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Finalistin beim National Book Award 2013. Rachel Kushner.

© Lucy Raven/Rowohlt

Neuer Roman von Rachel Kushner: Flammenwerfer und Motorräder

Gewalt und Geschwindigkeit: Rachel Kushner erzählt in ihrem Roman "Flammenwerfer" von Motorrädern, "Motherfuckers" und Männern, die Frauen gerne in der Hosentasche herumtragen.

Am Anfang, schreibt Rachel Kushner, habe es nur dieses Bild gegeben, von einer Frau mit Klebeband über dem Mund. „Sie schwebte mit einem finsteren, beinahe mordlustigen Blick über meinem Schreibtisch, Kriegsbemalung auf den Wangen“, eingerahmt von blonden Zöpfen, die den martialischen Gesichtsausdruck konterkarieren. „Ein sprachbegabtes Wesen, zum Verstummen gebracht.“

Das auf dem Cover ihres zweiten Romans „Flammenwerfer“ abgebildete Foto diente der in Los Angeles lebenden Kunstjournalistin als Inspirationsquelle einer Parallelerzählung, in der sie das rasante Lebenskonzept zweier selbst ernannter Avantgarden und deren Freiheitsversprechen einzufangen versuchte.

Der Erste Weltkrieg drückte ihnen den Flammenwerfer in die Hand

Aus der Sicht einer 1968 Geborenen blickt sie auf Männer, die sich seit jeher darin gefielen, „Frauen in der Hosentasche“ mit sich herumzutragen und mit virilem Eifer für radikale Gegenwärtigkeit schwärmen. Ob ihnen der Erste Weltkrieg den Flammenwerfer in die Hand gibt oder ob sie einige Jahrzehnte später als linke Rebellen zu den Waffen greifen, weil sie glauben, der Umsturz stehe bevor – die thematische Brücke, die Kushner von der Kunst- und Emanzipationsbewegung der 60er und 70er Jahre zum italienischen Futurismus schlägt, ist überraschend.

In der geradezu kinematografisch wirkenden Eingangsszene schlägt der 1917 hinter seiner Staffel zurückgebliebene T.P. Valera in einem abgelegenen Tal des Isonzo einem Deutschen mit dem Scheinwerfer seines Motorrads den Schädel ein. Valeras Motorrad-Gang, die sich für die Arditi, die italienischen Sturmtruppen, gemeldet hat, ist weitgehend aufgelöst, er ist ein Versprengter. Dieser Valera wird sich als der Vater eines Künstlers namens Sandro entpuppen, der aus dem italienischen Geldadel stammt und im New Yorker SoHo der 70er Jahre Erfolge feiert und gerne mit der Schrotflinte in der Hand posiert.

Das Motor ist Symbol: Geschwindigkeit gekoppelt mit Gewalt

Auch durch die 22-jährige Reno, die ihren Namen der Herkunft aus Reno, Nevada, verdankt, ist das Motorrad, das in dieser voluminösen Bewegungsstudie eine wichtige Rolle spielt, als Symbol gesetzt. Geschwindigkeit ist mit Gewalt gekoppelt. Auf ihrem Motorrad fegt Reno mit 160 Kilometern über die Highways. „Weiblich, arm und allein“ wie ihre Mutter, stammt sie aus einer „draufgängerischen unsentimentalen Familie“, mit zwei Cousins, die ihr das Motorradfahren beigebracht haben. Nach dem Kunststudium an einem Provinz-College taucht sie in New York ein mit dem Wunsch, möglichst schnell dazuzugehören.

Auch T.P. Valera sehnt sich nach Zugehörigkeit, als seine Familie 1912 aus Ägypten nach Italien zurückkehrt und er Ingenieurwesen zu studieren beginnt. Es ist eine unruhige Zeit. Die jungen Männer, die den Pferderücken gegen den Motorradsitz ausgetauscht haben, drängen auf eine Zukunft, in der nur noch die Intensität des Augenblicks zählt. Mailand ist die Stadt des Neuen, und Filippo Tommaso Marinetti intoniert die militant-projektilen Fantasien des heraufdämmernden Geschwindigkeitszeitalters.

Die einstigen Kolonisatoren foltern die Natur, die Künstler die Sprache

Finalistin beim National Book Award 2013. Rachel Kushner.
Finalistin beim National Book Award 2013. Rachel Kushner.

© Lucy Raven/Rowohlt

An diesem Knotenpunkt kreuzen sich die beiden Zeitebenen und Figurenkonstellationen. Im einen Fall genealogisch durch die Valera-Familie, im anderen dadurch, dass Reno auf den wesentlich älteren „bourgeoisen“ Sandro trifft und sich in ihn verliebt. Vermittelt durch eine Freundin, Giddle, steht sie an der Pforte zu Manhattans Künstlerszene, zu der ihr Sandro, entlaufener Spross einer Dynastie von Reifenherstellern, die Türe öffnet. Reno hat auch als passionierte Skiläuferin eine Vision von „Landschaft, Geschwindigkeit und Bewegung“. Sandro wiederum reizt die Verbindung von Frau und Maschine. Für sie ist es Schicksal; für ihn nur eine von vielen Möglichkeiten, in einer zwischen Authentizität und Simulation vibrierenden Gegenwart aufzugehen. „Das Leben ist es, das man wie Kunst behandeln muss“, doziert Giddle.

Die "Motherfuckers" verunsichern die Stadt, die Bohème streitet über Konzeptkunst

Manhattan in der erzählten Jetztzeit von 1975 ist ein dampfendes Pflaster, auf dem eine Hobby-Rennfahrerin, die durch die Salzwüste düst und einmal sogar einen Geschwindigkeitsrekord aufstellt, wie ein Tropfen verzischt. Die historisch verbürgten „Motherfuckers“ verunsichern die Stadt mit ihrer situationistischen Aktionskunst und nehmen im Kampf für „befreite Gebiete“ auch Kollateralschäden in Kauf; die Sozialwissenschaft übt sich in radikaler Teilnahme, bis die Rolle zu einem Lebensentwurf wird wie für die kellnernde Giddle; und die Bohème streitet über Konzeptkunst und Befreiungstheorien, blind für die repressiven Ausschläge ihres alltäglichen Verhaltens.

Doch Kushners Roman setzt nicht auf Theorie, sondern auf die farbige Vergegenwärtigung eines Lebensgefühls, das sich vom italienischen Futurismus, der in den Faschismus mündete, bis in die Studenten- und Künstlerbewegung der USA fortsetzt. „Was während des Aufstands zwischen Körpern passiert, ist aufregender als der Aufstand selbst“, lautet eine zentrale Botschaft.

Männer ohne Wurzeln entwurzeln den Urwald

Es sind Männer mit der Sucht, „sich neu zu erfinden“, die „ohne Wurzeln“ entweder wie Valero senior den brasilianischen Urwald kolonisieren und die Indigenen Kautschuk zapfen lassen, oder wie Valero junior eine Pistole im Stiefel tragen, die ihm den Impuls eingibt, die acht Dollar in seinem Geldbeutel gegen einen Jugendlichen zu verteidigen. Die einstigen Kolonisatoren foltern die Natur, die Künstler die Sprache, um eine Wahrheit aus ihr herauszukitzeln. Die einen sind bild- und kinoversessene Poseure, die anderen Menschen der Tat – oftmals Waffennarren, die mit Knarre zu Demonstrationen erscheinen oder Läden plündern.

Was zeigt, dass das staatliche Gewaltmonopol im turbulenten Manhattan eingeschränkt ist und im von den Roten Brigaden aufgestörten Italien der 70er Jahre sogar nachdrücklich zur Disposition steht. Als Reno zusammen mit Sandro die Kunst- und Filmwelt New Yorks verlässt und in die disparaten Wirklichkeiten Italiens versetzt wird, bemüht sie sich einmal mehr um Anpassung.

Doch am Comer See, in einer feudalen Villa, begegnet man der Amerikanerin feindselig: „Diese Leute haben keine Geschichte“, moniert Sandros Mutter Alba, die, ein Glanzstück des Romans, als satirisch überhöhte Inkarnation italienischen Snobismus auftritt. Die Liebesgeschichte endet vorzeitig, und Reno findet sich plötzlich in Rom auf der anderen Seite der Barrikade wieder. Und obwohl sie sich eine Zeitlang am Rande des politischen Untergrunds bewegt, wird sie auch hier nicht Teil des proklamierten „Wir“.

Nicht immer ganz schlüssig, verwirrend, ermüdend

All das erzählt die Nachgeborene aus Oregon in rasantem Slalom und mit nie geleugneter Faszination. Konzeptionell ist der Roman nicht immer ganz schlüssig, die Zeitebenen bleiben manchmal verwirrend und einige der vielen Abschweifungen sind ermüdend. Immer wieder aber findet Kushner überzeugende Bilder: mit Reno, die die „Lockenwicklerzeit“ hinter sich lassen will, indem sie als Model für Hautfarben jobbt, ist das ganze Drama einer weiblichen Randexistenz eingefangen.

Die Spuren der Bewegungen sind nur im Sinne politischer Nachhaltigkeit verwischt, nicht, was ihren ästhetischen Überschuss betrifft. Es kann gut sein, dass Rachel Kushners Phantasmagorien deshalb auch etwas mit den Bildern von bewaffneten jungen Männern im Hier und Heute zu tun haben.

Rachel Kushner: Flammenwerfer. Roman. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. RowohltVerlag, Reinbek 2015. 560 Seiten, 22,95 €.

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