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Ein langes Leben dank viel Nikotin. Martin Wuttke.

© Joachim Fieguth

Neues Pollesch-Stück an der Volksbühne: Seele? Da drinnen ist nichts

Tolle Besetzung, toller Stücktitel, tolle Bühne: René Polleschs neues Stück „Schmeiß dein Ego weg“ mit Martin Wuttke und Margit Carstensen an der Volksbühne.

Äußerst erwartungsfroh findet sich das Berliner Theaterpublikum zur ersten großen Premiere des neuen Jahres in der Volksbühne ein. René Polleschs jüngste dramatische Parole „Schmeiß Dein Ego weg!“ darf schließlich mal als richtig guter Vorsatz gelten. Und dass diesen neben Martin Wuttke und Christine Groß auch die große Fassbinder-Schauspielerin Margit Carstensen in ihrem Pollesch-Debüt umgehend einzulösen verspricht, ist ein gutes Vorzeichen.

Bert Neumann hat dem Autor und Regisseur wieder einen schönen Boulevard-Raum gebaut, in dem sehr lässig auf stilsicherem Salonmobiliar gelümmelt wird, während ringsherum ständig „die vierte Wand“ hochfährt oder niederkracht. Gern übrigens auch mal sinnträchtig zu Pink Floyds „The Wall“.

Denn das Theorieungetüm aus der Theaterwissenschaft, das die imaginäre Trennung zwischen Bühne und Publikum beschreibt, ist hier höchst real präsent und dient zu allerlei Insider-Jokes über das eigene Milieu. So verschwinden die Akteure immer wieder hinter dem Sichtschutz, um ein Theater zu zelebrieren, das allein den Schauspieler moralisch wie professionell sozialisiert und entsprechend ganz ohne Zuschauer auskommt: Angesichts so mancher Bühnenabende, die man in letzter Zeit pflichtschuldig abgesessen hat, eröffnet sich da auch für das Publikum und die Kritiker eine bedenkenswerte Perspektive! Nur neu ist das alles nicht.

Sicher: Wenn Martin Wuttke sich in seiner antiquierten Uniform, die vermutlich aus dem Fundus für irgendeinen „Hauptmann von Köpenick“ stammt, von Margit Carstensen wegen seiner Zappeligkeit zurechtweisen lässt, hat das Charme und Unterhaltungswert.

Aber Polleschs Text, der die selbst schon wieder antiquierte Theatermode aufs Korn nimmt, immer und überall die besagte „vierte Wand“ einreißen und die Zuschauer zu Mitspielern aktivieren zu müssen, klang im Vorgänger-Abend „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!“ schärfer und witziger. Auch Jean-Luc Nancys Theoreme zur Materialität von Körper und Seele sind von dort bereits bestens vertraut.

„Schmeiß dein Ego weg“ zieht lustig gegen sämtliche Innerlichkeitsdiskurse, Psychophantasmen und die „inneren Werte“ zu Felde, bringt dabei aber wenig Überraschendes aus dem Pollesch-Universum zutage. „Es gibt hier nichts zu bereden und nichts mitzuteilen als Körper, Körper, Körper“, erfahren wir. „Und wenn wir hier Seele sagen, sagen wir nur Seele wegen dem Körper. Da drinnen ist nichts.“

Tatsächlich bemühen sich die schauspielerischen Hochkaräter nach Leibeskräften, das gewaltige Präsenzversprechen adäquat einzulösen. Margit Carstensen bietet den Kollegen in ihrem wunderschönen champagnerfarbenden Kleid ständig Schweinshaxen an. Martin Wuttke lässt sich fette Sahnetorten-Stücke schmecken. Und ein in alienartige weiße Kostüme gekleideter Chor aus Jungschauspieler/innen qualmt hinter der vierten Wand mit Hingabe Zigaretten. „Zu früheren Zeiten dachte man, Schweinshaxen und Zigaretten wären ungesund“, klärt uns Carstensen über den vitalen Lebens- und Genussmittelkonsum auf. „Aber wie wir jetzt wissen, gibt es nichts, was uns ein längeres Leben verleiht als Fett und Nikotin.“ Dieser Hinweis geht im Übrigen nicht nur ans Publikum, sondern insbesondere auch an Wuttke. Der nämlich führt sich in bester Trash-Manier als eine Art Zombie ein, den man nach Jahrhunderten gerade erst wieder aus der Kühltruhe aufgetaut hat und der einen entsprechend eklatanten Mangel an innovativem Denken aufweist. „Die Tradition ist wie immer wesentlich komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheint“, verteidigt er sich kleinlaut.

Tatsächlich hat René Pollesch sein Grundsatzprogramm eines radikalen Perspektivwechsels im Theater noch nie so direkt und ausdrücklich krachledern unters Volk gebracht wie hier.

So ergeben sich spannende und lustige Synapsenverknüpfungen, wenn der Autor-Regisseur den Körper- und Präsenzdiskurs mit dem Theater und der real existierenden vierten Wand kurzschließt. Und die üblichen Inszenierungen – wenn zum Beispiel der via Großleinwand eingeblendete Chor nach ausgiebigem Augentropfenkonsum tadellose weinerliche Pathosgesten produziert – sind selbstredend allgemeingültig und immer wieder hübsch anzuschauen, zumal von so begabten Nachwuchskräften. Überhaupt meckert man, wenn man Pollesch-Abende kritisiert, auf einem vergleichsweise hohen Niveau.

Dennoch: Der Abend, der nach einer sehr knappen Stunde schon wieder vorbei ist, will nicht so recht in Fahrt kommen. Zu vertraut ist der Sound, zu (buchstäblich) dünn der Text.

Bis auf die Schlusspassage! Da bringt Margit Carstensen tatsächlich einen völlig neuen Ton in die Pollesch-Welt, lässt scheinbar alle Verfremdungen, Fakes, doppelten Böden und fünffachen Volten fahren: „Und da kannst du jetzt noch so sehr irgendwo herumirren in so etwas wie Leben“, wendet sie sich mit einer Ernsthaftigkeit an Wuttke, die locker die untermalende Pathosmusik kontert und einen noch mal aus dem Theatersessel hochreißt. „Da können wir irren, wie wir wollen. Das ist es: Unsere Körper, die wir auch dulden würden, wenn sie das nicht mehr tun – leben.“ Ein großes kleines Finale!

Wieder am heutigen Freitag sowie am 20. Januar um 19.30 Uhr und am 30. Januar um 18 Uhr.

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