zum Hauptinhalt
Hendrik Bolz alias Testo (links) und Moritz Wilken alias Grim 104 sind Zugezogen Maskulin.

© Rob Kulisek

Neues Album von Zugezogen Maskulin: Raus aus der Applausfalle

Das Berliner Rap-Duo Zugezogen Maskulin verarbeitet auf seinem vierten Album „Zehn Jahre Abfuck“ eine tiefe Sinnkrise. Ein Treffen am Brandenburger Tor.

Am Brandenburger Tor ist schon fast wieder Normalität eingekehrt, Touristinnen tragen ihren Rucksack vor dem Bauch, Influencerinnen führen Selbstgespräche mit dem Handy, Kutscher und Fahrradrikschafahrer warten auf Kundschaft, die Sonne knallt, der Sommer ist da.

Mittendrin: Testo und Grim104, bürgerlich Hendrik Bolz und Moritz Wilken, beide 1988 geboren und gemeinsam seit gut zehn Jahren als Zugezogen Maskulin Rap-Lieblinge des deutschen Feuilletons. Zumindest bis jetzt.

Beim Mauerfall-Jubiläum gab es Pfiffe für die beiden

Vor einigen Monaten, beziehungsweise einer halben Ewigkeit, war das Brandenburger Tor der Schauplatz ihres Karrierehöhepunkts: Neben Westbam und Barenboim waren sie als erfolgreiches Ost-West-Joint-Venture – Grim104 in Friesland aufgewachsen, Testo in Stralsund – eingeladen, zum Mauerfalljubiläum vor 60.000 Menschen zu spielen.

Die Songs ihrer Wahl: „Was für eine Zeit“ und „Endlich wieder Krieg“, der erste eine wütende Kulturkritik, der zweite eine Art ironisch-zynisches Antikriegsstück. Dazu reichlich Theaternebel. In Statements dazwischen kritisierten Zugezogen Maskulin deutsche Waffenexporte.

Für das ZDF war das vielleicht ein bisschen zu viel der Kritik – der Auftritt wurde entgegen vorherigen Absprachen nur zur Hälfte übertragen. Auch das Publikum war gelinde gesagt verwirrt. „Als ich das Headset rausgenommen habe, habe ich schon die Pfiffe und Buhrufe gehört, da wusste ich: ,Boah geil, das hat gesessen, das hat so richtig reingehauen‘. Es war vor allem ein Geräusch von Fassungslosigkeit“, lacht Grim104 beim Gespräch. Testo ergänzt: „Das hat sich angefühlt wie Engelschöre!“

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Ihr Publikum zu enttäuschen oder ihm, nun ja, liebevoll vor die Füße zu kotzen, das ist sowieso eine beliebte Strategie von Zugezogen Maskulin. Immer wieder griffen sie in Texten auch den Habitus ihrer eigenen, teils zutiefst bürgerlichen Fan- Klientel, an. Jetzt folgt die vielleicht ultimative Enttäuschung: der Ausstieg aus dem System Popstar. „Ich will raus, ich will raus“, heißt es in dem Song „Exit“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Es ist die erste Single-Auskopplung ihres vierten Albums „10 Jahre Abfuck“, das am Freitag erscheint. „Viel zu lange schon abhängig von Applaus“, rappt Testo. „Hatte Hype, hatte Rausch, alles brannte / Doch es ging vorbei und es blieb kalte Asche.“

„Am Anfang stand die Frage: ,Eigentlich ist das der tollste Job der Welt, warum hadere ich damit?’“, erzählt Testo, „Und dann gab es die Überlegung: Vielleicht lass ich es doch einfach sein.“ So entstand „Exit“, als Ausgangspunkt – und jetzt das letzte Stück auf dem Album.

Nachdem der Abschiedsgedanke einmal draußen war, platzte plötzlich ein Knoten, die Freude am Schreiben, am Texten kehrte zurück. Was nahezu alle Songs eint: die Auseinandersetzung mit den letzten Jahren, den dunklen Seiten des Künstlertums, der Musikindustrie, dem Gefühl, mit seiner Kunstfigur verschmelzen zu müssen.

Ein Exit? Auch noch selbstbestimmt? Ist das nicht undankbar? Denn wer hat nicht als Teenager im Jugendzimmer auf der Bettdecke gefläzt und davon geträumt, Popstar zu werden? Geliebt und angehimmelt von Fans, die T-Shirts tragen mit dem eigenen Gesicht drauf? Songs zu schreiben, die Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Konzertbesucherinnen und -besuchern mitsingen?

Der Verzicht auf eine Karriere, das muss in etwa die maximale Transgression sein in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft. Gerade wenn es eine Karriere ist, die sich viele Menschen wünschen würden. Doch kaum jemand will den Alltag bedenken, der auf einen erfüllten Traum folgt.

Ein Alltag, in dem man immerzu unter dem Druck steht, einer Rolle gerecht zu werden. Ein Alltag, in dem die Eskalation die Normalität sein soll – selbst wenn’s nur vorgetäuscht ist. Ein Konzert ist dann auch nichts anderes mehr als another day in the office, und wenn man mal eine Panikattacke auf der Bühne hat, muss man da durch.

Aber was, wenn die ganz große Krise kommt? „Die Erkenntnis war dann, dass ich das hier nicht machen muss“, erzählt Testo. „Ich kann damit aufhören, ich kann andere Sachen machen. Ich werde wahrscheinlich mein Leben lang weiter Musik machen, aber ich muss das nicht mein Leben lang als meinen Hauptberuf machen. Und ich will das auch eigentlich gar nicht.“

Rausch und Hype sind schön, haben aber keine Substanz

Denn die letzten zehn Jahre waren eben auch Rausch und Hype, aber das ist ja eben die Sache: Rausch und Hype, sie haben keine Substanz. Und dann folgt erst der Kater – und dann die Abhängigkeit. „Man denkt immerzu: ,Ich möchte, dass ihr mich doch immer noch lieb habt‘“, sagt Grim104. „Das ist der Punkt, an dem es einem nicht mehr guttut – der Versuch, die Sucht, dieses Loch im Herzen aufzufüllen.“

Was passiert, wenn man an diesem Punkt angekommen ist? Macht man weiter, bis zum Burn-out und darüber hinaus, verschmilzt am besten ganz und gar mit seiner eigenen Kunstfigur? „Ich kann mir natürlich eine Ritterrüstung aus Missoni-Pullovern bauen, hinter der ich dann selbst immer kleiner werde“, so Grim104.

Das wäre eine Option: dem Ideal eines coolen Rappers entsprechen, sich dem Markt anpassen, der am Geschmack immer jüngerer Fangruppen ausgerichtet ist. „Aber irgendwann hat man das Gefühl, den Leuten hinterherzurennen und dabei immer bescheuerter zu werden. Es ist, als würde ich mir Schritt für Schritt ein Clownskostüm anziehen und anfangen, mit Fischen zu jonglieren“, meint Testo.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

So weit ist es nicht ganz gekommen, aber immerhin weit genug, dass ihre Arbeit gesundheitliche Folgen hatte. Panikattacken, Stresssymptome, die ganze Rutsche. „Diese Ansprüche, von denen ich denke, die haben andere an mich – die habe ich eigentlich an mich selbst. Das ist Terror“, so Testo. „Ich will verkaufen, aber ich will mich nicht anbiedern, ich will moralisch astrein sein – das geht alles gar nicht zusammen.“

Die Konsequenz ist also ein Abschiedsalbum, das eigentlich keines ist. Oder vielleicht doch? Testo und Grim104 lassen es lieber im Ungefähren, auch für sich. „10 Jahre Abfuck“, das ist wie eine aufgestoßene Tür. Und auf dem von Daniel Richter gestalteten Albumcover trägt eine Frauenfigur zwei blutende Männerköpfe aus dieser Tür hinaus. Denn vielleicht ist es ja genau das: Der Hype muss sterben – sterben, damit Zugezogen Maskulin leben können.

Aida Baghernejad

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false