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Das Indiepop-Duo Jolly Goods aus Berlin.

© Noam Rosenthal

Neues Album "Slowlife" von den Jolly Goods: Lieber Pommes als Party

Das Berliner Indiepop-Duo Jolly Goods zelebriert auf seinem dritten Album „Slowlife“ das entschleunigte Leben als Utopie.

„Slowlife“ erscheint am 17. Januar auf Siluh Records, das Releasekonzert findet am 21. Februar, 20 Uhr im Roten Salon der Volksbühne statt

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Menschheit das emanzipatorische Potenzial der Langsamkeit wiederentdeckt. Was wird nicht alles unternommen, um das Hamsterrad, das sich Leben nennt, auszubremsen. Längst hat die Psychoökonomie Yoga- und Achtsamkeitskurse zur Volkssportart erhoben. Ein Trend jagt den nächsten: Slow Food, Slow Fashion, Slow Travel. Da scheint es nur folgerichtig zu sein, dass die Entschleunigung auch in der Popmusik durchschlägt. Die Jolly Goods legen nun mit „Slowlife“ ein Werk vor, das nicht nur textlich die Lust an der Langsamkeit zelebriert, sondern die Muße zum ästhetischen Programm erhebt.

Das wird bereits im Eröffnungssong „Eating Fries“ offensichtlich: Da puckert der Bass gemütlich los, begleitet von einem schleppenden Schlagzeug, während Sängerin Tanno Pippi den Abgesang auf das aufreibende Berliner Partyleben anstimmt: „I’m not going out ever again. It’s sucking all my energy“. Viel lieber, so führt Pippi aus, würde sie Pommes essen und dabei den eigenen Kaugeräuschen lauschen.

Das Berliner Partyleben hat sich seit 2011 gewandelt, als mit „Walrus“ das letzte Jolly-Goods-Album erschien. Der beklagenswerte Zustand der Welt aber, er ist geblieben. Doch die Mittel des musikalischen Protests der Jolly Goods fallen im Jahr 2020 differenzierter aus. Wo sie auf dem Debütalbum „Her.Barium“ noch im engen Noise-Korsett gegen die Verhältnisse anwüteten, treten auf „Slowlife“ komplexere Strukturen in den Vordergrund. Hier schichten sie Orgeln, Synthies, Kontrabass, Tuba und Vibraphon aufeinander. PJ Harvey und Kate Bush nennen die Musikerinnen als Einflüsse, doch manch orchestral entfaltete Weite wie in „Stay“ oder der schwelgerische Gesang in „Moon“ erinnern eher an den Art Pop einer Lana del Rey.

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Queerfeministisches Selbstverständnis

Die zehn Lieder mäandern zwischen Dream Pop und Shoe Gaze, nur in Ausnahmen wie in „University Hell“ bricht die raue musikalische Vergangenheit durch. Die Anfänge des Geschwisterduos, das sich selbst als „eingespieltes Sisters- Dreamteam“ bezeichnet, liegen in der Gemeinde Rimbach im südhessischen Odenwald. Hier starteten Tanno Pippi und Angy Lord mit Gitarre und Schlagzeug, klanglich eng an Riot Grrrl- und Grungebands wie Le Tigre oder Hole orientiert. Aus der heimischen Garage heraus wüteten sie, quasi als akustische Notwehr, gegen das patriarchale Dorfleben zwischen Schnupftabakmeisterschaft und Schwarzwurzelfastnacht.

„Girl Move Away From Here“ hieß einer ihrer ersten Songs. Und die Schwestern befolgten konsequent ihren eigenen Ratschlag. Schon lange leben sie in Berlin, begleiteten Peaches bei Auftritten in den USA, tourten von Kanada bis nach Ägypten. Mit Bertold Seliger organisierte ein Manager international Konzerte für sie, der sonst Acts wie Patti Smith bucht. Namhafte Produzenten wie Moses Schneider und Tobias Levin mischten ihre Aufnahmen. Und frühe Fans wie Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow sowie Songwriter Hans Unstern produzierten die ersten Alben.

Doch als Protegés einer männlich dominierten Musikszene wollten sich die Jolly Goods nie verstehen, stellten stets ihr queerfeministisches Selbstverständnis heraus. So scheint es folgerichtig, dass sie die Produktion des dritten Albums selbst in die Hand nahmen. Alle Aufnahmen der Multiinstrumentalistinnen entstanden im eigenen Proberaum.

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Reflexion der Krisenhaftigkeit neoliberaler Gesellschaftsverhältnisse

Der lange Reifeprozess hat „Slowlife“ gutgetan. Dass ein musikalischer feministischer Ausdruck auch ohne Punkfassade funktioniert, haben Sleater-Kinney unlängst wieder bewiesen. Doch wo die Gruppe aus Olympia an einer düsteren Grundstimmung festhält, klingen die Jolly Goods beinahe optimistisch. Auch wenn der Skeptizismus, laut Band eine „persönliche Reflexion der Krisenhaftigkeit neoliberaler Gesellschaftsverhältnisse“, textlich immer wieder durchschlägt. Bisweilen, wie in der Single „The Misanthrope Years“, gar nihilistische Züge annimmt: „I’ve given up on everyone. Hope I don’t meet them at my grave.“

„Slowlife“, betonte die Band jüngst im Interview, sei mehr als ein guter Vorsatz für 2020. Vom Einzelnen könne die Verwirklichung des Seelenfriedens nicht allein bewerkstelligt werden – ein entschleunigtes Dasein sei vielmehr Utopie denn Programm. Doch im gesellschaftlichen Gebäude, dessen Fundament aus Leistungsdruck besteht, haben die Jolly Goods ein Fenster geöffnet. Eine Brise, die die Ahnung des Besseren mit sich trägt, weht ihre Melodien herein. Für einen Moment pustet sie die Sorgen um Deadlines und Selbstzweifel fort. Und verströmt den Duft von Frittenfett. Manchmal braucht es für die ersten Schritte ins gute Leben eben nicht mehr als eine Tüte Pommes.

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