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Den Aufstand proben. DJ Ipek (links) und Kontrabil sind Teild er politischen Performancegruppe „Sounds of Unity and Resistance“. Sie treten im Radialsystem auf.

© Mike Wolff

"New Sounds of Istanbul and Berlin": DJ Ipek: Der Klang der Revolution

Verstörung garantiert:  DJ Ipek und Soundkünstler Kontrabil spiegeln in einer Multimedia-Performance die Istanbuler Proteste.

İpek İpekçioğlu, die sich am liebsten schlicht mit ihrem Künstlernamen DJ Ipek anreden lässt, schaut lieber auf Gemeinsamkeiten als auf Gegensätze. Wenn es um die Türkei und Deutschland geht, lässt sich das ganz gut anhand von Berlin und Istanbul durchspielen, den jeweils wichtigsten Metropolen der beiden Länder: „Beide Städte sind von Gentrifizierung betroffen“, sagt sie, „beide Städte werden überrannt von Menschen von außerhalb, und beide Städte verändern sich dadurch stark.“

Die 1972 in München geborene Berlinerin sitzt im Besprechungszimmer des Radialsystems, um ihr jüngstes Projekt vorzustellen, mit dem sie am 3. Oktober auf der Bühne dieses Veranstaltungsortes stehen wird. Sie hat den Soundkünstler Kontrabil mitgebracht, mit dem sie und die Videokünstlerin Karajan die Performancegruppe Sounds of Resistance and Unity bilden. Ihr Plan: in experimenteller Weise die Protestbewegung spiegeln, die sich vor allem rund um den Gezi-Park und den Taksim-Platz in Istanbul gebildet hat. Kontrabil ist Türke, lebt aber inzwischen hauptsächlich in Berlin. Er ergänzt DJ Ipeks Ausführungen in ausgezeichnetem Deutsch: „Beides sind kosmopolitische Städte, und in beiden spielt der Bezug zwischen Ost und West eine Rolle.“

Sounds of Resistance and Unity werden im Rahmen der Veranstaltung „New Sounds of Istanbul and Berlin“ präsentiert. „X-Change“ lautet das Motto dieser langen Nacht im Radialsystem, also Austausch. Und das ist wörtlich zu nehmen. Es geht schon damit los, dass das Programm gemeinsam mit dem Istanbuler Kulturzentrum Borusan Music House gestaltet wird, einer Spielstätte, die sich, ähnlich dem Radialsystem, interdisziplinär um Jazz, neue Klassik und modernen Tanz kümmert. Auch bei „New Sounds of Istanbul and Berlin“ sollen verschiedene kulturelle Spielarten miteinander kommunizieren. Schon mittags geht es los mit Video- und Tanzworkshops, abends wird ein breites musikalisches Spektrum experimentellerer Klänge von Jazz über Oriental bis zu Neuer Musik geboten. Es gibt Performances, Tanz, und am Ende soll dann alles in einer Party münden, bei der auch Techno und House aufgelegt wird, den man ihn in Berlin genauso liebt wie in Istanbul.

Den Großteil des Programms hat DJ Ipek kuratiert. Ein Programm „jenseits von Arabesk und Rock“ wolle sie präsentieren, sagt sie und fügt in ihrem gewohnt lockeren Jargon hinzu: „keine typische Türkenmucke“. Stattdessen gibt es Improv-Klänge vom Istanbuler Trio Konjo und Ceyhun SoSo Kayas eigenwillige Kombinationen aus Weltmusik, Jazz und Minimal Music. Der Künstler spielt Gitarre, Trompete und noch einige weitere Instrumente, die er gern verfremdet, indem er sie loopt.

Gasmasken, Schreie, Jubel - auf der Bühne wird es wild

İpek İpekçioğlu, die pausenlos die musikalischen Strömungen der lebendigen Istanbuler Szene und deren Verflechtungen mit Berlin verfolgt, ist nicht nur DJ, sondern auch Autorin, politische Aktivistin und in immer wieder neue musikalische Projekte eingebunden. Mit ihrer Partyreihe „Gayhane“ im Kreuzberger SO36 wurde sie außerdem zu Identifikationsfigur für queere Migranten in Berlin. Sie ist Deutschtürkin, die zwar in Berlin lebt, aber so oft in Istanbul ist oder mit Istanbulern zu tun hat, dass ihr die Stadt am Bosporus vorkommen wird wie ein weiterer Kiez Berlins. Oder umgekehrt. „Viele Istanbuler stehen auf Berlin, viele Berliner stehen auf Istanbul“, sagt sie. Es gebe einen „fließenden Übergang zwischen den beiden Städten.“

Den Tag der Deutschen Einheit findet DJ Ipek gut gewählt, um ihr neues Projekt hier zu präsentieren. „Berlin war bereits dran mit der Revolution“, sagt sie, „jetzt ist Istanbul dran.“ Sounds of Resistance and Unity präsentiere eine Protestsoundcollage, Aufnahmen direkt von den Demonstrationen in Istanbul, teilweise nachbearbeitet und hintereinandergeschnitten, um den Effekt der Verunsicherung noch zu potenzieren. „Man hört Jubel und Schreie“, sagt DJ Ipek, dazu werden Visuals von den Aufständen gezeigt. Als „sehr experimentell“ und „teilweise schwere Kost“ beschreibt die Musikerin das Performance-Projekt. Die beteiligten Künstler werden während ihres Auftritts Gasmasken tragen, was einen apokalyptischen Eindruck erzeugt. „Als wir mit unserem Projekt schon einmal aufgetreten sind“, sagt DJ Ipek, „kam ein Zuhörer zu uns und meinte, das, was wir da machen würden, sei verstörend und abschreckend. Darauf sagte ich zu ihm: Aufstände sind immer verstörend. Tränengas abzubekommen ist verstörend. Verprügelt zu werden ist verstörend.“

Zu hören sein werden nicht nur Aufnahmen aus Istanbul, sondern auch von den Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo und von den jüngsten Demonstrationen in Brasilien. Soundforscher Kontrabil war viel unterwegs, um mit seinem Aufnahmegerät festzuhalten, wie Revolutionen klingen. Was auf dem Taksim passierte, passiert überall in der Welt, das ist die Botschaft von Sounds of Resistance and Unity. „Auch in Berlin gibt es gerade Aufstände“, sagt DJ Ipek – „von Roma und Flüchtlingen“. Nur kriege das hier kaum jemand richtig mit. Etwas von der revolutionären Stimmung auf dem Taksim, das hört man aus ihren Worten heraus, wünscht sie sich auch für Berlin.

„X-Change – New Sounds of Istanbul and Berlin“, Radialsystem, 3. Oktober, ab 12 Uhr Workshops. Konzert: 20 Uhr

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