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Der britische Sänger Robbie Williams.

© Sony

Neues Album von Robbie Williams: Maskerade auf der Showtreppe

Robbie Williams gibt auf seinem elften Album "The Heavy Entertainment Show" den großen Glitzer-Pop-Meister. Aber ihm fehlen Hits.

Er hätte sehr lange Zeit gehabt, sich alles genau zu überlegen. Worüber er singen wollte. Wie seine Person sich im Glanz der Erwartung präsentieren könnte. An welchem Anspruch sein Publikum ihn messen sollte. Und welches Phantasma er auszufüllen gedenke, das einem Megastar von seinem Format gerecht werden würde. Aber dann, zwei Wochen vor dem Abgabetermin des neuen Albums, kam doch der Moment der Panik.

Habe ich einen Hit? Mensch, ich habe gar keinen Hit!

So will Robbie Williams gedacht haben, wie er in Interviews erzählt. In seiner Bedrängnis ging er die Telefonnummern von Leuten durch, die er anrufen könnte und landete schließlich bei Ed Sheeran, dem rothaarigen britischen Liedermacher, der so ziemlich das exakte Gegenteil von ihm selbst ist. Ob er nicht einen Song für ihn hätte, fragte Williams. Tja, hm. Komm schon! Sheeran hatte ein halb fertiges Stück, das schickte er dem 42-Jährigen, der sich noch einen Refrain überlegte – und so entstand „Pretty Woman“.

Ist er die Aufregung wert gewesen? Natürlich nicht. Aber seine Entstehungsgeschichte wirft ein Licht in das notorisch aufgekratzte Williams-Universum, das seine Ausdehnung einem manischen Drang nach Vergewisserung verdankt.

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Mit „The Heavy Entertainment Show“ dreht Robbie Williams nach drei Jahren, in denen er ein Dasein als Familienvater gepflegt hatte, nun wieder das ganz große Rad. An die „Kinder kultureller Verschwendung“ wendet er sich mit dem Hinweis, dass er als ihr ersehnter „Retter“ wieder zurück sei. „Die Besten sterben zu früh, aber ich bin noch da“, lautet sein Credo mit Blick auf die zahlreichen Rock ’n’ Roll-Toten dieses Jahres. Das ist der ironisch zugespitzte Größenwahn, den man an dem Sohn eines Kneipenwirts lieben muss.

Denn eine Strophe später gesteht derselbe, dass er zwar ein Anwesen in L.A. besitze, aber es eben immer noch abbezahlen müsse. So wird in die glitzernde, von Streichern und Bigband-Bläsern wie auf Säulen getragene Illusionsmaschine der harte Realismus des Arbeiterjungen gestreut, der selbst nach 75 Millionen verkauften Alben noch fürchtet, man könne ihn zurück in den Blumenladen seiner Mutter nach Stoke-on-Trent schicken. Funkeln soll es und Spaß machen, gewiss doch, aber nicht auf Kosten der Wahrheit.

Das alte Boyband-Trauma bleibt

„The Heavy Entertainment Show“, sein elftes, am Freitag erscheinendes Album (Sony Music), gibt sich den Anschein, dem Konzept der Abendunterhaltung zu folgen. Eine Gala für alle, so wie damals, als TV-Ereignisse geeignet waren, die gesamte Familie, drei Generationen umfassend, im Wohnzimmer zu versammeln, und im Scheinwerferlicht stand ein Entertainer, dem Peinlichkeiten fremd waren, der die größte aller Souveränitäten ausstrahlte. Selbstsicherheit. Es ist das Idealbild für Robbie Williams.

„Ich bin auf der Suche nach Selbstvertrauen“, erzählte er jetzt dem „Guardian“ in einem hinreißenden Interview. „Es stellt sich niemals ein, aber ich habe begriffen, dass ich ziemlich mutig bin. Mein größtes Talent ist es, ein Trauma in etwas zu verwandeln, das unterhaltsam ist.“ Das machte seine Songs oft psychologisch interessanter als sie musikalisch sind. Jeder erwartet, dass er es übertreibt und es weiß ("too much life running through my veins") und trotzdem nicht von dem Trip runterkommt, ein ewiges, vergnügliches Durchdrehen.

Sein Trauma ist die verlorene Jugend, die er als 15-Jähriger an eine Boygroup verlor. Damals endete seine Kindheit, machte ihn Take That weltberühmt und fror sein Seelenleben in einem Stadium ein, von dem seine Frau heute sagt, dass er zur Abhängigkeit erzogen worden sei und nicht mal wisse, wie eine ungeschnittene Melone aussehe. Er selbst spricht von seinem „Suchtcharakter“, der ihn jede Abhängigkeit dadurch bekämpfen lässt, dass er sich etwas anderem noch intensiver hingibt. Als Robbie Williams Anfang der nuller Jahre mit den Hits „Angel“ und „Feel“ die, wie er das nennt, „imperiale Phase“ seiner Karriere erlebte, ging die Hälfte des Erfolgs auf das Konto seines Songwriting-Partners und Produzenten Guy Chambers. Also musste sich der Superstar auch davon lösen, um herauszufinden, wer er war.

Er befand sich in einem Zustand permanenter Wut. Das ging so weit, dass er sich vor einem Treffen mit britischen Journalisten jeden Artikel ausdruckte, den sie über ihn geschrieben hatten. Statt ihnen sein Album „Intensive Care“ vorzustellen, das erste, das 2005 ohne Chambers’ Zutun entstanden war, machte er ihnen nur Vorhaltungen. „Alles, was ich Schlechtes über mich selbst dachte“, meint Williams heute, „war von diesen Leuten auf eine geistreiche Weise festgehalten worden, so dass ich mich der Einsicht nicht entziehen konnte, bloß ein armer Wicht zu sein.“

Prominente Hilfe kam unter anderem von Suart Price und Guy Chambers

Gegen so etwas helfen nur Hits. Hat er noch welche?

Eine Phalanx von Zuarbeitern stand ihm diesmal bei, darunter Produzent Stuart Price, Rufus Wainwright und The Killers. Auch die Zusammenarbeit mit Guy Chambers glänzt wieder in barockem Gewand. „Party Like A Russian“ mag eine dümmliche Plattitüde sein, aber der erfüllt seinen Zweck als Salutschuss nach langer Stille. Andere Juwelen aus gemeinsamer Feder zeigen wirklich Größe wie die perlende Harfen-Ballade "When You Know", die davon erzählt wie es ist, die richtige Frau fürs Leben gefunden zu haben.

Bedauerlich ist allerdings, dass Williams sein Ziel verfehlt, der Welt eine Revue des guten Geschmacks zu schenken. Denn er glaubt, dass er das nur wieder in Maskeraden bewerkstelligen kann. Das geht so weit, dass man ihn als Sänger oft gar nicht wieder erkennt. Sei es, dass er sich mit „Mixed Signals“ nach der elegischen Rock-Hymne streckt oder mit „Motherfucker“ an das Britpop-Genöle à la Oasis erinnert. Es gibt auch Soul-Stücke, die für die Showtreppe und aufschäumende Champagner-Kaskaden gedacht sind. Doch zu selten geht es um die Dämonen, die ihn auf diese Treppe gebracht haben.

Er stehe auf der Bühne nicht allein, sagt Williams dem „Guardian“ in einem Anflug schizoiden Überschwangs. Robbie Williams tauche meistens auch auf. Wenn er doch einmal auf sich allein gestellt auftreten müsse, würde das „Backstage-Drama“ seinen Lauf nehmen. In einem aufwendig inszenierten Box-Video steigt Robbie Williams gegen sein Alter ego in den Ring. Zwei Fighter. Es ist ein bisschen seltsam. Aber so muss man sich wohl den Kampf um Anerkennung vorstellen.

„I love my life“, heißt es nun einmal, „I am wonderful, ... magical, I am me.“ Eben.

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