zum Hauptinhalt

Kultur: Neues Bauen in Berlin: Die weiße Moderne

Das Pendel der baulichen Veränderungen, das der Bund in Berlin angestoßen hat, beschränkt seine Wirkung nicht allein auf die Mitte der Stadt. Besonders im Wohnungsbau dringt der Nachhall dieser architektonischen Entwicklung bis in die städtischen Randbereiche.

Das Pendel der baulichen Veränderungen, das der Bund in Berlin angestoßen hat, beschränkt seine Wirkung nicht allein auf die Mitte der Stadt. Besonders im Wohnungsbau dringt der Nachhall dieser architektonischen Entwicklung bis in die städtischen Randbereiche. Zum Beispiel bis nach Spandau. 1997 hatte das Berliner Architekturbüro Atelier 5 dort einen städtebaulichen Wettbewerb gewonnen, mit dem ein Teil des ehemaligen Flugplatzes Gatow zum Wohngebiet für Bundesbedienstete umgewandelt werden sollte.

Inzwischen wird dieser städtebauliche Entwurf nach und nach realisiert. Die Planung sieht einen Wechsel zwischen größeren Baublöcken und einer kleinteiligeren Einzelhausbebauung mit insgesamt rund 1200 Wohneinheiten vor. Gegliedert wird das rund 350 000 Quadratmeter große Bauland, dem sich ein Park anschließen soll, vor allem durch drei Erschließungsstraßen, die vom Ritterfelddamm abzweigen. Öffentliche Einrichtungen sind auf ein Band konzentriert, das das Wohngebiet in zwei Abschnitte unterteilt. Auf diesem Band sind nun zwei Schulbauten entstanden: eine Grundschule sowie ein Gymnasium.

Während auf den Baufeldern die ersten bezogenen Wohnhäuser eine aufkeimende Siedlung erahnen lassen, sind die beiden Schulen seit Ende der Sommerferien belebt. Der Entwurf für das Gymnasium, die Hans-Carossa-Oberschule, die aus dem Norden Spandaus hierher umgezogen ist, stammt ebenfalls von Atelier 5: ein klar gegliederter Bau für bis zu tausend Schüler. Trotz der hohen Schülerzahl ist kein monumentales Bauwerk entstanden, sondern ein freundliches Haus auf rechteckigem Grundriss. Die vier Flügel der dreigeschossigen Schule legen sich um einen annähernd quadratischen, steinernen Pausenhof.

Jedem Gebäudeflügel ist ein Funktionsbereich zugewiesen: von den Fachräumen über Klassenzimmer bis zu den Kursräumen der Oberstufe. Die Verwaltung mit Lehrerzimmer und Bibliothek schließt sich samt Eingangshalle und einer doppelgeschossigen Aula an den Eingang an. Die bis auf den Boden hinunter gezogenen Glasfassade sorgt dafür, dass alle Schulräume viel natürliches Licht erhalten. Ein breiter Durchgang bindet den rückwärtigen Sportplatz und die Turnhalle an das Schulgebäude und den Hof an. Die Betonkonstruktion des Gymnasiums erinnert an ein Bücherregal. Die großen Glasfronten, die von gelb und rot gestrichenen Lärchenholzpaneelen in unregelmäßigem Rhythmus unterbrochen werden, wirken wie Bücher, die in das offene Regal hineingeschoben wurden.

Auch im Inneren haben sich die Architekten auf eine reduzierte, aber wirkungsvolle Materialauswahl konzentriert: schwarzer Asphalt und grünliches Linoleum für die Fußböden, sowie farbige Holzflächen, Sichtbetonwände und die großflächige Verglasung fügen sich zu einem stimmigen Raumeindruck. Ärgerlich nur, dass es offenbar in Berlin noch immer keine Firmen gibt, die ordentliche Sichtbetonwände bauen können. So mussten auch in der Hans-Carossa-Schule wegen mangelhafter Ausführung einige Betonflächen weiß gestrichen werden.

Gleich neben dem Gymnasium befindet sich die neue Grundschule Gatow nach einem Entwurf von Carola Schäfers. Weil die Gymnasiasten die Turnhalle der Grundschule mitnutzen, musste diese direkt an ihren Bau anschließen - nur von einer schmalen Straße getrennt. Durch diese Vorgabe, die von den beteiligten Architekten bedauert wird, ließ sich mit den Schuleingängen kein kraftvoller neuer Stadtraum entwickeln. Doch jenseits dieses Mankos überzeugt Schäfers Grundschule. Selbst an einem regnerischen Wintertag strahlt der weiß verputzte Bau südlichen Charme und Vitalität aus. Souverän spielt die Architektin mit der Erinnerung an die weiße Moderne.

Doch ihr Haus ist beileibe keine Zitatensammlung. Dazu bietet es zu viele neue Elemente: etwa die hölzernen Fensterskulpturen, die für räumliche Tiefe sorgen und das Thema der Öffnung in der Wand einer Lochfassade kunstvoll variieren. Oder die dreigeschossige Eingangshalle, in der sich die Treppe elegant um eine Betonlinse legt, deren Ausführung ebenfalls dürftig ist. Die offenen Galerien der Halle dienen als Verbindungsglieder zwischen den beiden anderen Bauteilen der Grundschule. Diese legen sich U-förmig um einen intimen Hof, der den südlichen Charakter des Bauwerks fortschreibt. Ein Laubengang, der sich bis zur Turnhalle fortsetzt, schließt den Hof schützend ab und bindet die Bauteile zu einer Einheit zusammen. Strenger gibt sich dagegen die Turnhalle mit ihren Sichtbetonwänden. Besonders inszeniert sind die tragenden Pfeiler. Während sie auf der einen Seite der Halle bis vor die gläserne Fassade vorgezogen wurden, dienen sie auf der anderen Seite dazu, den Flur mit den Umkleide-Zugängen zu rhythmisieren. Die enorme Weite, die die Betonkonstruktion überbrückt, sorgt für einen luftigen Sportraum. Wie eine halb herausgezogene Schublade sind die Umkleideräume der Turnhalle vorgelagert. Ihre Verkleidung mit quadratischen Glasbausteinen verleiht ihnen eine leichte Note, die mit dem übrigen Gebäude harmoniert.

Angesichts dieser beiden gelungenen Bauten, die auf engstem Raum zwei unterschiedliche Spielarten der aktuellen Moderne bieten, fragt man sich, warum nicht auch in Berlins-Mitte mehr Gebäude dieser Qualität stehen. An den Kosten kann es wohl kaum liegen. Mit rund 18 Millionen Mark für die Grundschule und 24 Millionen Mark für das Gymnasium zeigen beide Gebäude, dass selbst mit geringerem finanziellem Aufwand höchst spannende moderne Architektur zu verwirklichen ist.

Jürgen Tietz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false