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Ist der nicht zu jung? Solche Zweifel sind beim Schauspieler Nico Holonics noch nicht laut geworden.

© Jörg Brüggemann

Nico Holonics im Porträt: In der „Dreigroschenoper“ am BE gibt er Mackie Messer

Er ist erst 36 und tritt schon in große Fußstapfen. Nico Holonics spielt ab Januar den Messermann. Wie holt man diese Figur in die Gegenwart? Eine Begegnung.

Wenn Nico Holonics in diesen Tagen durchs Berliner Ensemble läuft, dann kann es passieren, dass ihm zum Beispiel ein Techniker hinterhersingt: „Und der Haifisch, der hat Zähne …“

Was, wie man sich denken kann, eine dezente Anspielung auf die Rolle ist, die Holonics ab Ende Januar spielen wird: den Macheath aus Brechts „Dreigroschenoper“. Diesen skrupellosen Messermann und Meuchler minderjähriger Witwen, dessen Schandtaten der Komponist Kurt Weill in einer legendär swingenden Moritat verewigt hat, die zum Welthit werden sollte.

Gecovert von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald, Hildegard Knef und Rammstein. So wie ja die gesamte „Dreigroschenoper“ – uraufgeführt 1928 im Theater am Schiffbauerdamm – mit einem prallen Fundus an Historie und Vorgeschichten kommt.

Natürlich weiß auch Holonics, welche Galerie an Prominenten und Bekannten schon Mackie Messer gespielt hat. Von „Die Toten Hosen“-Frontmann Campino bis zurück zu Harald Paulsen, Hauptdarsteller der Uraufführung und ein unrühmlicher Wendehals, der nur fünf Jahre nach seinem Triumph in der linken Bettleroper mit der Hakenkreuzfahne vorneweg marschierte.

Und natürlich darf man am Berliner Ensemble auch Stefan Kurt und Christopher Nell nicht vergessen, die nacheinander in über 300 Vorstellungen von Robert Wilsons Inszenierung der Brecht-Weill’schen Verbrecherballade auf der Bühne standen.

Er verspürt flirrende Vorfreude

Aber das alles setzt den 36-jährigen Nachwuchs-Macheath nicht unter Druck. Das Gefühl ist eher flirrende Vorfreude, wie auf einer Geburtstagsparty. Außerdem: „Ich war ja auch nicht der Erste, der Richard III. gespielt hat“.

Mit dem monströsen Shakespeare-Part hat sich Holonics am Münchner Volkstheater, frisch von der Schauspielschule kommend, in die vorderste Reihe katapultiert. So wirkmächtig, dass die erwartbaren „Ist der nicht zu jung?“-Zweifel gar nicht erst laut geworden sind.

[„Die Dreigroschenoper“: Premiere am 29. Januar 2021 im Berliner Ensemble]

Auch nicht bei seinem „Don Karlos“ oder später, am Schauspiel Frankfurt, dem aufrechten Herrn Pinneberg in Falladas „Kleiner Mann, was nun“.

Holonics selbst beschreibt seine Anfänge als Schauspieler mit einem Zitat aus „Dantons Tod“: „Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom“. Pure Emotion, aber null Reflektion – so sei er gegen Wände gerannt. „Mit der Zeit“, sagt er, „werden die Kreise größer, in denen man dreht. Nicht nur um sich selbst“.

Auch das Ungeplante kann zum Erfolg führen

Er weiß bereits seit über einem Jahr, dass er der Dandy-Gangster aus Soho werden soll. Seit einem Kennenlerntreffen mit Barrie Kosky, dem Intendanten der Komischen Oper und Gastregisseur der neuen „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble. Holonics sang ihm „Love of your life“ von Queen vor, dazu noch die Moritat – und hatte sein Match.

Ausgerechnet dieser berühmteste Song ist ja nur ins Stück gelangt, weil Ur-Mackie Harald Paulsen moserte, dass seine Figur besser eingeführt werden müsste. Also erfanden Brecht und Weill kurz vor der Premiere noch schnell den Leierkastenmann hinzu.

Wenn man Nico Holonics fragt, ob auch in seiner bisherigen Theaterlaufbahn schon mal das Ungeplante zum Erfolg geführt hat, muss er nicht lange überlegen. Klar: „Die Blechtrommel“.

In Frankfurt, wohin er nach einem Intermezzo an den Münchner Kammerspielen gewechselt war, sollte er den Wachstumsverweigerer Oskar Mazerath spielen, in einer Ensembleinszenierung an der Seite von Constanze Becker und anderen Kollegen.

Aber dann verschwand eines Tages der russische Regisseur und kehrte nicht zurück. Was tun? Absagen? Intendant Oliver Reese hatte die zündende Idee: Er könnte doch die Regie übernehmen und aus dem Stück einen Monolog für Holonics machen.

Ein Monolog entblößt einen Schauspieler

Heute, über 100 „Blechtrommel“-Vorstellungen später, darunter Gastspiele in Moskau, London und Istanbul, erinnert sich der Solodarsteller noch immer gut an die Premiere: „In der Pause kam ich in die Maske und musste die ganze Zeit heulen.“ Nicht aus Verzweiflung. Sondern weil die Emotionen einfach überbordeten, die mit dem alleinigen Schulternmüssen eines ganzen Abends kamen.

„Bei einem Monolog kann dir jeder in die Küche gucken. Am Ende des Abends wissen die Zuschauer genau, was für ein Schauspieler man ist.“ Holonics hatte jedenfalls genug auf der Pfanne, um niemanden mehr an den Film-Oskar David Bennent denken zu lassen. Vorbilder wegspielen zu können, ist keine schlechte Voraussetzung für Mackie Messer.

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Was ist das für ein Typ? Wieso verliebt sich die Ganoventochter Polly Peachum so stürmisch in ihn, dass nach fünf Tagen gleich geheiratet wird? Und wieso verschwindet Macheath als Frischvermählter schnurstracks in den Puff? Mit diesen Überlegungen ist Holonics jetzt schon eine Weile unterwegs.

Er fragt sich auch: „Ist Liebe ein Wert? Was kostet sie in Zeiten des Kapitalismus?“ Und landet bei Tinder, Youporn & Co, den immer verfügbaren Konsumversprechen seiner Generation.

Heute muss man anders über die Stoffe nachdenken

„Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“, so heißt es in einem der Mackie-Lieder. Er denkt an die Menschen in seinem Freundeskreis, die ihre Partner wechseln wie andere die Unterhose. Warum nicht bleiben, kämpfen?

Natürlich führt das alles auch zum Frauenbild des Bertolt Brecht, der ja die entscheidende Arbeit seiner Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann an der „Dreigroschenoper“ nicht ganz so erwähnenswert fand. „Wenn sich im Stück zwei Frauen, Lucy und Polly, zickenkriegmäßig um Macheath streiten, muss man natürlich anders über diese Szene nachdenken als 1928“, sagt Holonics. „Was macht man heute, 2020, damit?“

Die Proben mit Barrie Kosky, die im Dezember beginnen, werden es zeigen. Er hat jedenfalls das Gefühl, dass jetzt ein neuer Abschnitt in seinem Schauspielerleben beginnt. Nach der „Richard“- und der „Blechtrommel“-Phase nun also die „Dreigroschenoper“-Periode. Und vielleicht findet Holonics ja sogar die Antwort auf eine weitere Frage, die ihn seit ein paar Tagen beschäftigt: „Wie würde Brecht heute einen Mackie Messer gespielt sehen wollen?“

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