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Kultur: Neues Bundesjustizministerium: Geschichtete Zeit

Glaubt man Willy Brandts mittlerweile geflügeltem Wort, dann wächst in Berlin zusammen, was zusammen gehört. Wie reizvoll es selbst in Berlin sein kann, wenn etwas zusammenwächst, was eigentlich nicht zusammengehört, das beweist das neue Bundesministerium der Justiz.

Glaubt man Willy Brandts mittlerweile geflügeltem Wort, dann wächst in Berlin zusammen, was zusammen gehört. Wie reizvoll es selbst in Berlin sein kann, wenn etwas zusammenwächst, was eigentlich nicht zusammengehört, das beweist das neue Bundesministerium der Justiz. Statt in einem repräsentativen Solitär residiert es zwischen Gendarmenmarkt und Hausvogteiplatz. Damit besitzt es die wohl städtischste Lage aller Berliner Ministerien. Mit seinen fünf Häusern, von denen nur zwei formell unter Denkmalschutz stehen, sowie einer Kolonnade nimmt es fast das ganze Quartier zwischen Kronen- und Mohrenstraße ein. Es sind Bauten, deren Erscheinungsbild und Charakter kaum unterschiedlicher sein könnten. Zwischen 1780 und 1990 entstanden, zeigen sie einen Querschnitt durch die Geschichte der Stadt. Den jungen Architekten Eller und Eller, die vor einigen Jahren das ehrwürdige Düsseldorfer Architekturbüro Eller Maier Walter übernommen haben, kam die Aufgabe zu, die Einzelgebäude funktional und ästhetisch zu einer Einheit zu vernetzen. Ein Unterfangen, dass ihnen auf bemerkenswerte Weise gelang.

Werkstattcharakter

Ältester Bestandteil des Ensembles sind die Mohrenkolonnaden, 1783 von Carl Gotthard Langhans entworfen. Sie sind eine stille architektonische Sehenswürdigkeit, die ganz im Schatten von Langhans berühmtestem Bauwerk steht: dem Brandenburger Tor. Künftig wird ihr südlicher Teil als repräsentativer Haupteingang des Justizministeriums dienen. Während der Umbauten wurden sie behutsam hergerichtet und dort repariert, wo es nötig war. Die Spuren ihrer inzwischen bald 250-jährigen Geschichte sind dabei sorgsam bewahrt. Diese Behutsamkeit kennzeichnet auch den Umgang mit den übrigen Bauteilen des Ensembles. Sie waren ursprünglich als Warenhäuser konzipiert. Rund um den Hausvogteiplatz befand sich schließlich Berlins altes Konfektionsviertel, hier wurde sowohl produziert als auch verkauft. Indem die Stahlskelettkonstruktion des Hauses sichtbar bleibt, hat sich etwas vom Werkstattcharakter auch in den weiten Hallen im Inneren des Prausenhofes erhalten, dem 1912/14 von Ludwig Otte errichteten Herzstück des Ministeriums.

Die beiden großen Höfe des Prausenhofes wurden mit einem hoch aufgewölbten Glasdach geschlossen und fungieren heute als "Repräsentations-" und als "Casinohof". Lange Galerien überqueren die Höfe an den Seiten und verbinden die Hausteile auf jedem Stockwerk miteinander. Gläserne Durchbrüche, statt abschottender Brandwände und deutlich markierte Sichtachsen sorgen dafür, dass sich die Einzelgebäude zu einer Einheit zusammenfügen. Dennoch bleibt der eigenständige Charakter jedes Bauteils gewahrt. Zwischen den unterschiedlich hohen Geschossen der Einzelhäuser vermitteln Stufen und Rampen. Auch Ausstattungsdetails wie alte Heizkörper blieben, sofern noch vorhanden, erhalten. Gleich hinter dem Haupteingang an der Mohrenkolonnade schließt sich eines der historischen Treppenhäuser an. Sorgsam wurde es gereinigt und aufgearbeitet, blieb aber sonst in seinem ursprünglichen Zustand. Einzelnen Details, wie die alten grünlich-changierenden Fliesen oder der hölzernen Handlauf bekommen den Charakter von liebevoll bewahrten Schmuckstücken.

In den vom Außen- zum Innenraum umgewandelten Höfen des Prausenhofes ist das Sanierungs-Konzept der Architekten am deutlichsten ablesbar. Ihnen ging es darum, soviel historische Substanz wie möglich zu erhalten - einschließlich der im Lauf der Jahre entstandenen Gebrauchsspuren. Wer das Gebäude betritt, soll auch künftig merken, dass er sich in einem Altbau befindet, so funktionsgerecht und modern sich das neue Gewand des Hauses auch zeigt. So finden sich an den Hoffassaden des Prausenhofs noch immer jene glasierten Ziegel, die für die Berliner Gewerbehinterhöfe typisch waren. Das Dachgeschoss, erst nach 1945 aufgesetzt, musste wegen Baumängeln vollständig erneuert werden. Dort markiert jetzt eine Schicht aus Pressglas und Aluminiumprofilen den neuen Abschluss.

Bei aller Vorbildlichkeit ist auch das Justizministerium nicht ganz frei von Verlusten. So musste das in den siebziger Jahren zum letzten Mal überbaute Internationale Presseamt der DDR abgerissen werden, einschließlich jenes Saales, in dem sich Günter Schabowski am 9. November 1989 seinen legendären Versprecher leistete, der den Anstoß zum Fall der Berliner Mauer gab. An seiner Stelle ist ein Neubau entstanden - samt eines schönen runden Konferenzsaals. Abgeschlossen durch eine luftige Stahl-Glaskonstruktion, schiebt er sich mit seinem Foyer in den Prausenhof hinein. Der größte Teil des Konferenzsaales öffnet sich zu einem gartenartigen Innenhof. Hier zeigt die Fassade die schon bekannte zurückhaltende gläserne Gestaltung. Unter der DDR-zeitlichen Fassadenverkleidung des Presseamtes an der Mohrenstraße dagegen, tritt die kostbare Ursprungsgestaltung zu Tage, die der Jugendstilarchitekt Otto Rieth (1858-1911) dem Konfektionshaus Anfang des 20. Jahrhunderts verliehen hatte und die nun zu den Schmuckstücken des Ministeriums zählt. Neues und "Altes" ergänzen sich auch an der Bibliothek am Hausvogteiplatz, auch sie wurde durch ein zweigeschossigen gläsernen Kubus aufgestockt. Das Justizministerium präsentiert sich als ein gelungenes Beispiel für den integrierenden Umgang mit Baudenkmälern. Die unterschiedlichen Zeitschichten sind intelligent ineinandergefügt und präsentieren Nutzern und Besuchern des Hauses ein Stück lebendiger Baugeschichte Berlins.

Jürgen Tietz

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