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Eine Siedlung im Kaukasus in Dagestan.

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Neuer Roman von Alissa Ganijewa: Liebe und Totschlag

In „Eine Liebe im Kaukasus“ erzählt Alissa Ganijewa wie die Beziehung zweier junger, aufgeklärter Menschen in Dagestan von dem dort tobenden Kulturkampf zerstört wird.

Patja ist erst 25 Jahre alt, aber in ihrer Heimat Dagestan gilt sie als „altes Mädchen“. Sie hat zu lange herumgetrödelt, auch ihr Bruder in Moskau, bei dem sie ein Jahr gelebt hat, ist überzeugt, dass sie bald „keiner mehr angucken wird“. Also gibt sie ihren Job bei Gericht auf und kehrt nach Dagestan zurück, wo ihre Mutter einen Bräutigam für sie sucht.

Die „Siedlung“ liegt irgendwo in der Nähe des Kaspischen Meers, an einer Eisenbahnlinie. Hier leben Angehörige verschiedenster Ethnien, die aus den Hochgebirgsdörfern in die Ebene umgesiedelt worden sind: stur und freiheitsliebend. Patjas Oma stammt noch von dort. In den Salzsteppen, in denen Alissa Ganijewas Roman „Eine Liebe im Kaukasus“ spielt, haben sich die Traditionen verloren.

Mit Patja kehrt auch der junge Rechtsanwalt Marat, der in Moskau Bürgerrechtler verteidigt, zurück. Um den Sohn dazu zu bringen, sich endlich eine Braut zu suchen, haben seine Eltern den Hochzeitstermin bereits festgesetzt. Marat nimmt das gelassen und lässt sich zu verschiedenen Kandidatinnen führen. Er weiß nur, dass eine betende Braut im Niqab nicht für ihn infrage kommt. Denn in der von Clanstrukturen und Korruption geprägten Siedlung tobt ein Kulturkampf zwischen russischem Nationalismus und islamistischen Extremisten. Diesseits des Gleises sorgt eine der gemäßigten sufistischen Tradition verbundene Moschee für den Frieden mit der russischen Zentralgewalt, jenseits betreiben radikale Salafisten die Islamisierung der Gegend.

Das glückliche Ende wird durchkreuzt

Die jungen Frauen unterliegen einer scharfen sozialen Kontrolle, die Heirat wird arrangiert und Männer, die sich einmal mit einem Mädchen in der Öffentlichkeit sehen lassen, glauben ein Anrecht auf sie zu haben. So wie Timor, mit dem Patja eher aus Langeweile korrespondiert hat und der sie nun verfolgt. Amischka wiederum, die „aus Liebe“ einen Fehler begangen hat, denkt darüber nach, ihr Hymen wieder instand setzen zu lassen.

Von der Rückkehr der beiden Protagonisten erzählt Ganijewa alternierend aus der flapsigen Ich-Perspektive Patjas und der ironisch-distanzierten Marats, dabei zwischen Jugendslang, ideologischer Rede und mütterlichem Sorgeduktus changierend. Wenig überraschend verlieben sich Patja und Marat ineinander. Doch das glückliche Ende wird durchkreuzt vom Totschlag an einem Freund Marats, der sich den radikalen jungen Männern entgegenstellt. Der kulturgeschichtlich-mythologische Gehalt dieses Romans und seine religiösen Motive werden zugänglich über die von der Übersetzerin Christiane Körner verantworteten „Hinweise für uneingeweihte Leser“.

Sie klärt auf über die Geschichte Dagestans, islamische Mystik und die darin verankerten Verschmelzungsfantasien, die sich auch zeigen, wenn Patja über Marat nachdenkt: „Er war mir so vertraut, dass es mir vorkam, er wäre ich, nur als Mann.“

Alissa Ganijewa: Eine Liebe im Kaukasus. Roman. Aus dem Russischen von Christiane Körner. Suhrkamp, Berlin 2016. 238 Seiten, 22 €.

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