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Kultur: Nicht nur die Nase

Wie sah Kleopatra aus? Eine Hamburger Ausstellung präsentiert ein neues Bild der letzten Pharaonin

Jede Zeit spiegelt in ihr sich selbst. Dante und Boccaccio sahen die wollüstige Sünderin, die sie tief in die Höllenkreise des „Inferno“ verbannten. Shakespeare fand die große Liebende, die mit Mark Anton im Opfer-Selbstmord endet. HistorismusMaler wie Makart und Böcklin berauschen sich an farbenprächtigem Spektakel und viel weißer, üppiger Frauenhaut. George Bernard Shaw sieht das schnippische Girlie, das Caesar bezirzt, Joseph L. Mankiewicz bietet um Elizabeth Taylor ganze Statistenheere auf, und bei Asterix ist nur eine hübsche, spitze Nase und ein ungezügeltes Temperament geblieben.

Kaum eine Frauengestalt, die die kollektive Fantasie so erhitzt hat, und das von Anfang an. Kleopatras unglaubliche Schönheit wird schon von den Dichtern des augustäischen Zeitalters propagandistisch verwertet, um zu erklären, dass zwei der größten Staatsleute des Imperium Romanum, Caesar und Mark Anton, ihr offenbar besinnungslos verfielen. Was für ihren Überwinder Octavian, den späteren Augustus, den angenehmen Nebeneffekt hatte, sich selbst als moralisch standfest darzustellen. Denn auch an ihm soll Kleopatra ihre Reize versucht haben.

Die Bilder, Filme, Romane und Abhandlungen über Kleopatra sind Legion. Einziger Nachteil: Wie genau die legendäre letzte Nil-Pharaonin ausgesehen hat, weiß man bis heute nicht. Zeitgenössische Münzprägungen zeigen ein herbes, eher männliches Profil mit Hakennase. Wenige zeitgenössische Porträtbüsten sind überliefert, davon eine in Berlin. Plutarch kolportiert, ihre Schönheit sei „nicht ganz so unvergleichlich noch von der Art, dass sie gleich beim ersten Anblick Aufsehen erregen konnte“. Allerdings habe die Königin durch Charme und Klugheit wieder wettgemacht, was ihr an physischer Attraktion abging.

Eine spektakuläre Ausstellung, die der langjährige Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Bernard Andreae, im BuceriusKunstforum in Hamburg ausrichtet, möchte dieses Rätsel lösen und stellt, neben rund 100 hochkarätigen Leihgaben, im Zentrum eine neu zugeschriebene Kleopatra-Statue vor. Es ist die berühmte „Venus vom Esquilin“. Sie ist tatsächlich schön wie eine Göttin: schimmernde, glatte Haut, straffe, kugelrunde Brüste, eine ranke, anmutig geneigte Gestalt, ein ebenmäßiges Gesicht mit schwellendem Mund. Kurz vor dem Bade windet sie sich mit den (abgeschlagenen Armen) ein Band ums Haar, das Gewand liegt schon abgelegt auf einer Vase, die zierlichen Füße stecken in Sandalen.

Warum nun gerade diese Statue, die seit ihrer Entdeckung 1874 zu den berühmtesten Antiken des Kapitolinischen Museums in Rom gehört? Caesar, verliebt und übermütig, soll in Rom einen Skandal verursacht haben, als er eine Statue seiner Geliebten in den von ihm gestifteten Venus-Tempel auf dem Forum Romanum aufstellen ließ, berichten Zeitgenossen. Diese Statue blieb auch nach Caesars Ermordung und Kleopatras Flucht zurück nach Ägypten dort stehen – noch die Historiker Appian und Cassius Dio berichten im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus davon. Die 1874 auf dem Hügel Esquilin, in den Gärten des Claudius gefundene Statue könnte eine Kopie dieser Kleopatra-Statue aus dem Tempel sein, vermutet Andreae: Claudius, ein Enkel von Mark Anton, wird sich des Bilds der großen Liebe seines Großvaters vielleicht gerne bemächtigt haben.

Die These ist, seit sie von Andreae bei einem Symposium erstmals präsentiert wurde, heftig umstritten. Der Konstanzer Historiker Wolfgang Schuller hat sie sich in seiner gerade erschienenen, elegant-süffisanten Kleopatra-Biografie („Kleopatra. Königin in drei Kulturen. Rowohlt Verlag, 19,90 €) zu eigen gemacht, andere reagieren zurückhaltender. Es ist ein Historikerkrimi, der sich hier abspielt, und auch Andreaes Argumentation geht buchstäblich unter die Gürtellinie. Es seien, neben so offensichtlichen Merkmalen wie der pharaonischen Urenäusschlange auf der Vase, vor allem physische Ähnlichkeiten, die ihn überzeugten: der tiefe Bauchnabel, dem ägyptischen Schönheitsideal entsprechend, die von Vorfahren Kleopatras überlieferte wulstige Unterlippe, auseinanderstehende Brüste – und eine Geburtsfalte auf dem Bauch der Schönen. Immerhin hatte Kleopatra mit Caesar einen Sohn und mit Mark Anton drei Kinder, die sie bewusst als politische Nachfolger ins Spiel gebracht hat. Von allen vieren sind in Hamburg – zum Teil gerade erst entdeckte – reizende Kinderstatuen zu sehen.

Im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt ist die Neuentdeckung ausgesprochen effektvoll inszeniert: Kleopatra/Venus steht allein im Zentrum der Rotunde, umgeben von Büsten ihrer Liebhaber, Kinder und Widersacher. Eine römischägyptische Soap Opera mit reichem Personal, von der eifersüchtigen Ehefrau bis zum intriganten Staatsmann Maecenas. Dazu, an den Wänden, prächtige Bildwerke, die von Kleopatras Nachruhm durch die Jahrhunderte zeugen. „Der Rest sind Legenden, die man sich heut noch erzählt“, dichtet Durs Grünbein. Selten ist Forschung so spannend gewesen. Selten aber auch hat sie so einen faszinierenden Gegenstand gehabt.

„Kleopatra und die Caesaren“, Bucerius-Kunstforum Hamburg, bis 4. Februar. Katalog (Hirmer Verlag) 34,90 €.

Christina Tilmann

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