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Kultur: Neues Bauen in Berlin: Die schroffe Antwort

Wenn Botschafter Borer an seinem Schreibtisch den Blick hebt, wenn auch der deutsche Bundeskanzler beim Aktenstudium das Auge schweifen lässt, werden sich ihre Blicke, wenngleich auf gewisse Distanz, begegnen. Kein anderer Botschafter, kein Präsident oder Würdenträger ist dem Kanzler so nahe wie der Schweizer Gesandte in seiner Residenz unmittelbar neben dem deutschen Regierungssitz.

Wenn Botschafter Borer an seinem Schreibtisch den Blick hebt, wenn auch der deutsche Bundeskanzler beim Aktenstudium das Auge schweifen lässt, werden sich ihre Blicke, wenngleich auf gewisse Distanz, begegnen. Kein anderer Botschafter, kein Präsident oder Würdenträger ist dem Kanzler so nahe wie der Schweizer Gesandte in seiner Residenz unmittelbar neben dem deutschen Regierungssitz. Es ist nicht einmal gelogen zu behaupten, das so genannte "Band des Bundes" mit Bundestagsbüros, Bürgerforum und Kanzleramt der Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank sei an der Schweizer Botschaft ausgerichtet.

Einsam auf weiter Flur hatte das 1870 von Friedrich Hitzig errichtete und 1919 von den Eidgenossen erworbene neoklassizistische Gebäude die Abbruchkampagnen Speers ebenso wie den Endkampf um den nahen Reichstag fast unversehrt überstanden. Auch bei den Neuplanungen des Regierungsviertels nach der Wiedervereinigung blieb das exterritoriale Botschaftsgebäude unangetastet und behielt seine kuriose, vorwitzige Lage mitten im Zentrum der Macht des großen Nachbarstaates.

Wie mit dem dreigeschossigen, einst im geschlossenen Straßenzusammenhang stehenden, nun isolierten Stadtpalais umgehen? Diese Frage beantwortete das Basler Architekturbüro Diener & Diener im 1995 ausgelobten Gutachterverfahren am einfachsten, mit einer Erweiterung um einen seitlichen Anbau. So konnten die Prunkräume des historistischen Palais als Empfangsräume und Residenz in ihre alte Pracht zurückgeführt werden, während Kanzlei und Konsulat im Neubau untergebracht sind.

Roger Dieners Architektur war nie ein Augenschmaus. Niemand hat deshalb von ihm erwartet, dass er mit dem Erweiterungsbau das frühklassizistische Dekorationssystem des Altbaus weiterführt. Ein anderer Weg wäre die Konfrontation von Alt und Neu, die Verdeutlichung der geschichtlichen Brüche. Oder die geistreiche Interpretation der Proportionen und Maßverhältnisse mit modernen Mitteln. Diener entschied sich für eine Kombination aus beidem, eine schroffe Antwort auf den Altbau und einen Dialog im Detail. Der allerdings ist vom Beschauer nicht zu erspüren. Zu subtil ist die Uminterpretation der Tektonik des Neoklassizismus in die Raumtiefe des Neubaus. Schroff der Materialkontrast, ungnädig die Kubatur: Der Betonkörper ragt anderthalb Meter über die Attikabrüstung hinaus und verweigert dem Altbau jede Reverenz. Dieser hat zum Glück Statur genug, sich zu behaupten.

Aus einem Guss sei die gesamte Fassade, rühmen sich die Bauleute, denn sie haben das fünfgeschossige Teil au Wunsch des Architekten in 30 Stunden nahtlos betoniert. Bläulich schimmert der Beton dank Zuschlägen aus Vogesengestein. Deutschschweizer Architekten sind Materialfetischisten.

Die Ostfassade mit vier Geschossen Bürofenstern müsste langweilig genannt werden, hätte sie nicht einen seltsamen, irritierenden Reiz, der sich erst beim zweiten Blick entschlüsselt. Die Fenster fluchten nicht axial übereinander, sondern sind pro Stockwerk kaum merklich eine Handbreit verschoben. Die westliche Brandwand des Altbaus, ist hingegen "Kunst am Bau": Helmut Federle hat vor die Mauer ein Fassadenrelief aus Sichtbeton gewuchtet, das auf kubisch-grobe Weise das Thema Fassadengliederung durch Fensteröffnungen interpretiert und so gar nicht mit dem feingliedrigen Relief der historischen Fassade zusammengeht.

Besser korrespondieren Alt und Neu im Inneren des Ensembles. Roger Diener hat den Muschelkalk für Gewände, Deckplatten und andere Bauteile aus dem selben thüringischen Steinbruch bezogen wie Hitzig beim Altbau 1870. Gediegene Türen und Beschläge wurden aus der Schweiz herangeschafft, selbst die Elektroinstallation gehorchen auf exterritorialem Botschaftsareal Schweizer Normen. Die Loggien des Altbaus hat der Architekt in einen Patio beim Neubau uminterpretiert, eine "Raumsäule" mit übereinanderliegenden Höfen, um die sich die Büros l-förmig gruppieren. Auf Steinbänken kann man im Sommer unter offenem Himmel Mittagspause machen. Hier, im Innenbereich, ist der Beton mit gelblichen brandenburgischen Sanden hergestellt und anschließend abgestrahlt worden - Innen und Außen werden bewusst unterschiedlich charakterisiert. So wird man überall im Inneren dieses qualitätvollen Hauses feinsinniger architektonischer Überlegungen und Gestaltungen gewahr, so man bereit ist sie zu sehen. Schade nur, dass außen der Dialog der Fassaden nicht gelingen will.

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