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Kultur: Neunzig Jahre im Rang

Das Gewissen der Oper: Zum Tode von Marcel Prawy

Für den echten Opernfan, hat einmal ein kluger Mensch bemerkt, liegt die Goldene Zeit des Gesangs immer gerade soweit zurück, dass er selbst sie noch gerade miterlebt hat. Vielleicht hat niemand je diese Gralsritterschaft der Erinnerung so perfektioniert wie Marcel Prawy. Von Kind auf faszinierte den Geburts- und Überzeugungswiener die Oper, blieb der prunkvolle Ringstraßenbau seiner Heimatstadt sein exklusiver Lebensmittelpunkt, der Kristallisationspunkt all der Erinnerungen an die Heroen und Heroinen, die er im Verlauf seines lebenslangen Dienstes für die Oper kennen gelernt und gehört hatte. Mit seinen Büchern, Vorträgen und Fernsehsendungen wurde der 1911 als Marcel Frydman Ritter von Prawy geborene Spross des Habsburgerreichs für viele zum Gewissen der Oper. Zum Kämpfer für die Schönheit der Melodie und werkgetreue Inszenierungen und zum erbitterten Gegner der zeitgenössischen Musik und der Eigenmächtigkeiten des Regietheaters. Ansichten, die Prawy als Chefdramaturg der Wiener Staatsoper und Volksoper von 1955-1975 auch tatkräftig umsetzte und die ihm zwangsläufig das Image eines heillosen Reaktionärs verpassten. Sein Herz gehörte der Oper – und dennoch liegt seine vielleicht bedeutendste Leistung auf einem anderen Gebiet: Nach dem zweiten Weltkrieg, der ihn zur Emigration in die USA gezwungen hatte, war Prawy maßgeblich für den Siegeszug mitverantwortlich, den das Musical über die Bühnen Europas antrat. Am Sonntag ist der Leidenschaftliche im Alter von 91 Jahren in Wien verstorben.

Jörg Königsdorf

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