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Ideen-Reich. Eine eigene Sprache haben sich die jungen Kreativen für ihr Land Blomagal ausgedacht, dazu mannigfaltige Sitten und Gebräuche.

© Stephan Bögel

"Neuland" in der Deutschen Oper: Wie wir wären, wenn wir könnten wie wir wollen

Aktueller geht’s nicht: In der Tischlerei der Deutschen Oper betreten 22 Geflüchtete und 22 Berliner Jugendliche „Neuland“.

Gemeinhin sagt man der Oper ja nach, dass sie mit ihrem großen Apparat und ihrer Fixierung auf historisches Repertoire den Zeitläuften hinterherhinke. Dass es definitiv auch anders geht, beweist die Deutsche Oper mit ihrem Jugendopernprojekt „Neuland“ eindrücklich. Geplant war das Stück, das die Regisseure Martin G. Berger und Jonas Egloff gemeinsam mit 22 geflüchteten und ebenso vielen aus Berlin stammenden Jugendlichen erarbeitet haben, nämlich bereits Anfang 2015 – also lange bevor die Massenimmigration hierzulande zum gesellschaftlichen Hauptthema wurde.

Eine wichtige Sorge, die man bei der Beschäftigung von Theatern mit dem Thema haben kann, kann die Produktion auf Anhieb zerstreuen: Dass hier nämlich das Leid der jungen Geflüchteten benutzt werden könne, um es auszustellen und die Herausforderungen, die eine gelungene Integration mit sich bringt, über reiner Betroffenheitserregung vergessen zu lassen. Denn „Neuland“ geht einen anderen Weg, indem es die Erfahrung des Ankommens thematisiert – und das Publikum diese Erfahrungen auf spielerische Weise selber machen lässt. Dazu hat das Regieteam zusammen mit den Jugendlichen die Tischlerei der Deutschen Oper in einen neuen Staat verwandelt, in den die Zuschauer, in Gruppen eingeteilt, nun einreisen. Ganz ist Blomagal – so heißt das Land, für das die Jugendlichen sogar eine neue Sprache entwickelt haben – aber offenbar auf den Ansturm nicht vorbereitet, und so muss man sich als Neuankömmling die teilweise höchst merkwürdig anmutenden Sitten, Gebräuche, Familien- und Machtstrukturen erschließen.

Dieses Utopia ist alles andere als konfliktfrei

Als überraschend wichtig für die Orientierung in dem fremden Land erweist sich auf dem als begehbare Installation angeordneten Parcour die Musik: Mit Hilfe der Musiker Milian Vogel (Bassklarinette) und Niklas Tillmann (E-Gitarre) ist das ganze Land in Klänge getaucht, welche die Stimmung der Bewohner seismografisch abzubilden scheinen und die bei gemeinschaftsstiftenden Ereignissen wie TV-Serien, Oper, Sport, Hochzeiten und religiösen Ritualen unmittelbar in feste, komponiert wirkende Formen übergehen können. Schritt für Schritt erschließen sich den Besuchern, die zunächst von der Fülle der Eindrücke und der Sorge, in ein gesellschaftliches Fettnäpfchen zu treten überwältigt sind, einzelne Zusammenhänge. Und mit ihnen auch die ganz realen Erfahrungen, die sich hinter dem bunten Phantasiegebäude verbergen.

Großartig erfunden ist allein das Familiensystem von Blomagal, das auf Dreierbeziehungen basiert, die im „Haus der freien Liebe“ geschlossen werden: Eine Metapher, die sowohl für die starke Bedeutung von größeren Familienverbänden in außerwestlichen Kulturen wie auch für die Wahrnehmung westlicher Beziehungsmodelle durch viele Flüchtlinge stehen kann.

Mit Musik lässt sich häufig besser kommunizieren

Immer tiefer dringt man nun in dieses keinesfalls konfliktfreie Utopia ein, das die Jugendlichen mit gekonnten pantomimischen und tänzerischen Einlagen beleben, während ihre Gäste hinter den Gepflogenheiten immer mehr reale Fremdheitserfahrungen wie auch gespiegelte Strukturen des eigenen Gemeinwesens entdecken. Gerne würde man sich noch länger mit den weisen Phantasien der Jugendlichen beschäftigen, doch da ist die Besuchszeit abgelaufen und man findet sich fröstelnd vor der Oper wieder.

Betroffen steht man den zu einer realen Gemeinschaft gewordenen Darstellern gegenüber, bevor der starke Applaus einsetzt. Aber etwas fehlt noch. Plötzlich beginnen ein paar Jugendliche, auf blomagalisch singend, spontan zu tanzen und der Applaus nimmt den Rhythmus des Tanzes an. Bessere Kommunikation durch Musik – manchmal funktioniert das wirklich.

Noch einmal am 19. April, 20 Uhr

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