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Turbulenzen. Roman Signers Installation „Kitfox Experimental“ im Kesselhaus der ehemaligen Kindl-Brauerei.

© Jens Ziehe

Neues Kunstquartier öffnet: Ein Kesselhaus Buntes

Ein Coup für den Kunststandort Berlin, pünktlich zur Art Week: Das Kindl-Zentrum in Neukölln öffnet mit einer spektakulären Inszenierung.

Ganz langsam dreht sich das gelb-rote Flugzeug im Kreis. Steil richtet es seine Spitze nach unten, abwärts geht es trotzdem nicht. Der Schweizer Roman Signer hat mit „Kitfox Experimental“ ein Kunstwerk der Widersprüchlichkeiten geschaffen. Der größte Widerspruch besteht darin, dass die Maschine sich nicht im Freien befindet. In der zwanzig Meter hohen Halle hängt die Kitfox – so der Name des Flugzeugtyps, Experimental steht für die individuelle Konstruktion des Erbauers – an einem Stahlseil. Ventilatoren an den Wänden versetzen den Vogel in Bewegung; ihr Sound verstärkt den Effekt des Unwirklichen.

Ein sich drehendes Flugzeug im ehemaligen Kesselhaus einer Brauerei: Den Betreibern des Neuköllner Kindl-Zentrums für zeitgenössische Kunst ist damit zur Eröffnung ein echter Coup gelungen, ein Hingucker, eine spektakuläre Inszenierung. Sie bestätigen damit noch einmal, dass Berlin die Stadt der aufregendsten Orte für die Kunst ist.

Gleichzeitig liefern sie den vorgezogenen Auftakt für die dritte Berlin Art Week, die am Dienstagabend beginnt. In der ehemaligen Poststation an der Luckenwalder Straße wird dann die Kunstmesse ABC stattfinden, in einem ehemaligen Kaufhaus an der Brunnenstraße die „Positions“ als Nachfolgemesse der einstigen „Preview“, Christian Boros öffnet seinen Bunker in Mitte Besuchern, um seine Privatsammlung vorzuführen, ebenso Axel Haubrok die ehemalige Fahrbereitschaft der DDR in Lichtenberg, wo er in Werkhallen und Casino seine Kollektion präsentiert – um nur einige neue Kunstorte zu nennen.

Der Backsteinquader erinnert an die Tate Modern in London

Auch das Kindl-Zentrum ist ein Liebhaberprojekt von zugereisten Sammlern. Das deutsch-schweizerische Ehepaar Burkhard Varnholt und Salome Grisard hat vor drei Jahren die denkmalgeschützten Bauteile der 2005 stillgelegten Neuköllner Brauerei erworben, um sie in einen Ausstellungsort zu verwandeln. Die imposanten Backsteinquader erinnern an die Tate Modern in London, das riesige Kesselhaus mit seiner lichten Höhe von zwanzig Metern an die dortige Turbine Hall. Einmal jährlich soll ein Künstler den Raum bespielen, den Anfang macht nun Roman Signer. Das dreigeschossige Maschinenhaus mit seinen 1200 Quadratmetern Fläche wird monografischen und thematischen Ausstellungen gewidmet sein, im Turm sollen Ateliers und ein Fotolabor eingerichtet werden, im Sudhaus mit den sechs gewaltigen Kupferkesseln wird ein Café einziehen.

Als Kurator Andreas Fiedler vor einem Jahr seine Pläne vorstellte, hatte man noch gehofft, zur Art Week 2014 das Zentrum komplett eröffnen zu können. Bauprobleme, marode Substanz, komplizierte Sicherheitszugänge sorgten für Verzögerungen. Auch das ein typisches Berliner Phänomen. Aller Voraussicht nach wird das Kindl erst zur nächsten Art Week vollständig seinen Betrieb aufnehmen. Dafür werden die Macher schon jetzt mit einer Schattenseite ihres Engagements konfrontiert. Da mag Kurator Fiedler bei der Präsentation seiner ersten großen Installation noch so sehr beteuern, dass man an der Gentrifizierung der Umgebung nicht beteiligt sei: Die Vermarkter der rundum auf den Freiflächen entstehenden Immobilien nutzen den neuen Standortvorteil auf ihre Weise aus.

So lud der Developper des benachbarten Grundstücks seine Kunden einfach zur öffentlichen Kindl-Vernissage ein – mit anschließender Besichtigung des Baugeländes, auf dem luxuriöse Wohnungen entstehen sollen. Dem machtlosen Kunstzentrumsbetreiber Fiedler blieb nur übrig, dieses Verhalten perfide zu nennen.

Von solchen nachbarschaftlichen Ränken bleibt die Art Week unberührt. Ihr Reiz besteht gerade in der Gleichzeitigkeit von Terminen, dem Hopping von einem Ort zum anderen. Sie ist ein fünf Tage dauerndes Event mit Ausstellungseröffnungen, Führungen, Workshops, Konferenzen – ein Joint Venture der Museen, Galerien, Off-Spaces, Messen und Kunstvereine, um auswärtiges Publikum in die Stadt zu locken. Denn wer hier lebt, für den ist jede Woche Art Week. Mit der Art Week geht es wie bei der Fashion Week und der Music Week vor allem darum, der Welt zu bekunden, dass Berlin noch immer eine der international interessantesten Kreativstädte ist: als Produktionsstätte zweifellos, als Ausstellungsadresse durchaus, als Handelsstandort bitte schön auch.

Bei der Präsentation des umfangreichen Programms am Freitag standen die beiden Staatssekretäre für Wirtschaft und Kultur einträchtig Seit’ an Seit’, von Differenzen der Neuköllner Art weit entfernt. Kulturstaatssekretär Tim Renner sagte es klipp und klar: Kunst ist beides – Selbstzweck und Wirtschaftskraft. Drei Viertel der Touristen besuchen Berlin wegen der Kultur, 15 Prozent der städtischen Wirtschaftskraft speist sich aus diesem Sektor. Die Bedeutung der Art Week ist damit evident. Sie wurde vor drei Jahren aus der Taufe gehoben, als das Art Forum ein eher unrühmliches Ende nahm, fallen gelassen von der Messegesellschaft, weil es nicht genügend Rendite brachte. Die vom Senat daraufhin entwickelte Veranstaltungswoche – ein ferner Spross des einstigen Kunstherbstes – sollte vor allem die Art Berlin Contemporary flankieren, einen Zwitter aus Ausstellung und Messe der Berliner Galeristen, die durch den Wegfall der eigentlichen Messe plötzlich zum Hauptakt wurde.

Umso mehr erstaunte es, dass beim Aufgalopp der Art-Week-Macher im Vorfeld ausgerechnet ABC-Chefin Maike Cruse auf dem Podium fehlte. Hier deuten sich erste Abgrenzungsmanöver an. Für eine Messe, zumal der Kunst, bedeutet Masse, das ganz große Publikum, nur bedingt Erfolg. Sie braucht potente Käufer, eine exklusive Klientel, für die konzertierte Aktionen von Museen, Kunstvereinen, Kommunalen Galerien kaum attraktiv sind, noch weniger Straßenfeste wie der Rummel auf der Auguststraße zur Eröffnung der Art Week 2013. Der ungleich größere kommerzielle Erfolg dürfte auch in diesem Jahr dem Gallery Weekend beschieden sein, das im Frühling zum zehnten Mal stattfand.

Für eine Kunstmesse bedeutet Masse nur bedingt Erfolg

Trotzdem erfüllt die Art Week eine wichtige Funktion. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, bringt es auf den Punkt: „Institutionen kommen nur weiter, wenn sie sich koordinieren.“ Gewiss steckt dahinter auch etwas vom Überlebenskampf der Museen, denen nicht nur das Geld für Ankäufe, sondern häufig auch für Ausstellungen fehlt. Die zusätzliche Finanzspritze aus Anlass einer Sonderwoche – 350 000 Euro gibt der Wirtschaftssenator, 120 000 kommen aus dem Kulturetat – sind da hoch willkommen. Im vergangenen Jahr flossen die Mittel deutlich sichtbarer in ein gemeinsames Ausstellungsprojekt ein. Neue Nationalgalerie, Kunst-Werke, DB-Kunsthalle und Berlinische Galerie traten zusammen unter dem Titel „Painting forever“ auf.

Diesmal fehlt das thematische Band. Umso größer ist die Spannbreite, von der „Schwindel“-Schau in der Akademie der Künste, mit deren Eröffnung die Art Week beginnt, bis hin zum „diskursiven Dinner“ der Berlinischen Galerie im „Küchenmonument“. Mag sein, dass sich hier eine neue Bestimmung für die Art Week abzeichnet. Sie ist zwar der Kunst gewidmet, doch vor allem ein soziales Event. Christian Boros, der Werbemann und Sammler, muss es wissen: Menschen interessieren sich nun einmal am meisten für Menschen. Auf den Eröffnungen, Public Walks und Konferenzen geht es vor allem um die Begegnung. Die Kunst liefert den Stoff, wie das Flugzeug, das sich an einer Hallendecke dreht.

Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, www.kindl-berlin.de, www.berlinartweek.de

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