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Die französische Schriftstellerin Françoise Sagan. 2004 starb die Autorin im Alter von 69 Jahren.

© dpa / picture-alliance/ Lido

Neuübersetzung von „Bonjour Tristesse“: Der letzte Sommer

Moderner Klassiker: Françoise Sagan sagt noch einmal „Bonjour Tristesse“. Rainer Moritz hat Sagans schnörkellose Prosa im Deutschen sanft modernisiert.

Jugend, heißt es, vergeht. In der Literatur gilt das nicht, jedenfalls nicht für Françoise Sagans Klassiker „Bonjour Tristesse“. Der Roman erzählt so lakonisch wie empfindsam aus der Perspektive einer 17-jährigen Heldin von den Schmerzen des Erwachsenwerdens, dass er bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Wegen seiner sexuellen Freizügigkeit löste das Buch 1954 in Frankreich einen Skandal aus. Als die Autorin, die ihren Debütroman mit 18 Jahren innerhalb weniger Wochen geschrieben hatte, später heiraten wollte, weigerte der Pfarrer sich, sie zu trauen. „Bonjour Tristesse“ ist das ultimative weibliche Coming-of-Age-Manifest, ein Vorläufer aller „Feuchtgebiete“ und „Mängelexemplare“. Nur besser geschrieben.

„Er küsste mich zärtlich. Ich sah zum Himmel hinauf, dann nur noch rote, zuckende Lichter unter meinen geschlossenen Lidern. Die Hitze, die Betäubung, der Geschmack der ersten Küsse und die Seufzer währten endlose Minuten.“ So schildert Cécile, die Ich-Erzählerin von „Bonjour Tristesse“, ihr erstes Tête-à-Tête mit dem jungen Jurastudenten Cyril an einem Strand der Côte d’Azur. Sie ist seit ihrer frühen Kindheit Halbwaise und verbringt die Ferien mit ihrem Vater, der es in der Werbebranche zu Reichtum gebracht hat, und dessen deutlich jüngerer Geliebten Elsa in einer Villa direkt an den Klippen. Es wird, wie Cécile anfangs aus der Retrospektive berichtet, der „letzte vollkommen glückliche Sommer“ ihres Lebens. Denn als eine Freundin der toten Mutter, die Modedesignerin Anne, aus Paris aufkreuzt, gerät das Beziehungsgeflecht der Urlauber in eine gefährliche Schieflage.

„Bonjour Tristesse“ endet mit dem Abschied von der Kindheit

Was ist so qualvoll am groß und stark werden? Vielleicht dies: Man denkt zu viel. „Ich hatte immer bloß gelebt“, bemerkt Cécile einmal. Nun beginnt sie, sich beim Leben zuzusehen. Die Schülerin ist – genau wie ihre Schöpferin Sagan – durchs Abitur-Examen gefallen und müsste für die Nachprüfung büffeln. Stattdessen beschäftigt sie sich mit Reflexionen über das Wesen der Liebe, die „schnell, heftig und flüchtig“ sein solle. Das sind kleine philosophische Splitter, aber mit Kant und Pascal, ihrem Lernpensum, kann sie wenig anfangen. „Ich begriff“, sagt sie, „dass ich begabter dafür war, einen Jungen in der Sonne zu küssen, als ein Diplom abzulegen.“

„Bonjour Tristesse“ endet mit dem Abschied von der Kindheit, die letzten Worte sind der Titel: „Willkommen Trauer“. Rainer Moritz, der Sagans schnörkellose Prosa im Deutschen sanft modernisiert hat, übersetzt „Tristesse“ mit Trauer statt mit Traurigkeit wie noch die Erstübersetzerin Helga Treichl 1955. Das nimmt bereits die Auflösung vorweg. Als Anne und ihr Vater ihre baldige Hochzeit ankündigen, ist Cécile geschockt. Sie plant eine „kleine Komödie“, als deren Regisseurin – spätpubertäre Allmachtsfantasie – sie sich gefällt. Das muss böse enden. „Wir hatten die Sonne und das Meer, das Lachen und die Liebe“, schwärmt Cécile. „Würden wir sie jemals so wiederfinden wie in diesem Sommer, mit diesem Glanz, dieser Intensität?“ Die Antwort ist der Schicksalsseufzer aller Adoleszenzromane: nie wieder.

Françoise Sagan: Bonjour Tristesse. Roman. Aus dem Französischen von Rainer Moritz. Ullstein, Berlin 2017. 170 S., 18 €.

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