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Die amerikanische Musikerin Chan Marshall alias Cat Power.

© Eliot Lee Hazel/Domino

Neues Album von Cat Power: Dein Gesicht am Horizont

Cat Power setzt auf ihrem Album „Wanderer“ auf einen reduzierten Blues-Folk-Sound und schafft so ein Werk von großer Eindringlichkeit.

Atlanta, New York, Los Angeles, Miami – Cat Power hatte schon viele Adressen in den USA. Und die Liste ist noch nicht mal vollständig. Das Umherziehen begann bei der 1972 als Charlyn „Chan“ Marie Marshall geborenen Musikerin schon in der Jugend, als sie mal bei ihrer Mutter, mal beim Vater und mal beim Großvater in Georgia aufwuchs.

Die Spuren dieser Rastlosigkeit, der Schmerz der vielen Abschiede und des Immer-wieder-Fremdseins haben sich tief eingeschrieben in die Musik von Cat Power, die in den Neunzigern mit intimen Indierock-Songs bekannt geworden ist. Deutlicher als je zuvor wird das nun auf ihrem gerade erschienenen zehnten Album, dessen Titel „Wanderer“ das Thema bereits vorgibt.

Das zentrale Stück darauf heißt „Horizon“ und führt auf so ergreifene wie erschütternde Weise in das Ur-Trauma eines Kindes aus einer zerrissenen Familie. Der unerfüllte Wunsch nach Nähe zu den Eltern und der vergebliche Versuch, für die Geschwister da zu sein, mündet in den Zeilen: „Your face on horizon, I cannot see/ Your face on horizon, I cannot say“.

Wenn man geht, kommt der Kummer mit

Die Mantrahaftigkeit des kurzen Klavier-Gitarre-Leitmotivs, das vom Schlagzeug und Bass sanft unterstützt ist, versinnbildlicht die auf endlose Wiederholung angelegte familiäre Dynamik. Der einzige Ausweg besteht darin, selber zu gehen. Was im Finale beschrieben wird: „You’re on the horizon/ I’m on my way/ You’re on the horizon/ I’m headed the other way“. Die zweite Gesangsspur wird dabei mittels Autotune-Effekt zu einer leisen Klage verzerrt – denn auch wenn man geht, kommen der Kummer und die Sehnsucht ja mit.

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Von ihnen ist die Platte vor allem in der zweiten Hälfe geprägt – etwa in dem Rihanna-Cover „Stay“ und dem tieftraurigen „Me voy“. Der Sound ist insgesamt karg, die Instrumentierung sparsam, Hall und gedoppelte Gesangsspuren kommen hinzu. Cat Power, die das Album selbst produziert hat, stellt sich ganz in die klassische amerikanische Singer-Songwritertradition. Blues und Folk sind die Basis dieser Stücke, auch Gospel klingt im Titelstück an. „Wanderer“ ist ein zeitloses Werk. Dass es aus diesem Jahrtausend stammt, deutet tatsächlich nur der Autotune-Moment in „Horizon“ an.

In dieser Reduziertheit erinnern die neuen Stücke stärker an frühe Alben wie „What Would The Community Think“ oder „Moon Pix“ als an das letzte, 2012 veröffentlichte „Sun“, auf dem die Musikerin elektronische Elemente integrierte und einen für ihre Verhältnisse ungewohnt optimistischen Ton anschlug. Auf dem Cover war sogar ein Regenbogen zu sehen und Cat Power trug damals statt der braunen Mähne einen blonden Bob. All das sollte vermitteln, dass sie ihre Krisen, den Alkohol, die Trennungen und Krankheiten, von denen ihr Leben und ihre Songs geprägt waren, überwunden habe.

Nach 20 Jahren trennte sich Cat Power von ihrem Label

„Sun“ war ihre erste Platte, die es in die amerikanischen Top Ten schaffte. Was offenbar bei ihrem Label – dem Edel-Indie Matador – zu einer seltsamen Erwartungshaltung führte. Wie Cat Power in einem Gespräch mit der „New York Times“ erklärte, lehnte die Plattenfirma ihr neues Album ab, weil man darauf keine Hits erkannte und es für zu schwach befand. Sie habe mehr wie Adele klingen sollen, sei der Vorschlag gewesen. „Ich verstand, dass ich ein Produkt war, doch ich dachte immer, ich bin eine Person,“ sagte sie.

Dass das Label, bei dem Cat Power seit 1996 ihre nie auf kommerziellen Erfolg hin produzierte Musik veröffentlichte, seine Künstlerin plötzlich derart verkennt, ist schon bitter. Es zeugt überdies von der Verzweiflung in der Branche. Immerhin beweist nun mit Domino ein anderes großes Indie-Label mehr Verstand und bringt „Wanderer“ genau so heraus wie Cat Power es aufgenommen hat. Nur einen weiteren Song hat sie im Nachhinein noch hinzugefügt, der dann auch gleich als Single vorab veröffentlicht wurde.

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Vielleicht wäre sie genau das gewesen, was sich Matador gewünscht hätte. Jedenfalls dürfte man sich dort schon ziemlich ärgern, denn „Woman“ kommt auf Youtube mittlerweile auf knapp drei Millionen Clicks und bietet mit Lana Del Rey einen echten Stargast auf. Allerdings muss man schon sehr genau hinhören, um die Background-Vocals der Nostalgie-Pop-Diva herauszuhören. Was nicht weiter ins Gewicht fällt, denn das mit Orgel und Streichern etwas üppiger arrangierte, dynamische Stück funktioniert auch so bestens als kraftvolles Statement eines über lange Jahre erkämpften Selbstbewusstseins. „I’m a woman of my word/Now you have heard my word’s the only thing I truly need“, singt Cat Power im Refrain, um in der Coda zusammen mit Lana Del Rey die Zeile „I’m a woman“ in eine Wiederholungsschleife zu führen. Was nicht als Beitrag zu akademischen Genderdiskursen verstanden werden will, sondern im Kosmos von Chan Marshall einfach bedeutet: Ich komme allein klar, ich bin eine starke Frau, meine Worte und meine Musik sind alles, was ich brauche.

Vor drei Jahren wurde die Musikerin Mutter

Diese Stärke spiegelt sich auch darin, dass sie vor drei Jahren Mutter geworden ist. Wobei sie sich vom Vater ihres Sohnes Boaz schon in der Schwangerschaft getrennt hat, aber offenbar weiter gut mit ihm auskommt. Für Boaz – auf dem „Wanderer“-Cover sieht man ein Auge, ein Füßchen und eine Hand von ihm – bedeutet das, dass er zwischen New York und Cat Powers momentanem Wohnort Miami aufwächst. Seine Mutter ist eine Nomadin, die ihren Frieden mit ihrer Heimatlosigkeit gemacht hat und die davon mit ihrem neuen Album auf eindringliche Weise Zeugnis ablegt. Nun steht sie vor der Herausforderung, für Boaz mehr zu sein als eine unerreichbare Erscheinung am Horizont – aber das ist ein anderer Song.

„Wanderer“ ist bei Domino erschienen. Konzert: 28.10., 20 Uhr, Astra

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