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Kultur: Nicht abgestimmt

Bernd F. Lunkewitz steigt aus: Der Berliner Aufbau Verlag meldet Insolvenz an

Die Worte waren dürr, die dpa gestern früh übermittelte, dem Trouble um den Aufbau Verlag mitsamt seiner zutiefst verworrenen Rechtsgeschichte zunächst nicht unangemessen. „Die Berliner Aufbau Verlagsgruppe werde in den nächsten Tagen beim Amtsgericht Charlottenburg Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung stellen, teilte der Verlag am Freitag mit,“ meldete die Nachrichtenagentur.

Vom Verlag, der seinen Sitz in Berlin am Hackeschen Markt hat, gab es da allerdings noch gar keine Pressemeldung, die erfolgte erst zwei Stunden später. Sie bestätigte den Insolvenzantrag, demonstrierte vor allem aber, wie unterschiedlich die Auffassungen zwischen Verleger Bernd F. Lunkewitz und seiner Geschäftsführung in personas Tom Erben und Réné Strien über die Zukunft des Aufbau Verlages sind: „Der bisherige Verleger der Aufbau Verlagsgruppe Bernd F. Lunkewitz hat heute im Namen des Verlages eine dpa-Meldung über die Insolvenz der Verlagsgruppe veranlasst. Die Geschäftsführung stellt anlässlich dieser nicht abgestimmten Information am heutigen Freitag einen Insolvenzantrag, da der Verleger damit deutlich gemacht hat, zu seinen Zusagen über eine Freistellung des Verlages von den Ansprüchen gegen die Treuhand sowie über die Finanzierung des Verlages nicht stehen zu wollen.“ Und weiter: „Bestreben der bisherigen Geschäftsführung ist es, den traditionsreichen und operativ erfolgreichen Verlag zu erhalten, zumal sie in weiten Teilen die Rechtsauffassung des ehemaligen Verlegers nicht teilen kann.“

Im Klartext bedeutet das: Lunkewitz, der Frankfurter Millionär und ehemals strammer westdeutscher Linker, will nicht mehr. Er will kein Geld mehr in einen Verlag pumpen, den er 1991 erworben und seitdem aus eigener Tasche finanziert hat: „Ich habe alles getan, um den Verlag am Leben zu erhalten. Weitere Mittel aus meinem privaten Vermögen werde ich nicht zur Verfügung stellen.“ Seine Geschäftsführung aber ist der Meinung, so Tom Erben gegenüber dem Tagesspiegel, dass es keine Notwendigkeit für einen solchen Schritt gebe, dass Aufbau ein erfolgreicher, populärer, am Markt etablierter Verlag sei und es da „widerstreitende Interessen“ gebe.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist der Kampf von Lunkewitz gegen die Treuhandanstalt – der heutigen Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) –, die ihm und einer Investorengruppe den 1945 gegründeten Aufbau Verlag verkauft hatte. Dabei war sie, wie sich später herausstellen sollte, nicht wirklich Eigentümerin des Verlags. Rechtmäßiger Eigentümer ist seit 1946 der Kulturbund, dem seinerzeit Johannes R. Becher und Anna Seghers vorstanden.

Auf eben diesen Kulturbund wurde Lunkewitz verwiesen, als er die Treuhand im Zusammenhang mit den sogenannten Plus-Auflagen in die Pflicht nehmen wollte. Plus-Auflagen waren in der DDR nicht abgesprochene zusätzliche Auflagen von Büchern von West-Autoren. Damit wurden Gewinne erwirtschaftet, die an die SED gingen. Als viele Westverlage nach der Wende bei Aufbau Ansprüche stellten, verwies Lunkewitz diese an die Treuhand, scheiterte aber. Die Treuhand beteuerte, von den Plus-Auflagen beim Verkauf an Lunkewitz nichts gewusst zu haben, beharrte aber dennoch auf der Rechtmäßigkeit des Verkaufs. Das wiederum bestritt Lunkewitz und nannte die Treuhand schon mal „Räuberbande“ oder „kriminelle Vereinigung“.

Es folgten zwei widersprüchliche Gutachten zur Frage, wem denn der Verlag nun gehört hatte. So oder so, 1995 erwarb Lunkewitz den Aufbau Verlag ein zweites Mal, und zwar beim Kulturbund. Seitdem wird gestritten und prozessiert. Vor zwei Monaten nun erging das letztinstanzliche Urteil des Bundesgerichtshofs: Die Treuhand verkaufte 1991 tatsächlich etwas, was nicht ihr gehörte, sondern eben dem Kulturbund: Es gebe „unstreitige Tatsachen“, so das BGH, dass der „Kulturbund bis zum Beitritt der DDR seine Inhaberrechte an der ehemaligen Aufbau Verlag GmbH nicht verloren hatte“. Und dieser verkaufte den Aufbau Verlag zwar 1995 an Lunkewitz, aber erst mit dem jetzigen Urteil ist der Verkauf rechtsgültig.

Das heißt nun wiederum, dass Lunkewitz fast zwanzig Jahre in ein Unternehmen investiert hat, das ihm mutmaßlich nie wirklich gehörte, sondern erst seit zwei Monaten. Es heißt auch, dass rechtswidrig fast 1500 Lizenzen vereinbart und verkauft wurden – Lizenzen, die ja eigentlich beim Kulturbund lagen. Wem zum jetzigen Zeitpunkt welche Buchrechte gehören, darüber ist noch kein letztes Wort gesprochen. Knifflig ist das besonders bei den Rechten, die Aufbau in den letzten Jahren erworben hatte, etwa von Autoren wie Fred Vargas oder Donna W. Cross. Tom Erben und Réne Strien sind der Auffassung, dass die Verlagsgruppe „keineswegs eine leere Hülle“ sei, wie es Lunkewitz einst beschieden wurde. Sie besitze „sämtliche hochkarätigen Rechte, die sie im Laufe ihrer 17-jährigen Tätigkeit am Markt erworben oder selbst geschaffen hat“.

Bernd F. Lunkewitz fordert nun Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe von der Treuhand, deren Nachfolgerin BvS und letztlich von deren Dienstherr, dem Bundesfinanzministerium. Sein Kampf geht weiter – nun als ehemaliger Verleger. Schon im letzten Jahr hatte es Gerüchte gegeben, er wolle die Brocken hinschmeißen und den Verlag nicht weiter finanzieren, von Verhandlungen mit dem Branchenriesen Random House war da die Rede. Nun hat er die auch für dieses Jahr nötige Unterstützung des Verlags verweigert.

Im Fall Treuhand/BvS-Lunkewitz werden weiterhin die Gerichte das Sagen haben, im Fall des Aufbau Verlags der Insolvenzverwalter. Knapp sechzig Mitarbeiter bangen um ihren Arbeitsplatz, nicht zuletzt die Geschäftsführer. Sie hoffen jetzt auf einen Verlag, der bei Aufbau einsteigt.

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