine persönliche, direkte und langjährige Beziehung mit Künstlern“, sagt er. Und „dabei entstehen Aufnahmen, Kunstwerke für die Ewigkeit.

Technologieunternehmen wie Spotify hingegen bieten eine digitale kommerzielle Plattform für Musikkonsum an. Jedoch wurden auch hier mittlerweile, wie auch bei anderen direkten Konkurrenten von Spotify, wie zum Beispiel Apple Music, reine Experten für klassische Musik eingestellt, deren Aufgabe es ist, dieses Genre mit besonderer Sorgfalt auf der jeweiligen Plattform zu kuratieren.“

Schwierige Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis

Und dann erzählt Per Hauber von Teodor Currentzis. Dem Extremisten unter den jüngeren Dirigenten, der gerade überall gefragt ist. Fernab der Musikmetropolen hat sich der griechische Maestro zunächst ausprobiert, mit seinem eigenen Orchester Musicaeterna, in der russischen Stadt Perm am Ural. Currentzis ist ein Besessener und damit durchaus eine Risiko-Investition für jedes Label.

Sony bot ihm an, die drei Mozart-Opern aufzunehmen, zu denen Lorenzo da Ponte die Libretti geschrieben hat. „Figaro“ und „Così fan tutte“ kamen erfolgreich auf den Markt, mit der „Don Giovanni“-Aufnahme aber war Currentzis am Ende nicht recht glücklich. Und zwar, nachdem die CD-Box bereits fertig gepresst und an den Handel ausgeliefert war.

„Wir fanden das Ergebnis zwar fantastisch“, berichtet Hauber, „aber wir haben gesagt: Wenn Teodor nicht zufrieden und bereit ist, den mehrwöchigen Aufnahmeprozess zu wiederholen, dann machen wir eben alles komplett noch einmal neu.“ Die Kisten mit dem abgelehnten „Don Giovanni“ stehen bis heute bei Sony im Keller.

„Wir könnten längst viel mehr von ihm veröffentlicht haben“, erzählt der Manager weiter, „aber Currentzis verbringt für jede Aufnahme bis zu 18 Monate im Studio, um die Postproduktion zu machen.“ Dabei ist Per Hauber anzuhören, dass ihn das keineswegs verärgert, sondern, im Gegenteil, sogar ziemlich fasziniert.

„Ich war einmal acht Stunden am Stück mit ihm im Studio. Ich weiß nicht, wie er das wochenlang durchhält. Da wird an jedem Takt nachgearbeitet, das ist hoch konzentrierte Arbeit. Und Zeit, die er sich aus seinem eng getakteten Kalender herausbrechen muss.“

Der Label-Chef fühlt sich als eine Art Intendant

Hauber ist gelernter Saxofonist. 1977 in Konstanz als Sohn deutsch-schwedischer Eltern geboren, entdeckt er früh das Blasinstrument für sich, studiert an der Berliner Universität der Künste und arbeitet von 1998 bis 2002 als Berufsmusiker. Dann steigt er beim Musikkonzern Universal als Product Manager für Klassik ein, belegt nebenbei Managementkurse an der Fernuniversität Hagen und wechselt 2011 zur Konkurrenz.

Bei Sony steigt er steil auf, seit September steht er an der Spitze der Klassik-Sparte, als Nachfolger von Bogdan Roscic, der im kommenden Sommer die Leitung der Wiener Staatsoper übernehmen wird.

Auch Per Hauber fühlt sich als eine Art Intendant: „Sony Classical ist wie ein riesiges Konzerthaus, in dem nie der Vorhang fällt“, philosophiert er. „Es geht immer weiter, wir produzieren und veröffentlichen permanent für diese größte Bühne der Welt.“

Ein gravierender Unterschied allerdings besteht zum künftigen Job von Bogdan Roscic. Der Direktor der Wiener Staatsoper weiß genau, wie viele Plätze er Abend für Abend im Prachtbau an der Wiener Ringstraße zur Verfügung hat. Per Haubers imaginärer Saal dagegen ist endlos groß. Es gibt weitere Label-Chefs, die sich ebenfalls als Intendanten fühlen. Seine Zielgruppe umfasst die ganze Welt.

Junge Leute erreichen

Wie kann man die erreichen? „Rausgehen und Geschichten erzählen, die Interesse wecken an den Aufnahmen unserer Künstler“, so definiert Per Hauber seinen Job. Und hier kommt wieder das Streaming ins Spiel. Denn übers Streaming erreicht man diejenigen Kunden, die jeder haben will: die jungen Leute.

„Ein Großteil meines Teams kümmert sich um nichts anderes, als im Streamingbereich die richtigen Weichen zu stellen.“ Und meint damit, dass Sony versucht, möglichst präsent zu sein auf den Plattformen, die gerade angesagt sind. Spotify und Amazon sind ja nicht die einzigen Marktteilnehmer, es gibt beispielsweise auch ganz auf Klassik spezialisierte Anbieter wie Idagio oder Qobuz.

Eine Möglichkeit, um in Kontakt mit potenziellen Kunden jenseits der traditionellen Klassik-Aficionados zu kommen, sind Playlists. Besonders beliebt bei den Usern sind Playlists zum Lernen, zum Einschlafen oder zum Lesen – also Angebote, bei denen die Musik als Klangtapete funktioniert. Per Hauber findet das okay.

„Denken Sie mal an die 90er Jahre zurück: Da gab es einen Boom an Compilations. Oder denken Sie an die wunderbaren privaten Mix-Tapes. Das Zusammenstellen von Musik für bestimmte Situationen ist seit Jahrzehnten üblich. Heute sind das eben die Playlists. Und die erreichen ungeheuer viele Menschen überall auf der Welt, die mit klassischer Musik womöglich sonst gar nicht in Berührung kommen würden.“

Aus Hörern Kunden machen

Ist der Kontakt erst einmal hergestellt, geht es für die Labels darum, aus Hörern Kunden zu machen. „Wenn jemandem also ein Stück besonders gefällt, wollen wir bei Sony Classical es ihm auch leichtmachen, mehr Informationen über den Interpreten zu finden, zu seinen Alben und zu seinen Konzerten.“

Läuft es gut, kauft sich der Spotify-Hörer Tickets für einen Live-Auftritt, erwirbt hinterher am Merchandisingstand die Tonkonserve, lässt sie sich vom Star signieren und erzählt dann in den sozialen Netzwerken all seinen Freunden davon.

Igor Levit, der neue Vordenker der Pianisten-Zunft

Und dann kommt er zu Igor Levit, der gerade sämtliche 32 Klaviersonaten Beethovens bei Sony herausgebracht hat. Gleich beim ersten Kontakt 2012 seien sie sich über das Mammutprojekt einig geworden. Zwei Tage später aber habe er den Pianisten dann noch einmal angerufen und gesagt: „Wenn wir den Plan so durchziehen, kommt deine erste Veröffentlichung erst in drei Jahren heraus.“

Also hat Igor Levit – gewissermaßen als Appetizer für den ganzen Beethoven – auf seinem Debütalbum erst einmal nur die fünf letzten Sonaten präsentiert. Was mächtig Furore machte, weil viele Kritiker befanden, der damals 26-Jährige sei zu jung, um dieses Spätwerk zu deuten.

Andere wiederum riefen Igor Levit als neuen Vordenker der Pianisten-Zunft aus. Als der sich Igor Levit dann mit den folgenden intellektuellen Konzeptalben auch erwies.

Besser hätte es aus Marketinggesichtspunkten nicht laufen können? „Na ja“, antwortet der Manager, „durch den großen internationalen Erfolg fühlen wir uns in unserer Arbeit natürlich bestätigt und freuen uns darüber sehr, gemeinsam mit Igor Levit, der sich ja zurzeit kaum retten kann vor Interviewanfragen, natürlich auch zu politischen Themen.“ In der Bestsellerliste der deutschen Klassik-CD-Verkäufe liegt die Beethoven-Box aktuell auf Platz eins.

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