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Zusammen groß. Axel Reinemer, Jürgen von Knoblauch, Alex Barck, Stefan Leisering und Claas Brieler (v.l.) sind Jazzanova.

© Georg Roske

Neues Album von Jazzanova: Zurück nach zehn Jahren Funkstille

Das Berliner DJ- und Produzenten-Kollektiv Jazzanova bringt nach zehn Jahren ein neues Album mit überraschendem Sound heraus. Ein Besuch im Tonstudio.

Ein unscheinbarer Hinterhof in Prenzlauer Berg, wenige Schritte abseits der Ringbahngleise. Es geht rauf in eine sonnendurchflutete Berliner Altbauwohnung im vierten Stock. Hier werden Schallwellen, Schweiß, Technik und Inspiration zu Musik verwoben. Das Tonstudio: Es ist dieser mystische Ort, in dem aus flüchtigen Begegnungen und kreativen Einfällen auditive Kunstwerke erschaffen werden. Für Axel Reinemer hingegen sind diese Räumlichkeiten Alltag, sein Habitat, sein Zuhause. Seit fünf Jahren betreibt der Berliner das Jazzanova Recording Studio, in dem schon Stars wie Rihanna zu Gast waren.

Reinemer ist außerdem Teil von Jazzanova, einem der langlebigsten Berliner Musikerkollektive. In den späten Neunzigern machten die fünf DJs und Produzenten mit der Verschmelzung von Jazzelementen und clubaffinen, elektronischen Sounds auf sich aufmerksam. Seitdem ist viel passiert. Zwei Studioalben sind erschienen – das letzte vor knapp zehn Jahren – und wie immer sind sie als DJs und mit der neunköpfigen Jazzanova-Liveband international unterwegs. Dazu kommen regelmäßige Radio-Shows und das eigene Label Sonar Kollektiv, auf dem man mittlerweile eine große Bandbreite an Künstlern betreut.

Trotzdem sind die kommenden Tage außergewöhnlich. Denn mit dem neuen Album „The Pool“ endet an diesem Freitag offiziell die zehnjährige Funkstille. Tags darauf bringen die Berliner es auch erstmals auf die Bühne – vor heimischem Publikum in der Volksbühne. Anschließend geht’s auf Tour. Dass die Show am Samstag Überraschungen zu bieten hat, deutet der Sound der neuen Platte an: Samplelastige Loops sind die Basis, die stilistisch zwischen Hip-Hop, Soul und elektronischen Einflüssen changieren. Dazu steuern zwölf Gäste – darunter der britische Jazz-Allrounder Jamie Cullum, der US-Rapper- und Sänger Oddisee oder der Wahlberliner und Soul-Newcomer Noah Slee – Gesangsparts bei, die in den Mittelpunkt gerückt werden. Stimmungstechnisch schlägt die Platte einen weiten Bogen: von melancholisch-düster wabernden Synthesizer-Klangwelten bis hin zu organischen, in Soul und Funk getauchte Uptempo-Grooves, die die Sonne beschwören, ist alles dabei.

Jazzanova graben raffiniert in den eigenen Archiven

Doch zurück ins Studio, wo die Jazzanova-Klangwelten ihren Anfang nehmen. „Wenn was Jazzanova-mäßiges passiert, dann hier“, sagt Axel Reinemer. Mit Stefan Leisering – das Duo ist der kreative Kern der Gruppe – führt er an diesem frühsommerlichen Nachmittag durch die fünf üppig bestückten Aufnahmeräume. Der obligatorische Flügel wirkt fast langweilig angesichts des Arsenals von alten Keyboards, Mikros und Effektgeräten, dazu Spielereien wie ein Vierspur-Tonbandgerät oder eine elektrische Celesta.

„Wir haben uns damit einen Traum erfüllt“, sagt Leisering, „in unserem alten Studio konnten wir gar nichts aufnehmen, hatten keine Mikros“. Im neuen geht es dafür umso technischer und geschäftiger zu. Reinemer betont allerdings: „Wenn im Studio Jazzanova gemacht wird, dann nur Jazzanova.“ Der Terminkalender wird freigeblockt, und die beiden konzentrieren sich nur auf ihren Sound. Wie vor rund einem Jahr, als die heiße Produktionsphase für das neue Album begann. Das Ergebnis klingt neu und anders, gräbt stilistisch aber auch raffiniert in den eigenen Archiven. Wie auf dem Eröffnungsstück „Now (L.O.V.E. and You & I - Part 2)“, das nach 16 Jahren auf „L.O.V.E. and You & I“ folgt, das wiederum das Erstlingswerk „In Between“ von 2002 eröffnet hatte.

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Dessen Vocal-Sample wird auf der neuen Nummer derart verlangsamt und auseinandergezogen, bis aus der ursprünglichen Zeile „The Sun, the Moon, the sky and you and I“ ein hypnotischer, von rollenden Bassdrumschlägen verzierter Loop geworden ist. Darüber rappt Oddisee eine kurze, aber prägnante Strophe, die das passende Motto für die neue Platte liefert: „The only thing constant can be change“.

Denn auch wenn das Album „auf jeden Fall die DNA der ersten enthält“, wie Leisering sagt, und auch die Linien zum soul-lastigen, sehr organisch produzierten Nachfolger „Off All The Things“ von 2008 im Songwriting und in den charakterstarken Gesangsparts offenkundig sind, scheinen zudem neue Perspektiven auf. Etwa beim starken „Rain Makes The River“, auf dem die 26-jährige Schottin Rachel Sermanni über dunklen Klavierakkorden und behäbigen, rauschinfizierten Drumcomputergrooves sanfte Melodielinien haucht, die zugleich an die verträumte Melancholie von Lana Del Rey und den jazz-affinen Stil Melanie de Biasios erinnern.

Zuhörende werden in unterschiedliche Richtungen gezogen

Neben dem eingängigen, pop-affinen Songwriting – bei dem Reinemer und Leisering meist die harmonischen und soundtechnischen Grundgerüste liefern, dann die Texte und Melodien ihrer Gastkünstler inkorporieren – liegt die Stärke besonders in den Momenten, in denen es klanglich um die Ecke geht und die Zuhörenden in ganz unterschiedliche Richtungen gezogen werden. Besonders gut gelingt das bei „It’s Beautiful“ mit Sänger Paul Randolph. Das Arrangement schichtet sich unauffällig auf, der Loop wird stetig um neue Elemente erweitert: blitzartig flackernde Keyboardakkorde, schräge Streicherflächen, mit Wah-Wah-Effekt versetzte, jaulende Synthesizerlinien, die sich hochschrauben, bis die Drums aussetzen und das Spiel von vorne beginnt.

Der aus Detroit stammende Paul Randolph hat schon früher mit Jazzanova zusammengearbeitet, genau wie der britische DJ und Sänger Ben Westbeech. Andere, wie die Folkmusikerin Rachel Sermanni, sind erstmals an Bord. Die Schottin, die Reinemer & Co. zuvor gar nicht auf dem Schirm gehabt hatten, war für eigene Aufnahmen im Studio gewesen. Man verstand sich und machte für einen Song gemeinsame Sache. Wie sich „Rain Makes The River“ live anhört, ist in der Volksbühne zu erleben. Sermanni, die kürzlich Mutter geworden ist, wird extra nach Berlin kommen. Genau wie die meisten anderen Albumgäste – nur auf Jamie Cullum sollte man nicht hoffen. Doch auch ohne ihn wird es eine große Wiedersehensparty: Die zehn jazzanovalosen Jahre werden laut und groovend zu Ende gehen.

„The Pool“ erscheint bei Sonar Kollektiv. Konzert: Volksbühne, 30.6., 20 Uhr

Ken Münster

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