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Mann im Aquarium. Konstantin Gropper hat Get Well Soon gegründet, bis heute quasi eine Einmannband.

© Caroline Records

Neues Album von Get Well Soon: Nur die Liebe lässt uns schaudern

Konstantin Gropper arbeitet mit seinen Quasi-Einmannband Get Well Soon schon lange am perfekten Pop. Mit dem Konzeptalbum "Love", der bislang besten Platte von Get Well Soon, kommt er dem Ideal ziemlich nahe.

Das Böse lebt in den Vorstädten, es versteckt sich hinter Hecken und millimetergenau gekürzten Rasenflächen. Manchmal nimmt es die Gestalt von Udo Kier an. Er parkt seinen Jaguar in seiner Doppelgarage und deckt den Wohnzimmertisch für zwei. Als zwei Heilsarmisten klingeln, ihm den „Wachtturm“ überreichen und sagen: „Wir möchten Ihnen Liebe anbieten“, entgegnet er erbost: „Ich brauche keine Liebe.“ Dabei ist er doch alleinstehend, offiziell jedenfalls. Kier bereitet ein Menü zu, es gibt Steaks, Garnelen und Salat. Plötzlich sitzt eine junge Frau mit langen blonden Haaren und verstörtem Gesichtsausdruck neben ihm. Er füttert sie mit den Fingern, dann bringt er sie zurück in den Keller.

Studie des Schreckens

Der Fünfminutenfilm, eine Studie des Schreckens in Grau- und Brauntönen, ist das Video zu „It’s Love“, der ersten Auskopplung aus dem neuen Album von Get Well Soon. Kommentatoren in den sozialen Netzwerken sind sich einig, was an dem Miniaturspielfilm am gruseligsten ist: die eisig blauen Augen des bewährten Vampir-, Frankenstein- und Kettensägenmörder-Darstellers Udo Kier.

Unheimlicher wirkt aber etwas anderes: die Diskrepanz zwischen der schwelgerischen Musik und den auf den Entführungsfall von Natascha Kampusch anspielenden Bildern. „It’s Love“, hauchen Frauenchöre im Refrain, und Konstantin Gropper versichert im sonoren Bariton: „It’s Love and I can’t get rid of it.“ Ein Glockenspiel erklingt, Synthiefanfaren jubilieren. Du kannst die Liebe nicht loswerden, sie hängt an dir wie ein Leberfleck. Das ist genauso schön wie schrecklich. Nur die Liebe lässt uns schaudern.

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Perfekter Pop, das ist schon lange das Projekt von Konstantin Gropper. An seinem 2008 erschienenen Debütalbum hat der heute 33-jährige Musiklehrersohn drei Jahre gefeilt, er nahm alle Titel im eigenen Schlafzimmer auf und spielte alle Instrumente selbst. Eine Einmannband ist Get Well Soon im Prinzip bis heute geblieben, auch wenn das Booklet der am Freitag herauskommenden vierten Platte zehn Mitwirkende auflistet, darunter Konstantins Schwester Verena Gropper als Kosängerin und Geigerin. Dahinter folgt ein lapidarer Satz: „All other instruments – Konstantin Gropper.“

P!O!P! in Großbuchstaben

An Instrumenten mangelt es nicht auf „Love“ (Caroline/Universal), es gibt Bläser, Streicher, alle Arten von Keyboards. Und hinter „other instruments“ können sich auch kunstvoll eingesetzte Samples verbergen. Gropper ist ein Perfektionist, da ähnelt er Stevie Wonder und Todd Rundgren, die ihre Alben zeitweilig ebenfalls alleine einspielten. „Ich bin mit meinen eigenen Sachen immer sehr auf mich gestellt“, hat Gropper in einem Interview gesagt. „Ich mache das ja ganz alleine und zeige meine Ergebnisse auch erst sehr spät.“

Für sein letztes Album „The Scarlet Beast O’Seven Heads“ hatte sich Konstantin Gropper von Italowestern-Soundtracks der sechziger und siebziger Jahre inspirieren lassen. Ein Wüstenritt, jeder Song ein großes Melodrama. „Love“, die bislang beste Platte von Get Well Soon, lässt derlei Huldigungen hinter sich, es geht in Großbuchstaben um P!O!P!. Die Oberflächen der Stücke funkeln spiegelglatt, darunter tun sich mitunter Abgründe auf. Die schläfrig-traumwandlerische Auftaktballade „It’s A Tender Maze“ gipfelt in den ratlosen Zeilen: „It seems we only got here / Because we lost the way.“ Bei „It’s a Catalogue“ schraubt sich Groppers Organ zu Tremolo-Gitarren ins Falsett, „Young Counts Fall For Nurse“ ist ein Discostampfer mit Blubberbegleitung. Er schwelgt in Groschenromanklischees, etwa dem vom Grafen, der sich in eine Krankenschwester verliebt. Aber dürfen Grafen nicht lieben, wen sie wollen?

Liebe ist eine Narration

Petrarca wrote 300 sonets / All for a woman that didn’t exist“, seufzt Gropper in der herrlichen Akustikgitarren-Desillusionierung „33“. Wenn schon Petrarca so wenig wusste vom Wesen der Liebe, was soll der Sänger dann noch sagen. Liebe ist ein Aufstand, glaubt Bernd Begemann. Manchmal ist sie eher ein Reinfall. Sich zu verlieben, das kann ein Vorgang sein, wie sich zu verwählen. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Oder wie sich zu verfahren. Aufbruch ins Unbekannte.

Konstantin Gropper, der an der Mannheimer Popakademie studiert hat, nach Berlin zog und heute wieder in Mannheim lebt, stellt die Frage, was Liebe ist, ohne den Hochmut zu besitzen, sie beantworten zu wollen. Vielleicht ist Liebe vor allem Narration, in weiten Teilen eine Fiktion, wie bei Petrarcas Sonetten an eine erfundene Frau. „Love“, ein großartiges Popalbum, ist überaus liebenswert.

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