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Nezaket Ekici verleiht sich Flügel. Ein Foto aus ihrem Werk „Present and Absent“.

© Andreas Dammertz (2), Joseph Andrew Lake

Nezaket Ekici im Porträt: Was ziehe ich bloß an?

Jeden Tag eine Klamotte, jeden Tag ein Handyfoto. Die Berliner Künstlerin Nezaket Ekici hat aus der Alltagsfrage eine konsumkritische Performance gemacht. Eine Begegnung.

Flach, dafür lang. Kurz, aber dick. Nezaket Ekici wuchtet zwei mit reichlich Luftpolsterfolie gefütterte Pakete durch die Tür. Es sind Fotoarbeiten, die ihr Londoner Galerist ihr ins Atelier im ersten Stock des Kunstquartiers Bethanien schickt. „Kunst ist harte Arbeit“, ächzt sie, „immer dieses Schleppen!“ Dabei waren das erst zwei der sieben Pakete, die der schon vormittags sehnsüchtig erwartete Bote nachmittags nun glücklich unten im Erdgeschoss abgegeben hat. Gut, dass die Frau Muckis hat. Tragehilfe lehnt sie jedenfalls ab.

Die postwendend bejahte Frage „Müssen Sie eigentlich Krafttraining machen?“ ist denn auch ein eher unüblicher Einstieg ins Gespräch mit einer international beschäftigten Künstlerin. Der sportive Aspekt, also die Tatsache, dass eine Performance auch in der bildenden Kunst mitunter eine körperlich anstrengende Angelegenheit ist, wird in der Rezeption ja meist schmählich vernachlässigt.

Boxen, Tanzen, Schwimmen, Sahne schlagen

Von 200 großen Versuchsanordnungen, die die an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig ausgebildete Meisterschülerin der Performance- Heroine Marina Abramovic seit dem Jahr 2000 gestaltet hat, benötigten höchstens zehn kein aufwendiges Material, erzählt Nezaket Ekici. „Ich arbeite ja immer auch installativ.“

Heißt, sie braucht technisches Equipment, Requisiten, Kostüme, Bauten. Was halt so dazu gehört, wenn Boxen, Tanzen, Schwimmen, Baumeln, Wühlen, Toben, Singen oder mit dem bloßen Arm Sahne schlagen Teil der Darbietung wird.

Letzteres hat die 1970 in der Türkei geborene Deutsche beispielsweise 2005 in Istanbul ausgeführt. In eleganter Garderobe steht sie auf einem Podest und rührt mit dem rechten Arm – quasi als lebende Symbolskulptur mühseliger Frauenarbeit – in einem mit Sahne gefüllten Behälter, bis Butter entsteht.

Auch das mit roten Kussmündern bedeckte weiße Mobiliar samt Nippes in der Ecke des Ateliers entstammt einer Arbeit, die Durchhaltevermögen verlangt. Für „Emotion in Motion“, 2000 in München und Basel uraufgeführt, hat Nezaket Ekici in tagelanger Arbeit ein Mädchenzimmer abgeküsst. Was von experimentierfreudigen, ästhetischen, symbolstarken Aktionen wie diesen außer der fotografischen und filmischen Dokumentation übrigbleibt, nennt sie „Relikte“.

Überraschungen als Teil des Konzepts

Die Entscheidung, trotz des Studiums der Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München die flüchtige Ausdrucksform Performance zu wählen, begründet sie mit einem einfachen Satz: „Ich kann mich mit dem Körper besser ausdrücken.“

Wofür wohl das Honigglas dort auf dem Hocker und die in Schraubzwingen eingespannte Glasscheibe bestimmt sind, die auf einem samtunterlegten Tisch steht? Das ist ein Test für das nächste Projekt, sagt Ekici, die als selbst ernannte „nomadische Performerin“ nicht nur zwischen Berlin und Stuttgart, dem Wohnort ihres Mannes, pendelt, sondern viele Wochen im Jahr in Istanbul lebt und überall auf der Welt auftritt. „Ich bin immer unterwegs. Die Heimat ist in mir selber drin.“

Die Gastarbeiter-Tochter ist in Duisburg aufgewachsen und weder im Deutschen noch im Türkischen hundertprozentig zu Hause. Die neue Arbeit „The Honey Project“ beschäftigt sich mit dem Thema Sprache und Identität. Sie führt sie demnächst beim „Baustellenfest“ im Haus am Waldsee zusammen mit ihrem israelischen Kollegen Shahar Marcus und einer vielsprachigen Kollegengruppe auf. Details werden nicht verraten. Überraschungen sind immer Teil ihres Konzepts, mit dem sie kulturelle, religiöse und soziale Identitäten reflektiert.

Ihr aktuelles Projekt ist ein konsumkritisches Kleider-Tagebuch

Die Idee zu der zehnmonatigen Langzeitperformance „Present and Absent“, die Nekazet Ekici in einem gerade erschienenen Künstlerbuch mit Fotos und Texten dokumentiert, ist ihr ein paar Tage nach Beginn des Stipendiums in der Villa Massimo in Rom gekommen. An fast jeder Straßenecke stehen dort fliegende Kleiderhändler, die allesamt aus Bangladesch stammten. Vom 8. September 2016 bis zum 30. Juni 2017 kauft Ekici täglich Kleider, für die sie manchmal nur fünf, höchstens 50 und insgesamt 5000 Euro ausgibt. Nur an den 45 Tagen, an denen Stipendiaten offiziell die Residenzpflicht der Villa brechen dürfen, prangt ein weißes Blatt im Buch, statt des täglich zur selben Zeit vor der terrakottafarbenen Studiowand aufgenommenen Fotos von Ekici und ihrer stets nur einmal getragenen, neu erworbenen Kleidung.

Lust am Konsumrausch. Nezaket Ekici zu Beginn ihres Stipendiums in der Villa Massimo am 9. September 2016.
Lust am Konsumrausch. Nezaket Ekici zu Beginn ihres Stipendiums in der Villa Massimo am 9. September 2016.

© Andreas Dammertz (2), Joseph Andrew Lake

Zu Beginn ist den Fotos des als durchaus konsumkritisch lesbaren Kleider-Tagebuchs noch die Lust am Kaufrausch anzusehen. Nach ein paar Monaten Kleiderterror scheint Ekici aber mehr und mehr der Frust des Kaufzwangs im Gesicht zu stehen. Am 8. Juni 2017 lehnt sie nach einem Sturz gar mit zerrissener Strumpfhose an der Mauer, weil die selbst auferlegte römische Regel besagt, dass sie die Kleidung immer bis zum Schlafengehen tragen muss. Vorher ausziehen ist nicht. Und wenn dann – außer Kälte – manchmal noch eine Allergie gegen synthetische Stoffe hinzukommt, ist auch hier wieder die körperliche Grenzerfahrung komplett. Mal abgesehen von den großen Fragen, die sich angesichts des platzenden Kleiderschranks in der Villa Massimo aufdrängen.

Nezaket Ekici gegen Ende des Experiments am 8. Juni 2017. Da sind nach einem Sturz Knie und Strumpfhose lädiert.
Nezaket Ekici gegen Ende des Experiments am 8. Juni 2017. Da sind nach einem Sturz Knie und Strumpfhose lädiert.

© Andreas Dammertz (2), Joseph Andrew Lake

Sie liebe Stoffe, deren Farben und Ornamente, sagt Ekici, die an diesem heißen Berliner Tag ein schwarzweiß gestreiftes Kleid trägt. „Aber muss man so einen Ballast haben?“ Als Prinzessin vielleicht, aber nicht als Performancekünstlerin. Alle 500 Kleidungsstücke, die auf den 296 Fotos zu sehen sind, hat Nezaket Ekici zu einem großen Kleiderball zusammengerollt, der im vergangenen Jahr bereits im Martin-Gropius-Bau ausgestellt war. Ein hundert Kilo schweres Zeugnis der Billigindustrie, die mittels Sklavenarbeit asiatischer Frauen und Kinder die Bedürfnisse europäischer Schnäppchenjägerinnen befriedigt. Nicht nur wegen des textilen Materials wirkt die Arbeit wie eine Fortsetzung der Ausstellung „Alles, was man besitzt, besitzt auch uns“, mit der Ekici sich 2015 das komplette Haus am Waldsee anverwandelt hat.

„Harmonisch provozierend“ nennt Nezaket Ekici ihre Arbeiten, in denen sie mit Ton, Kunststoff, Fleisch, Äpfeln, Nudeln, Butter oder Flüssigkeiten hantiert und die sie außer in Galerien und Museen in Wälder, auf Wiesen und immer wieder in Flüsse und Meere führen. Die schweigsame, aber beziehungsreiche Schönheit von Textilien spielt dabei eine große Rolle. Oft trägt sie Auftrittskleider mit meterlangen Schleppen, die im Wasser malerisch hinter ihr hertreiben.

Verspielter Umgang mit existentiellen Fragen

Davon, dass Stoff auch Hass und Gewalt auslösen kann, erzählt der orientalische Teppich, der auf dem Atelierboden liegt. Vor drei Jahren war er Teil der vor dem Dresdner Landgericht platzierten Installation „Post it“. Mit dieser Arbeit wollte die aufgeklärte Muslimin Ekici an die Ägypterin Marwa el-Sherbini erinnern, die dort 2009 von einem Islamhasser und Ausländerfeind getötet wurde. Es dauerte nicht lange, und die Teppich-Installation wurde von Vandalen mit „Scheiß Islam“ beschmiert.

In ihren Performances hat sie sich trotzdem weiter mit den abrahamitischen Religionen Christentum, Islam, Judentum auseinandergesetzt. Zumal sie die drei als Einheit betrachtet. „Religion interessiert mich“, sagt die Frau, die zum Kulturbeirat des evangelischen Kirchentags 2017 in Berlin gehörte und 2013 beim Festival „48 Stunden Neukölln“ zusammen mit Mitgliedern der Herrnhuter Brüdergemeine eine hinreißende Performance entwickelte, im weißen Betsaal der Gemeinde. Darin beantworten Ekici und ihre Mitstreiter drängende persönliche Fragen wie „Glaube ich oder nicht?“, „Darf ich Schweinefleisch essen oder nicht?“, „Ist Gott gerecht oder nicht?. Und zwar, indem sie für jede der zehn Fragen die Blütenblätter einer Rose abrupfen, nach der Methode „Er liebt mich, er liebt mich nicht“. Verspielter lässt sich Existenzielles kaum angehen.

Nezaket Ekici: Present and Absent, Diary Villa Massimo 2016/2017. Kerber Verlag, 172 S., 267 Abbildungen, 40 €. – Am 25. August um 14 Uhr zeigen Nezaket Ekici und Shahar Marcus beim „Baustellenfest“ im Haus am Waldsee ihre vierstündige Performance „The Honey Project“. Am 26. August findet ebenfalls um 14 Uhr ein Künstlergespräch mit ihnen statt.

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