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Kalifornischer Meisterschüler. Jonathan Wilson, Jahrgang 1974.

© Richard Dumas/Bella Union

Neues Album von Jonathan Wilson: Der letzte Hippie

Der amerikanische Musiker Jonathan Wilson gilt als Erneuerer der Laurel-Canyon-Musikszene. Jetzt hat er das wunderbare Countyrockalbum „Dixie Blur“ aufgenommen.

Nichts auf dieser Welt ist schlimmer als ein leeres Hotelzimmer. Manchen Popstar macht diese Einsamkeit, über die schon Nena klagte, aggressiv. Sie zertrümmern dann mitunter die Einrichtung. Andere werden depressiv.

Jonathan Wilson, der den Pink-Floyd-Gründer Roger Waters als musikalischer Direktor und Gitarrist auf dessen zweijähriger Welttournee begleitete, spürte einen besonders intensiven Schmerz, als er in einem lettischen Hotelzimmer erwachte: Heimweh. „Ich saß fest in der Fremde, weit entfernt von meiner Familie und allem, was sich wie ein Zuhause anfühlt“, erzählte er später.

Sanfte Akustikgitarren und Heimweh

Allerdings fand Wilson einen besseren Ausweg, mit diesem Gefühl existenzieller Verlassenheit fertigzuwerden, als den Fernseher aus dem Fenster zu werfen: Er schrieb einen Song darüber.

„69 Corvette“ heißt das schönste Stück auf Wilsons Album „Dixie Blur“, bei dem er mit wehmütiger Stimme zu einer sanften Akustikgitarrenmelodie über das Hotelzimmer singt, in dem er sich wie in einem „Marmorpalast“ eingesperrt fühlte.

Alle Leute lächeln ihn freundlich an, aber er denkt bloß an seine Heimat und stellt fest: „I miss home.“ Dann blättert er wie in einem Fotoalbum durch Kindheits- und Jugenderinnerungen. Die Autoausflüge mit seinem Vater in dessen Chevrolet Corvette. Der billige Tequila, den er mit der Mutter trank, bis beide gackern mussten. Der Tennisarm, den sein Vater vom endlosen Geigenspiel bekommen hatte.

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„Dixie Blur“ ist das Dokument einer Heimkehr, zurück zu der ländlichen Musik seiner Südstaaten-Heimat, in die Wilson 1974 in einem 7000-Einwohner-Städtchen in North Carolina hineingeboren worden war. Sein Vater leitete 35 Jahre eine Rockgruppe, ein Onkel gehörte zur Band des legendären Bluegrass-Pioniers Bill Monroe. Mit Gospel, Country und Blues ist der Singer-Songwriter aufgewachsen.

Ein Country-Walzer bei dem nur die Jodler fehlen

Spuren davon ziehen sich unüberhörbar durch sein siebtes Soloalbum. Seufzende Steel-Guitar-Akkorde und schwermütige Querflötengirlanden ziehen sich durch die Eröffnungsballade „Just For Love“. Die Lebenslusthymne „In Heaven Making Love“ über die Freuden einer Samstagnacht entpuppt sich als Country- und Texmex-Walzer, bei dem nur noch die Jodler fehlen.

Jonathan Wilson ist ein Meister der musikalischen Mimikry. Seitdem er die Folkrockalben „Gentle Spirit“ und „Fanfare“ veröffentlichte, gilt er als Erneuerer der Laurel-Canyon-Musikszene. In der malerisch bewaldeten Schlucht im Südwesten von Los Angeles lebten und arbeiteten Stars der Gegenkultur wie Neil Young, Brian Wilson, Jim Morrison, Carole King oder Joni Mitchell.

„Rare Birds“ war vor zwei Jahren ein Softrock-Meisterwerk

Wilson sieht mit seinen langen Haaren und dem Catweazlebart nicht nur wie ein Hippie aus, er hat auch ihre Love, Peace & Understanding-Ideale verinnerlicht. Er betreibt im Laurel Canyon die Five-Star- Studios, in dem er regelmäßig Sessions mit Kollegen wie Jacob Dylan, Chris Robinson von den Black Crowes und dem ebenfalls dort ansässigen Josh Tillman alias Father John Misty veranstaltet.

„Rare Birds“ heißt das Doppelalbum, das Wilson 2018 veröffentlichte. Die grandios überladene, in Nostalgie schwelgende Platte ist das beste Soft- und Yachtrockalbum, das nicht aus den siebziger Jahren stammt. Es markiert aber auch einen Endpunkt.

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Auf einem Stück sang Lana Del Rey mit, ansonsten hatte Wilson in monatelanger Tüftelarbeit alles selbst gemacht, alle Instrumente selbst eingespielt. Seine Hybris erinnert an den Kontrollzwang von Todd Rundgren und Stevie Wonder, die sich für einige Großwerke ebenfalls in ihren Studios verschanzten.

Steigern ließ sich der Perfektionismus nicht mehr, deshalb war Wilson zunächst ratlos. Bis er den Alternative-Country-Star Steve Earle traf, der ihm riet, er solle doch nach Nashville gehen, wenn er ein paar neue Songs fertig habe. Dort gäbe es nicht nur mehr als genug Studios, es stünden auch ständig exzellente Sessionmusiker bereit.

Mundharmonikagesäusel verbreitet Lagerfeueratmosphäre

Genau das hat Wilson dann auch getan. Den Titel „Dixie Blur“ erklärt er mit der Redewendung „It was so fast it was a blur“, es war so schnell, dass es verschwamm. Entstanden ist das Album innerhalb von sechs Tagen, produziert vom Wilco-Gitarristen Pat Sansone. Zu den Gästen, die daran mitwirkten, gehört Mark O’Connor, der als einer der weltbesten Country-Fiddler gilt. Die Platte wirkt fast wie eine Gegenthese zu „Rare Birds“, die Songs klingen warm und organisch. Mundharmonikagesäusel verbreitet Lagerfeueratmosphäre, Harmoniegesänge streben gen Himmel.

Der Versöhnungsaufruf „Enemies“ erinnert mit seinen „La La La“–Chören und dem wuchtigen Saxofon an den frühen Bruce Springsteen.

Es sei großartig gewesen, erzählt Wilson, den Studiomusikern dabei zuzusehen, wie sie seine Kompositionen in einer eigenen Zeichensprache notierten, versehen mit Zahlen und Symbolen. „Sie nennen es Hillbilly-Arithmetik.“ Musik, die im Zusammenspiel entsteht, verschmilzt Mathematik und Alchemie.
„Dixie Blur“ von Jonathan Wilson ist bei Bella Union/Pias erschienen.

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