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Altes Geld, neues Geld. Blick auf Manhattan mit dem Chrysler Building und dem Trump World Tower.

© mauritius images/Jose Peral

Neuer Roman von Salman Rushdie: Obama, der grünhaarige Joker und das große Feuer

„Golden House“: Salman Rushdie versucht mit seinem turbulenten Roman über Amerika , die Menschheit zu verstehen. Manchmal gehen dabei die Einfälle mit ihm durch.

Es gibt zunächst viele Erzähler in diesem stofflich überbordenden, teilweise verzwickten, teilweise mit einer gewissen Stringenz vorangetriebenen neuen Roman von Salman Rushdie; ein Roman überdies, der voller Anspielungen auf die griechische Mythologie, das Kino, die Popkultur und vieles mehr steckt.

Wer also ist mit dem Pluralis Majestatis gemeint, mit dem „Golden House“ anhebt? Ist es die New Yorker Nachbarschaft, die sich über den Mann und seine drei Söhne wundert, die wie aus dem Nichts auftauchen im Macdougal-Sullivan Gardens Historic District im Greenwich Village, einem von einem riesigen Garten eingefassten, nach außen schön abgeschirmten Komplex von Häusern im Neokolonialstil? Oder die Menschheit insgesamt, die doch überwiegend so begeistert war von der Wahl Barack Obamas zum 84. US-Präsidenten? Es aber laut Rushdie nicht zu verhindern vermochte, dass dessen acht Jahre Amtszeit auch nicht unproblematisch waren, überdies „die Jahre der zunehmend unberechenbaren und alarmierenden Herrschaft des Mannes über uns, der sich selbst Nero Golden nannte, der nicht wirklich ein König war, und am Ende dieser Zeit brach ein großes – und metaphorisch gesprochen, apokalyptisches – Feuer aus.“

Rushdie erzählt ausführlich von Nero Golden und den Macken seiner drei Söhne

Ja, und wer erzählt von den verheerenden Terrorangriffen an jenem 23. November 2008 auf diverse Locations in Mumbai, die Nero Golden und seine Söhne erst nach New York City vertrieben? Rushdie? Ein personaler Erzähler? Und schließlich gibt es noch einen Ich-Erzähler, einen gewissen René: „Nenne mich René“. Der wohnt gleichfalls in besagtem Haus- und Gartenkomplex, ist ein junger, hübscher Mann, zudem ein Filmemacher am Anfang seiner Karriere mit Plänen für einen großen Film.

Die Goldens kommen ihm wie gerufen, „sie waren meine fliegende Untertasse, mein Motor, meine Bombe, meine Geschichte“, so René. Und dann denkt er sie sich aus, diese Geschichte, die mit den Goldens, die mit der Hausgemeinschaft drumherum, und es geht abermals los, da sind schon fünfzig Seiten vorbei, mit dem Satz „Es war einmal ein böser König, der seine drei Söhne zwang, ihr Zuhause zu verlassen“, und mittendrin ist man in den Fiktionen von Rushdies Ich-Erzähler, in dessen Film, in den Fiktionen dieses Romans vor dem Hintergrund der vergangenen acht doch sehr realen Jahre bis zur Wahl von Donald Trump.

Salman Rushdie, das kennt man von ihm, ist ein selbstbewusster, mit allen Tricks und Finten arbeitender Geschichtenerzähler, einer, der gleichermaßen die Oper wie das Operettenhafte liebt und dem Realismus gern mal ein Schnippchen schlägt. René ist sein Gewährsmann, und der erzählt dann ausführlich von Nero und den Macken seiner drei Söhne. Der eine, Petya, ist Autist, der zweite, Apu, ein Künstler mit Hang zum Mystizismus und Drogenproblemen, der dritte und jüngste, D, ein Umherschweifender, der lieber eine Frau als ein Mann wäre und seine Mutter gar nicht kennt. Die Mutter der beiden Älteren ist bei dem Terrorangriff in Mumbai ums Leben gekommen.

In diesem Roman gibt es auch ein Identitätsmuseum

Aber Nero heiratet noch einmal, eine junge Russin, Vasilisa, und mit ihr verfängt sich René zunehmend in die Geschicke und Missgeschicke dieser Familie. Er wird zur Figur in seiner eigenen Geschichte. Eines Tages lässt René sich auf einen teuflischen Pakt ein: Er soll, weil Neros Spermien das nicht mehr hergeben, Vasilisa schwängern, damit sie und Nero Eltern werden können. Und der Erzähler, der seine Freundin Suchrita über alles liebt? „Mir fehlte der Wille, das, was geschehen sollte, zu verhindern.“

Danach überschlagen sich die Ereignisse. Nachdem schon die Eltern von René ums Leben gekommen sind, hält der Tod Einzug in Nero Goldens Haus und nimmt ihm nach und nach die Söhne, während der kleine Vespasian die ersten Schritte ins Leben macht. René löst die Rätsel von Neros krimineller Vergangenheit, von dessen Mafia-Verstricktheiten. Und Rushdie treibt seine Geschichte von Gut und Böse, von Schuld und Sühne, von den Lügen, die auf ungeahnte Weise Wahrheiten offenbaren, unerbittlich und bisweilen ein bisschen spannungsarm voran, mit diversen, an ein Filmscript gemahnenden Schnitten, Kameraschwenks und Überblendungen, immer vor dem Hintergrund der US-Politik und der Präsidentschaftswahlen.

Der Schriftsteller Salman Rushdie, geboren 1947 in Indien.
Der Schriftsteller Salman Rushdie, geboren 1947 in Indien.

© Jörg Carstensen/dpa

An Einfällen, wie zum Beispiel dem „Identitätsmuseum“ von Ds Freundin Riya, mangelt es ihm nicht. Darin untersucht man Identität von all ihren Seiten – national, sexuell, ethnisch oder politisch. Oder auch die großartigen Umrundungen von Manhattan, die Petya unternimmt (ja, „Golden House“ ist auch ein New-York-Roman), um sich von seinen Angstneurosen zu befreien. Manchmal gehen mit Rushdie aber die Einfälle durch. Nicht jede Referenz auf Italo Calvino, Scott Fitzgerald oder Shakespeare, auf Alfred Hitchcock oder Bollywood will sich in die Komposition des Romans fügen. Und auch den Figuren dieses Romans mangelt es an einer gewissen Tiefe, ihre Tragik wirkt aufgesetzt, behauptet, die doppelte Fiktion tut ihnen nicht gut.

Donald Trump ist hier eine Comicfigur: der Joker, mit grünem Haar und Clownsmaske

Was Salman Rushdie trotz allem immer im Auge behält: das Aufkommen des Jokers mit seinen grünen Haaren und dem Clownsgesicht, eben jenes DC-Comic- und später auch Filmcharakters, der hier für Donald Trump steht. „Taxifahrende Sikhs, Rodeo-Cowboys, rabiate Alt-right-Blondinen und schwarze Hirnchirurgen waren sich einig, wir lieben seine Verrücktheiten, kein Angsthaseneuphemismus von ihm, er schießt direkt aus der Hüfte, sagt, was immer er verdammt noch mal sagen will, raubt welche Bank auch immer aus, die er gerade Lust hat auszurauben, tötet, wen immer er töten will, er ist unser Mann.“

Batwoman hat gegen ihn keine Chance, und natürlich ist es kein Zufall, dass das Feuer, die Apokalypse, und die Wahl Jokers zum König zeitlich zusammenfallen. Salman Rushdie fragt sich einmal, ob es überhaupt Sinn ergibt, das Menschsein zu verstehen, „wenn die Menschheit sich selbst als grotesk, als finster, als nicht schützenswert erwies?“ Sein Roman versucht diesen Sinn wieder herzustellen, die Arbeit laufe schließlich gut, wenn das Leben schrecklich ist, weiß auch sein junger, verzweifelter Held. Man soll „Golden House“ wohl als Warnung, als Weckruf verstehen. Denn nicht erst am Ende wird offenbar: Nero Golden und seine Söhne, das sind doch wir!

Salman Rushdie: Golden House. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Herting. C. Bertelsmann, München 2017. 512 S., 26 €

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