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Der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik in der Philharmonie, links Chorleiter Justin Doyle.

© RIAS Kammerchor Berlin

Neujahrskonzert des Rias Kammerchors: Inseln in der Unruhezone

Der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik laden beim Neunjahrskonzert zur italienischen Reise.

Mitten im Krieg erscheint plötzlich dieses paradiesischeTraumbild. Ein göttliches Schäferstündchen am Bach, „De torrente in via bibet“, die Stimmen schmiegen sich aneinander, die Waffen schweigen, die Zeit hält inne.

Der Rias Kammerchor unter Justin Doyle überlässt dieses große, melancholische Klagelied aus Händels „Dixit dominus“ nicht den Solistinnen, sondern überantwortet es den Chor-Sopranen, ein Pianissimo-Duett von überirdischer Schönheit. Tenöre und Bässe halten sich zurück, die Männer singen im Sitzen, um die Frauen nicht zu übertönen.

Die Vertonung von Psalm 110, in dem der Herrgott die Feinde zerschmettert und die Toten in kühner Harmonik aufeinander gestapelt werden, hat Georg Friedrich Händel mit nur 21 Jahren komponiert. Gemeinsam mit der Psalm-Komposition „Nisi dominus“ gehört sie zu seinen frühesten geistlichen Werken.

Geschrieben hat er die Stücke auf seiner Italienreise, uraufgeführt wurden sie vermutlich 1707 in Rom: prunkvolle, opernhafte Konzertmusik, bei der die Chorstimmen mit instrumentaler Virtuosität geführt werden. Eine Herausforderung, die der Rias Kammerchor mühelos bewältigt.

Eigentlich war für das Neujahrskonzert des Kammerchors mit der Akademie für Alte Musik Händels opulentes Oratorium „Judas Maccabaeus“ angekündigt, das 40 Jahre später in London entstand. Corona vereitelte den Plan, wegen der Quarantäne-Regeln konnten die Solisten nicht aus Großbritannien anreisen.

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Stattdessen nun ein italienischer Abend in der Philharmonie mit den Vesperpsalmen, dem kantatenhaften „Magnificat“ des Neapolitaners Francesco Durante, dem Concerto grosso g-moll von Henrico Albicastro (hinter dessen Pseudonym sich der deutsche Name Weißenburg verbirgt, man weiß kaum etwas über den Komponisten) und Händels Concerto grosso F-Dur. Ein schwungvoller Muntermacher, den die Akademie für Alte Musik in bewährter Manier stehend spielen und ohne Dirigent, angefeuert von Konzertmeister Georg Kallweit.

Am Ende reihen sich die Solisten im Chor ein, eine schöne Geste des Zusammenhalts

Was für ein Unterschied. Während Durante und Albicastro gleichsam das musikalische Alphabet ihrer Zeit buchstabieren, der eine die gregorianischen Vers-Melodien im „Magnificat“ lebhaft umspielt und der andere mit Fugen-Polyphonie, Echo- und anderen Raumeffekten aufwartet, nutzt Händel die barocken Techniken, um die Psalmzeilen meisterhaft tonmalerisch auszudeuten. Nicht mit feierlich-getragener Frömmigkeit, sondern mit agiler, aktiver Erregung des Geistes. Justin Doyle ist klug genug, die Tempi nicht zu sehr anzuziehen. Schon der trubelige Eingangschor des „Dixit dominus“ bleibt transparent, fast filigran, allem Elan zum Trotz.

Auch die Solisten verzichten auf jegliches Auftrumpfen. Johanna Winkels etwas flatteriger Sopran, Sophie Harmsens verhalten-intensiver Mezzosopran, Patrick Grahls wendiger Tenor, der natürliche Duktus von Andreas Wolfs Bass: vier schlanke Stimmen, die sich angenehm einfügen.

Am Ende, bei den sommergewittrig sich auftürmenden „Amen“-Koloraturen des dem „Dixit dominus“ hinzugefügten Schlussgesangs reihen sie sich gar im Chor ein. Eine schöne Geste zu Beginn des dritten Pandemie-Jahrs, in dem unser aller Zusammenhalt weiterhin gefragt sein wird.

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