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Kultur: Neues Recht: Mehr Schutz für Verbraucher

Kennen Sie Ihre Rechte? Rauben Sie den nächsten Laden aus und Sie werden einige kennen lernen; die Polizei wird sie Ihnen nennen.

Kennen Sie Ihre Rechte? Rauben Sie den nächsten Laden aus und Sie werden einige kennen lernen; die Polizei wird sie Ihnen nennen. Kaufen Sie dort nur ein, passiert in dieser Hinsicht nichts. Niemand klärt Sie auf. Das ist die Kehrseite der Freiheit im Rechtsstaat: Wer bei privaten Geschäften sein Recht nicht kennt, ist selbst schuld. Und kann viel Geld verlieren. Deshalb lohnt der Blick auf das jüngste Reformwerk aus dem Haus der Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Am Mittwoch hat es das Kabinett beschlossen, ab 2002 soll es gelten: das "Schuldrechtsmodernisierungsgesetz".

Dem Verbraucher bringt es eine kleine Revolution. Ob Schuhe oder Staubsauger, Neuwagen oder Computer - die Garantie des Verkäufers für seine Ware soll sich künftig über zwei volle Jahre erstrecken. Bislang galt nur ein halbes Jahr. Praktisch heißt das: Auch der billigste Elektrorasierer darf in diesen zwei Jahren nicht den Geist aufgeben. Sonst darf man Ärger machen, vorausgesetzt natürlich, man ist korrekt damit umgegangen. Besonders günstig für den Konsumenten ist die Beweislastumkehr, wenn der Streit innerhalb der ersten sechs Monate vor den Kadi getragen wird. Dann muss der Verkäufer nachweisen, dass seine Ware keine Fehler hatte. Bisher ist dies Sache des klagenden Käufers. Naturgemäß fällt es ihm aber schwer. Der Händler kennt sich mit seiner Ware aus, der Verbraucher nicht. Viele Klagen scheitern daran.

Zwang zu Qualität

Das neue Kaufrecht zwingt Hersteller zur Qualität. Es liegt nahe, dass dies nicht unbedingt im Sinne einer prosperierenden Wirtschaft ist. Auch Wegwerfen bedeutet Wachstum. Hätte die Bundesregierung das Gesetz angestoßen, wäre die Durchsetzung wohl schwierig geworden. So aber kann Herta Däubler-Gmelin auf einen Urheber verweisen, dessen Autorität in Sachen Verbraucherschutz bekannt ist und dessen legislatorische Kompetenz außer Frage steht: auf Brüssel. Von dort stammt eine Richtlinie, die das neue Kaufrecht diktiert. Sie muss bis Ende des Jahres in nationales Recht umgesetzt sein.

Die geplante Reform ist aber weit mehr als die EU-Richtlinie. Diese bildet zusammen mit Richtlinien zum Zahlungsverzug und zum elektronischen Geschäftsverkehr nur den Anlass für eine größere Aufräumaktion im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Dort regelt der Schuldrecht genannte Teil auf recht komplizierte Weise alles, was mit Verpflichtungen zu tun hat. Die Miete eines Wagens genauso wie den Kauf einer Wohnung, den Kredit bei der Bank oder die Reparatur der Waschmaschine. Die Justizministerin will hier ändern, streichen, vereinfachen, einfügen. Ein Gesetzentwurf von fast 700 Seiten. Ihr Staatssekretär Hansjörg Geiger sagt, es handele sich gemessen an den Folgen um ein größeres Projekt als die Zivilprozessreform (siehe Kasten).

Sprachlich perfekt - am Bürger vorbei

Die Opposition kündigt Widerstand an."Unter diesem Zeitdruck kann ein solches Gesetz nicht seriös beraten werden", sagt der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Geis. In diesem wichtigen Bereich müsse "jedes Komma, jeder Halbsatz" bedacht werden. Das Projekt könne zwar noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, "aber nicht bis Anfang 2002". Er plädiert dafür, statt dessen die Richtlinien getrennt vom BGB in deutsches Recht zu transferieren.

Anders als beim Streit um die Reform des Zivilprozesses sind die kritischen Stimmen aus der Fachwelt eher verhalten. Die Vertreter der Anwaltschaft fordern Korrekturen im Detail, auch der Richterbund sperrt sich nicht. Dafür wehren sich diesmal die Theoretiker. Der Freiburger Rechtsprofessor Holger Altmeppen meint: "Das deutsche Vertragsrecht fällt auf den Stand eines Entwicklungslands zurück." Wie das BGB "verschandelt" würde, sei erschütternd, schrieb er kürzlich. Und hat für seine Ablehnung über 150 Unterschriften von seinen Kollegen an den deutschen Universitäten gesammelt.

Das klingt nach Weltuntergang. Zu Recht? Juristen denken in Systemen. Für sie ist das BGB, seit 1900 in Kraft, unter diesem Aspekt das Buch der Bücher. Es atmet jahrtausendealte römische Rechtskultur und hat deren Hang zur Abstraktion auf höchstem Niveau perfektioniert - auch sprachlich. Nebenwirkung: Kein Mensch versteht den Text, es sei denn, er hat sich entsprechend vorgebildet. Doch so perfekt, wie heute allseits gelobt wird, war das BGB in Wahrheit nie. Immer wieder mussten die Gerichte Lücken füllen. Zum Beispiel haben sie die Rechtsfigur der "culpa in contrahendo" erfunden. Dieses "Verschulden bei Vertragsabschluss" gewährt einen quasi-vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen einen Händler schon dann, wenn man dessen Geschäft nur betreten hat.

Solches Richterrecht soll jetzt auch im BGB festgeschrieben werden. Und weil Menschen zwar gleich sind, ihre wirtschaftliche Erfahrung und Leistungsfähigkeit aber schwankt, hat man eine Reihe moderner Verbraucherschutzgesetze erlassen, die dem Heiligtum jetzt eingepflanzt werden sollen.

Für Puristen ist das Vorhaben ein Sündenfall. Dass er aber überraschend kommt, wie oft behauptet, ist eine Mär. Seit 20 Jahren beschäftigen sich Fachleute damit, allein sieben Jahre die von der Kohl-Regierung eingesetzte "Schuldrechtsreformkommission". Hunderttausende Richter, Rechtsanwälte, Justiziare und Professoren werden nun umlernen müssen. Noch haben sie vom neuen BGB so wenig Ahnung wie der einfache Bürger. Für einen kurzen Moment sind vor dem Gesetz tatsächlich alle gleich.

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