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Neuer Roman von Dave Eggers: Der Entführer lässt grüßen

Wut, Weltskepsis, Gesellschaftskritik: Nach seinem Erfolg mit "The Circle" hat US-Schriftsteller Dave Eggers mit "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" schon wieder einen Roman geschrieben.

Den Fleißpreis kann Dave Eggers keiner mehr nehmen. Romane scheint er am Fließband zu schreiben, dazu kommen Drehbücher, nebenbei betreibt er einen Verlag, gibt literarische Zeitschriften heraus, und er macht außerdem kaum den Eindruck, als sei er ein notorischer Stubenhocker. Sein Kollege Jeffrey Eugenides bezeichnete ihn einmal als den „Bono der Literatur“: Eggers muss nämlich auch noch die Welt retten. Was der Zeitgeist an Neuem und Unwirtlichem gebiert, Eggers hat bereits ein Buch dazu in petto.

2013 veröffentlichte er mit „Ein Hologramm für den König“ ein Epitaph auf den guten alten amerikanischen Kapitalismus und Frontiergeist; 2014 erschien sein vielbeachteter Roman „Der Circle“, weniger Dystopie als düstere Diagnose unserer digitalen Gegenwart – eine kühle Abrechnung mit den Optimierungs- und Manipulationsgelüsten von Internet-Konzernen wie Google, Facebook und Co. Und zudem ein Spiegel unserer eigenen Leichtgläubigkeit und Zukunftseuphorie angesichts einer grenzenlosen virtuellen Welt. Dass sich hier einer der totgeglaubten littérature engagée verpflichtet fühlt, ist erst einmal sehr sympathisch. Natürlich wirft das auch Probleme auf. Wie man auch an Juli Zeh, der deutschsprachigen Vertreterin der Debattenliteratur, beobachten kann, tritt der literarische Formwille weit hinter den moralischen Impetus und politischen Auftrag zurück.

War Eggers’ „Ein Hologramm für den König“ künstlerisch durchaus ein Wurf, musste man beim „Circle“ großzügig über die Holzschnitthaftigkeit der Figuren hinwegsehen. Man folgte dem Plot dennoch fasziniert, weil konsequent und gespenstisch aus einer affirmativen Perspektive erzählt wurde – der einer unbeirrbaren Anhängerin der Digital New World. So geriet man immer tiefer hinein ins Zentrum des Circle und des Jetzt, ins Innere eines sich als Avantgarde verstehenden Kreises, der an der radikalen Umwälzung von Werten und demokratischen Strukturen arbeitet.

Eine Fortsetzung seiner politischen Gegenwartsexplorationen

Im neuen Roman „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“, den man als Fortsetzung seiner politischen Gegenwartsexplorationen sehen kann, stottert die Erzählmaschine allerdings merklich, und der darin ausgebreiteten Gesellschaftskritik mangelt es an viel, wenn auch nicht an Klischees. In diesem Roman haben wir es mit einem verwirrten Charakter zu tun, der eine Menge Fragen auf dem Herzen hat und diese Fragen auf recht eigensinnige Weise an den Mann bringen möchte. Der Mittdreißiger Thomas, von allen guten Geistern, seiner Familie und vor allem von Vater Staat verlassen, schnappt sich einen leibhaftigen Astronauten, entführt ihn zu einer aufgelassenen Militäranlage direkt am Pazifik, fesselt ihn an eine Säule und beginnt mit seiner Inquisition über den American Way of Life, verlorene Ideale und verpuffte Illusionen. Was er hört, befriedigt sein Wahrheitsverlangen nicht unbedingt. Seit Walter Boehlich wissen wir, dass die Antwort das Unglück der Frage sein kann, und so führt eins zum andern.

Die stillgelegte Kaserne ist riesig; es gibt Platz für sechs weitere Geiseln, sechs weitere Interviewpartner: Ein Kongressabgeordneter wird gekidnappt, außerdem Thomas’ ehemaliger pädophiler Mathelehrer, seine verhasste Mutter, ein Polizist, der am Tod eines Freundes von Thomas Mitschuld trägt, eine Krankenhausmitarbeiterin und schließlich eine junge Frau, die der Eigenbrötler am Strand trifft und für die Liebe seines Lebens hält. Mit jedem der sieben Entführten entspinnt sich ein Dialog, ein Verhör, das aber nicht zur Auflösung eines Tatbestands führt. Der traurige Thomas zweifelt und verzweifelt immer mehr.

Krieg, Pädophilie, Rassismus - alles kommt zur Sprache

Malocher im Literaturgeschäft. Der 1970 in Boston geborene Schriftsteller Dave Eggers.
Malocher im Literaturgeschäft. Der 1970 in Boston geborene Schriftsteller Dave Eggers.

© PAOLO VESCIA/The New York Times/laif

Seine Weltskepsis und Wut rühren selbstverständlich aus der Kindheit – ein Lehrbeispiel aus der psychologischen Praxis. Die alleinerziehende Mutter habe sich keinen Deut um ihn geschert, wirft er ihr vor; einen Vater gab es im Leben von Thomas nicht. Den hoffte er durch staatliche Autoritäten kompensieren zu können, aber Amerika entpuppte sich als treuloser, grausamer Leviathan. Thomas sucht nicht nur Halt, sondern mehr noch Orientierung: große Ziele, Führung, Vaterfiguren. Was er vorfindet, ist Niedergang, Falschheit und Korruption. Sein Jugendfreund Don wurde von Polizisten erschossen, weil er verstört im eigenen Garten mit einem Küchenmesser herumfuchtelte und zudem wohl seiner vietnamesischen Abstammung wegen bei der Polizei Verdacht erregte. Für Thomas ist das die letzte Bestätigung für die Verkommenheit des Landes. Wer so mit seinen jungen Leuten umspringt, ist zu allem fähig.

Thomas ist allerdings nicht nur eine fragende, sondern auch eine fragwürdige Gestalt. Die Prämissen und Rechtfertigungen seiner Entführungen werden mehr und mehr als Mischung aus Wahn, Missverständnis und moralischem Rigorismus erkennbar. Der junge Mann kann weder Ambivalenzen ertragen noch aus seiner kindlichen Perspektive ausbrechen. Mit politischem Handeln hat das nicht das Geringste zu tun. Hier führt ein krisenhafter Charakter einen Psychokrieg gegen sich selbst und wähnt sich als Opfer einer zerfallenden Gesellschaft, die nichts für ihn tut, ihn nicht „inspiriert“. America, the Beautiful, bietet seinen Kindern keine Träume mehr. Und die stürzen im Gegenzug die USA in Albtraumszenarien – man erinnere sich nur an die Amokläufer der letzten Jahre. Thomas ist einer von diesen Eiferern, die den Verrat an ihren Idealen rächen wollen, denen es aber nicht gelingt, ihr persönliches Dilemma in ein politisch radikales Denken zu verwandeln. Sie glauben ans Schicksal. An den Staat. An etwas Höheres. Nimmt man ihnen diesen Glauben, werden sie unberechenbar.

Gespräche ohne Sog und Tiefe

Dave Eggers spielt das mit einer enervierenden Holprigkeit durch: Krieg, Pädophilie, Familiendramen, Rassismus – alles kommt in den Thomas-Dialogen sprunghaft zur Sprache, ohne dass der Kern irgendeines dieser Themen nur berührt würde. Die Gespräche entwickeln keinen Sog in die Tiefe, und weder wird der Wahnsinn seines Helden weit genug getrieben noch seine naive Erklärungssuche dringlich. Geisel für Geisel ist hier aufgereiht, ohne dass eine davon so richtig lebendig wird: Die Figuren bleiben Karikaturen, aus deren Mündern Sprechblasen wachsen. Der Autor selbst begibt sich in Geiselhaft der Themen, die er abhandeln möchte. Etwas konziser und stärker ist Eggers, wenn nicht eine ganze Gesellschaft auf der Anklagebank sitzt, sondern nur eine Mutter. Die jedoch vereint für Eggers’ Helden alle Übel des Landes.

Der Titel des Buches – „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ – stammt übrigens aus dem Alten Testament. Und es steckt eine alttestamentarische Rachsucht in Thomas, aus der man literarisch etwas hätte machen können. Eggers aber verheddert sich in einem Wust von Problemen, die selbst einen Soziologenkongress sprengen könnten.

Dave Eggers: Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig? Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015. 222 Seiten. 18,99 €.

Malocher im Literaturgeschäft. Der 1970 in Boston geborene Schriftsteller Dave Eggers.
Malocher im Literaturgeschäft. Der 1970 in Boston geborene Schriftsteller Dave Eggers.

© PAOLO VESCIA/The New York Times/laif

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