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Neuerscheinung: Keine Angst vor Gold, Geld, Blut

Ist das nun ein Krimi, ein politisches Pamphlet oder gar eine praktische Lebensanleitung? Der Designtheoretiker Friedrich von Borries zettelt mit seinem Roman „RLF“ ein lustvolles Verwirrspiel um Kunst und Konsum an.

Es beginnt wie ein mittelmäßiger Kriminalroman: ein Toter auf der Terrasse des Hotel Bauer in Venedig, ein schlecht gelaunter Kommissar und zwei Gespielinnen, die sich zuvor noch mit dem Werber Jan in seiner Suite amüsiert hatten. Die Sache endet tödlich für ihn, wie man gleich auf den ersten Seiten erfährt. Doch ist Jans revolutionärer Idee, wegen der er nach Venedig reiste, ein Überleben beschert, das den Rahmen der Krimilektüre übersteigt. Fiktion und Realität reichen sich die Hand, politisches Pamphlet, praktische Lebensanleitung und Roman fließen ineinander. Der spannende Plot ist mit lexikalischen Erklärungen und transkribierten Interviews durchsetzt, eine zeitgemäße Collageform, die zur alltäglich gewordenen Praxis von schnell abgerufenen Wikipedia-Einträgen und Youtube-Filmchen passt.

Den Leser aber hat Friedrich von Borries mit seinem Thrillereinstieg gepackt, einer  wohlbekannten Mischung aus Sex and Crime. Staunend folgt er der Hauptfigur durch seine letzten Monate und Tage, um am Ende mit einer Wirklichkeit konfrontiert zu werden, die es tatsächlich gibt. „RLF“, so der Titel des Romans und zugleich Name eines Unternehmens, das Jan kurz vor seinem Tod zu gründen vorgehabt hatte, existiert in der Realität. Dessen Geschäftsführer heißt – vielleicht nicht mehr ganz so überraschend – Friedrich von Borries, der sonst als Professor für Designtheorie an der Hamburger Hochschule für bildende Künste lehrt.

Mit einem sibyllinischen Lächeln erklärt der Autor, dass es sich auch gar nicht um einen Roman, sondern einen Bericht handele, den er auf der Grundlage von Jans iPhone verfasst habe, das ihm zugespielt worden ist. Darauf sind mittels einer Überwachungssoftware dessen Schritte vollständig dokumentiert. „RLF“ ist nicht nur der passende Roman zur Konsumkritik, zur Lebenskrise erfolgreicher Kreativer, sondern auch zum NSA-Skandal. Nur konnte von Borries das gar nicht geahnt haben. Sein Buch war längst geschrieben.

Mit „RLF“ liegt der Berliner Zeitgeistforscher, der sich auch als Kurator betätigt und den deutschen Pavillon bei der Architektur-Biennale 2008 in Venedig betreute, wieder haarscharf im Trend. Es ist sein zweiter Roman, nach diversen Sachbüchern zu so verschiedenen Themen wie Westernkultur in Ostdeutschland, Klimawandel und deutschen Fertighäusern in Israel.

Die drei Buchstaben RLF sind eine Abkürzung des berühmten Adorno-Satzes vom richtigen Leben im falschen. Es ist das Credo des Agenturmenschen Jan und auch von Borries’. Doch mit dem smarten Werber, einem ausgemachten Unsympathen, möchte der Autor keinesfalls verwechselt werden. Auch wenn die beiden gleichaltrig sind und sich an ähnlichen Orten bewegen mögen, wie den im Roman beschriebenen. Es sind dieselben Cafés und Restaurants in Hamburg und Berlin, die gleichen Ausstellungsorte wie die Kunst-Werke in der Auguststraße.

Zu Besuch im Projektbüro: „Show you are not afraid“

So nahe sie einander scheinbar stehen, so weit sind die Figur und ihr Erfinder doch entfernt. Jan arbeitete in einer schicken Agentur, die Millionenumsätze macht, mit Blick auf den Hamburger Hafen. Von Borries hat sein Quartier in einer ehemaligen Fabrik in der Kreuzberger Lobeckstraße. Hier, im Block D des Aqua-Careé, gleich neben Künstlerateliers, Architekturbüros und Fotostudios, residiert auch das Denklabor des 39-Jährigen – das „Projektbüro Friedrich von Borries“. Historiker, Architekten, Theaterleute, Kunstwissenschaftler sitzen hinter Computern und grübeln. Von der Decke hängen kurios zusammengeschneiderte Fußballtrikots, die noch aus der Wanderausstellung „Fanshop der Globalisierung“ stammen, die von Borries 2006 zur Weltmeisterschaft für die Bundeszentrale für Politische Bildung organisierte.

An einer Wand klebt jene Schwarz-Weiß-Tapete mit auffälligem Strudelmuster, die auch im Roman beschrieben wird. Eine junge Frau befestigt zur Probe den papierenen Schriftzug „Show you are not afraid“ an einem Miniatursofa, das in Originalgröße ein weiteres Produkt von RLF sein wird. Als Ideengeber steckt hinter den einzelnen Werken der Künstler Mikael Mikael, der sich zehn bekannte Designobjekte vorgenommen hat, um sie mit einer Irritation zu versehen: einem Goldbesatz, der sich entweder verbirgt wie unter dem Deckel der KPM-Teekanne oder zunehmend abgenutzt wird wie auf der Platte des Ikea-Tisches.

Die Strategie ist in von Borries’ Roman genau beschrieben. Die Einzelanfertigungen richten sich an ein Kunstpublikum, das sich Preise zwischen 12 000 und 17 000 Euro leisten kann und das Luxusspiel mitzuspielen vermag: den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. „Werde Shareholder der Revolution!“, lautet der Slogan von RLF.

Von Borries schlägt eine Volte nach der anderen. Der Künstler Mikael Mikael, der auch schon in seinem ersten Roman vorkam, gibt es ihn überhaupt? Tatsächlich ist in der Ausstellung „Realität und Fiktion“ in der Villa Schöningen in Potsdam – Kurator: Friedrich von Borries – neben Werken von Julian Rosefeldt, Walid Raad, Jeremy Deller und Thomas Demand auch ein Beitrag von Mikael Mikael zu sehen: das Plakat „Show you are not afraid“.

Seit es vor zwei Jahren in einer Ausstellung in der Galerie C/O Berlin auftauchte, hängt es heute in Berliner Altbauwohnungen, wie es auch in politischen Zusammenhängen eingesetzt wird. Israelische Feministinnen benutzten es sogleich für eine Solidaritätsaktion mit einer verfolgten ägyptischen Bloggerin. Steckt also wieder von Borries dahinter, der diesmal die Identität eines Künstlers angenommen hat, der rein zufällig ebenfalls 1974 geboren ist? „Fiktion ist die beste Tarnung der Realität“, sagt er nur. Mehr Aufklärung ist von dem Multitalent und Politästheten kaum zu erwarten.

Für von Borries ist RLF das große Experiment, ein ernsthafter Versuch und zugleich spielerisches Kunstprojekt, um jene Idee vom richtigen Leben im Falschen auszuprobieren. „Was könnte Widerstand sein?“, fragt sich der Designforscher und versucht es mit den Mitteln seines Fachs. Am 23. August werden Tisch, Sofa, Overall und Teekanne der Linie RLF in St. Agnes vorgestellt, einer Kirche, die zur Galerie umgewandelt wurde. Der Schauplatz passt: Hier gilt der Kult der Kunst, das goldene Kalb hat einen ganz realen Goldanstrich. Zumindest von Borries’ Romanfigur Jan hat dafür Gottes strafende Hand bereits erreicht. Sein Sturz in Venedig kostest ihn das Leben.

Der Roman RLF – Das richtige Leben im falschen über die Gründungsgeschichte des Unternehmens RLF erscheint ab 19. August im Suhrkamp-Verlag (13,99 €). Die in dem Buch beschriebenen Designobjekte, für die bekannte Marken minimal verwandelt wurden, sind vom 24. bis 27. August in der Galerie St. Agnes, Alexandrinenstr. 118-121, zu sehen (Anmeldung: ausstellung@rlf-propaganda.com). Die Ausstellung Realität und Fiktion in der Villa Schöningen, Potsdam, ist noch bis 1. September zu sehen (Berliner Str. 86). Die Berliner Weltverbesserungsmaschine ist der Titel einer weiteren Ausstellung von Friedrich von Borries, die ab 23. August bis 20. Oktober im Hamburger Bahnhof zu sehen ist.

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