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Berühmtes Paar. Adam und Eva, hier in einer Version von Albrecht Dürer im Museo del Prado in Madrid.

© Javier Lizon/dpa/picture-alliance

Neues Buch von Stephen Greenblatt: Hatte Adam einen Nabel?

Vom Mythos zum Dogma: Der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt untersucht in seinem unterhaltsamen und lehrreichen neuen Buch die Schöpfungsgeschichte.

Edward Gibbons 1776 erschienene „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ erregte beim Klerus mehr als nur einen kleinen Skandal. Das Buch sei glänzend geschrieben, hieß es, aber ein Abfall vom Glauben. Scheinbar unparteiisch und stilistisch grandios werde es, der biblischen Schlange gleich, seine Leserinnen und Leser verführen. Es folgten eine „Battle of the Books“ voller Anklagen und Rechtfertigungen, ging es doch um nichts weniger als die Entstehung und Ausbreitung des Christentums: Gibbon hatte sich erlaubt, die frühen Christen von ihrem Märtyrersockel herunterzuholen.

Stephen Greenblatt stellt sich mit „The Rise and Fall of Adam and Eve“ in Gibbons Tradition. „Die Geschichte von Adam und Eva“, so der deutsche Titel, verfolgt den „mächtigsten Mythos der Menschheit“. Nicht die Ausbreitung des Christentums verfolgt der Literaturwissenschaftler Greenblatt, wie es Gibbon in den berüchtigten Kapiteln 15 und 16 seiner Geschichte des untergehenden römischen Reiches tut, sondern eine abenteuerliche Deutungsgeschichte, die „lange und verschlungene Entwicklung von einer archaischen Spekulation zum Glaubenssatz, vom Dogma zur buchstäblichen Wahrheit, von der buchstäblichen Wahrheit zum Realen, vom Realen zum Sterblichen, vom Sterblichen zum Unwahren“.

Wenn Greenblatt untersucht, wie ein Mythos entsteht und – gegen Widerstände – zum Dogma wird, wie genau in diesem Dogma der Keim zur Sprengung desselben liegt, und was nach der Explosion geschieht, dann geht es ihm um die Prägekraft von Erzählungen: persönlich, gesellschaftlich, moralisch. Dass er dabei selbst nicht ganz außerhalb der eigenen Geschichte steht, macht der Prolog deutlich, ein Sündenfall en miniature: Greenblatt, als Knabe ehrfürchtig hadernd, entschließt sich, am Ende doch von der verheißungsvollen Frucht zu kosten. Eines Tages blickt er am Ende des Sabbatgottesdienstes, während der Rabbi die Segenswünsche spricht, nach oben, in der Erwartung, Gott über den Köpfen der versammelten jüdischen Gemeinde schweben zu sehen. Was folgte? Nicht der prophezeite Tod, aber eine Art Vertreibung aus dem Paradies: Ernüchterung, Entzauberung, der fade Beigeschmack der Lüge.

Schlüsselmomente im Leben der Deuter

Lüge, Wahrheit und Dichtung bilden – spätestens seit Platons Verdikt, dass Dichter lügen – eine heikle Trias. Heikler noch war lange das religiöse Deutungsgeschäft. Greenblatt verfolgt die erbitterten Scharmützel um wörtliche und allegorische Auslegungen, die Gefechte um symbolische und realistische Darstellungen der biblischen Geschichte. Intensiv leuchtet er drei paradigmatische Einschnitte aus: die Entstehung der Schöpfungsgeschichte im babylonischen Exil oder danach, Augustinus’ einflussreiches Konzept der Ursünde und John Miltons epische Schilderung der paradiesischen Ehe. Was dabei an ästhetischen und hermeneutischen Programmen hineinspielt, berührt Greenblatt kaum.

Der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt.
Der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt.

© Rose Lincoln / Randomhouse

Er identifiziert Schlüsselmomente im Leben der Deuter. Für die Entstehung der Priesterschrift ist es das babylonische Exil. Die Passagen liest er vor dem Hintergrund der mesopotamischen Schöpfungsmythen. Für Augustinus ist es ein frühes Erektionserlebnis in den Thermen von Thagaste, das in der Formulierung vom Dogma der Ursünde, der bösen sinnlichen Natur des Menschen, kulminiert. Für Milton sind es die unglücklichen Flitterwochen, an deren Ende seine Braut zu ihren Eltern flieht, die zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Natur der Ehe und dem Recht auf Scheidung führt und sich in „Paradise Lost“ in einer atemberaubend detaillierten Schilderung des Zusammenlebens des biblischen Paares niederschlägt.

Die Suche nach einer wörtlichen Auslegung, in Greenblatts Rekonstruktionen immer persönlich und moralisch motiviert, führt, so das Narrativ, vom Allegorischen zum Realistischen. Motor dieses Weges ist die schon Augustinus antreibende rastlose Bemühung um eine wörtliche, zugleich nicht naive Auslegung der biblischen Überlieferung. Paradigmatisch für den Umbruch, den Wendepunkt steht Miltons episches Gedicht, die „großartigste Dichtung in englischer Sprache“.

Erzählung von der Macht der Kunst und Literatur

Der sich steigernde künstlerische Realismus provoziert neue, auch wissenschaftliche Fragen, leitet Untersuchungen ein, die aus heutiger Sicht kurios wirken, in ihrer Zeit aber lebensgefährlich waren. Gab es vor Adam Menschen, wie Isaac de La Peyrère in seiner Abhandlung von den prä-adamitischen Menschen nahelegte? Hatte Adam einen Nabel, wiewohl er nie an einer Nabelschnur hing, wie Philip Henry Gosse insistierte? Was folgt daraus für die Wahrheit der Schöpfungsgeschichte?

Stephen Greenblatts Buch ist auch eine Erzählung von der Macht der Kunst und Literatur, glänzend geschrieben, unterhaltsam und gelehrt. Das man an der einen oder anderen Stelle gern mehr erführe, kann nur im Sinne des Autors sein. Als Greenblatt in Gibbons Zeitalter, dem der Aufklärung, ankommt, ist das Buch fast zu Ende: Das „Projekt Aufklärung“ habe den entscheidenden Wandel bewirkt. Der Mythos, der einst buchstäblich über Leben und Tod bestimmte, ist zur Fiktion geworden: „Darwins Zweifel“ bilden nur noch ein kurzes Nachspiel. Der Epilog „In den Wäldern von Eden“, wo Evolutionsbiologen mit Schimpansen leben, öffnet einen kleinen Spalt zurück zum Mythos.

Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit. Siedler Verlag, München 2018. 448 Seiten, 28 €.

Hendrikje Schauer

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