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Kultur: Neues von der Pestwurz

Beispielhaftes Mäzenatentum: ein Museum für den Fotorealisten Franz Gertsch

Wer am Hauptbahnhof Bern ankommt, merkt bald, dass die Welt auch hier nicht in Ordnung ist. „Eklat am Kunstmuseum“ meldet die örtliche Zeitung: Das Kunstmuseum Bern hat ein Defizit in Höhe von 300000bis 400000 Franken gemacht. Und an einem der historischen Stadttore liest man auf einer Plastikfolie: „Mauern klagen an: Zwangstätowierung für Sprayer“.

Es gibt auch Positives zu berichten aus dem Schweizer Mittelland, allerdings muss man dazu nach Burgdorf fahren, zum Tor des berühmten Emmentals. 13 Minuten sind das mit dem Regioexpress. Burgdorf hat ein neues Museum, das Franz Gertsch Museum. Der Museumsbau, ein Entwurf des in Langnau im Emmental ansässigen Architekturbüros Jörg & Sturm, besteht aus zwei schlichten, eleganten Sichtbetonkuben, welche sich harmonisch ins Gelände schmiegen. Das gilt auch für das Innere des Museums. Die fünf Ausstellungssäle wirken, als seien sie um die Werke herumgebaut: In der Planungsphase hat Franz Gertsch großen Anteil genommen an der Entwicklung „seines“ Museums, was den Architekten nächtliche Telefonate und Änderungswünsche bescherte, sie heute aber zu Recht glücklich macht. Ihnen ist ein wunderschönes Haus für die Kunst gelungen, der Bau und seine Sammlung erscheinen tatsächlich wie aus einem Guss.

Das ist keine Selbstverständlichkeit angesichts der riesigen Formate, die Franz Gertsch seit seinen Anfängen vor mehr als dreißig Jahren benutzt und von denen er auch im Alter nicht lassen will. Den Grundstock der Museumsbestände bildet Gertschs komplettes Werk der letzten fünfzehn Jahre – was nach mehr klingt, als es ist. Seit geraumer Zeit widmet sich der 1930 im Kanton Bern geborene Maler fast ausschließlich der Grafik, allerdings in den gewohnten Großformaten, wobei die Bearbeitung der bis zu zwei mal drei Meter großen Platten jeweils ungefähr zwölf Monate in Anspruch nimmt.

So ist es nicht verwunderlich, dass in der Eröffnungsausstellung kaum mehr als zwei Dutzend Bilder hängen. Neben den Holzschnitten der „Schwarzwasser“- und der „Pestwurz“-Serie sind dies die Gemälde „Gräser I-IV“ sowie die Porträts „Silvia I“ und „Johanna I“. Es zeigt sich, dass es im Schaffen des wohl wichtigsten europäischen Vertreters des Fotorealismus Mitte der achtziger Jahre einen fundamentalen Wandel gab.

Praktizierte Gertsch bis dahin den Stil eines ziselierten Hyperrealismus, so beschäftigt er sich seit 1986 in einer Art künstlerischen Umkehrschluss ebenso konsequent damit, seine Motive zum Verschwinden zu bringen. Die mikroskopische Nahsicht bei den „Gräsern“ und stärker noch die fast pointilistische Behandlung der Holzschnitte rufen beim Betrachter die Illusion hervor, die eigentlich gegenständlichen Darstellungen würden sich dem Blick subtil entziehen.Gertsch, so sagte Jean-Christophe Ammann zur Eröffnung, sei nicht nur ein realistischer Maler, sondern „ein Maler der Zeit“, da seine Gemälde auch von der Zeit erzählten, die nötig war, um sie herzustellen. Während die frühen Bilder ihre Präsenz nachgerade herauszuschreien schienen, liegt jetzt eine meditative Ruhe über jedem Ausstellungsraum.

Dieser Glücksfall für Burgdorf war nur möglich durch das Engagement eines einzelnen. Bezahlt hat das Museum und seinen Inhalt (Kosten: „mehr oder weniger“ 20 Millionen Franken) der Burgdorfer Unternehmer Willy Michel. Willy Michel ist kein Sponsor, sondern ein Mäzen: ein freundlicher, bescheidener, ziemlich reicher Mann, der offenkundig Gefallen daran findet, seinen Reichtum großzügig zu teilen. Nicht nur, dass die Stiftung Willy Michel Gertschs Bilder für das Museum gekauft hat, sie wird auch für die Wechselausstellungen aufkommen.

Die Kosten für das Personal soll die mit dem Museum verbundene kommerzielle Galerie übernehmen – ein Novum, welches gegenüber öffentlicher Förderung ein Risiko beinhaltet. Allzu eng sollte die Verbindung zwischen Museum und Galerie nicht werden, schon um dem Eindruck vorzubeugen, es handele sich um eine Veredelungsmaschine des Kunsthandels. Doch das ist hoffentlich nur ein theoretisches Problem. Alles andere hätte dieses Museum nicht verdient.

Franz Gertsch Museum, Burgdorf bei Bern, Di bis Fr 11-19 Uhr, Sa und So 10-17 Uhr.

Ulrich Clewing

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