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Neuer Roman: Als die Goltzstraße Weltzentrum war

Arbeitet hier überhaupt irgendjemand? Mit "Gutgeschriebene Verluste" hat Bernd Cailloux einen raffinierten Berlin-Roman geschrieben - der weit über Berlin hinausgreift.

Alles kommt vor: das Café Mitropa. Der Dschungel. Die Einstürzenden Neubauten. Inga Humpe. Iggy Pop. Aber vor allem natürlich diese ästhetische Aufbruchsstimmung bei gleichzeitigem Abgetrenntsein von den Geschehnissen der Welt. West-Berlin in den Achtzigern, die Schöneberger Goltzstraße als Epizentrum eines Lebensgefühls, das der Autor Bodo Morshäuser mal so beschrieben hat: „Wer in dieser Stadt überhaupt arbeitet, fragst du. Ich weiß es nicht. Ich glaube, wir sind alle beim Film. Mittags sieht man uns die Subventionen an... Aus dem einfließenden Geld wird Unruhe.“

Bernd Cailloux war in diesen unruhigen Zeiten dabei und beschreibt in seinem neuen, raffinierten und unterhaltsamen Roman „Gutgeschriebene Verluste“ diese Jahre als ambivalente Zeit. Einerseits ist der Icherzähler noch immer stolz darauf, Teil des Mythos gewesen zu sein und lässt die Protagonisten von damals noch einmal auftreten. Andererseits hängt ihm die Vergangenheit wie ein Mühlstein am Hals. Der Wind weht längst woanders, der erzählende Veteran der Popkultur, inzwischen sechzigjährig, sitzt aber als „Übriggebliebener“ noch immer im Schöneberger Café Fler – „kein Eigenheim, keine Familie, kein Rentenanspruch“ – und muss schmerzhaft erfahren, dass seine Geschichten von früher kaum noch interessieren.

Nachdem er der exzentrischen, wesentlich jüngeren Ella begegnet, fliegt ihm sein Selbstbild als eigenbrötlerischer Alt-68er und anti-bourgeoiser Grundsätzlichverweigerer um die Ohren. Und die Erinnerungsreisen, die anfangs noch in das legendenhafte Hamburg der 70er Jahre führten, gehen bald ins Erfurt der Nachkriegszeit, wo der Icherzähler als Säugling von seiner Mutter weggegeben wurde. Bernd Cailloux stellt seinen Roman kommenden Donnerstag im Literarischen Colloquium vor (Am Sandwerder 5, 20 Uhr).

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