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Kultur: Nie wieder Streit!

Heute dauert es gerade einmal vier Minuten vom Aufstehen bis zum ersten Streit.Kaum im Badezimmer angelangt, haben sich die Eltern wieder in der Wolle.

Heute dauert es gerade einmal vier Minuten vom Aufstehen bis zum ersten Streit.Kaum im Badezimmer angelangt, haben sich die Eltern wieder in der Wolle.Mal ist es der verschlafene Blick, mal der schlechte Atem.Jeden Tag dieselbe Leier: Mit der Präzision eines Uhrwerks laufen die Kampfrituale ab, fallen erst böse Worte, gehen schließlich Gegenstände zu Bruch.Und die lieben Kleinen hocken traurig in ihren Kinderbetten, stoppen heimlich die jeweilige Streit-Zeit und führen über das Beziehungs-Desaster exakt Buch.Eine Familientragödie?

Mitnichten.Was sich überall und alltäglich ereignet, Ehen zerbrechen läßt, Kinder in heillose Verwirrung stürzt und den kleinen Zuschauern im carrousel-Theater nicht unbekannt sein dürfte, wird bei Peter Dehler zum kabarettreifen Ulk.Der Regisseur setzt der grausigen Familienhölle ein befreiendes Lachen und der bitteren Realität eine schöne Märchenwelt entgegen.Das beschert dem jungen Publikum zwei poetisch verklärte, mit Humor und Happy-End ausgeschmückte Stunden, ist aber vor allem eine inszenatorische Flucht vor den Untiefen eines durchaus sozialkritischen Textes und den Abgründen einer Wirklichkeit, die mit Dehlers harmlos-versöhnendem Zugriff weder erklärt noch verstanden werden kann.

In einer riesigen Baustelle aus Pappkartons (Bühne: Frank Prielipp) wirkt das mit bunten Perücken und aufgemalten Zahnlücken ausstaffierte Geschwisterpaar Filly und Fergal (Vera Krüger und Marko Bräutigam), als hätte es sich aus einer Pippi-Langstrumpf-Geschichte auf die Bühne verirrt.Keine Sekunde glaubt man, daß sie wirklich unter dem Gekeife ihrer Eltern leiden.Denn Herr und Frau Donner (Andreas Keller und Silke Matthias) sind doch nichts als alberne Witzfiguren, groteske Clowns in schlabbrigen Trainungshosen und Filzpantoffeln.Auf Knopfdruck und Stichwort der Kinder rattern sie ihre ritualisierten Phrasen herunter.Wenn ihnen einmal die Lust am Streiten ausgeht, hat Schlaftablette John Carlson seinen Auftritt.Der mit wehender Mähne und langschößigem Zauberrock angetane Musiker klimpert leise auf seinem Klavier, haucht ein paar bei Tom Waits abgelauschte Lieder und mimt mit bassiger Tranigkeit den allwissenden Erzähler.Er ist es auch, der den Kindern den merkwürdigen Meteoritenlöffel schenkt.Mit dem können sie sich ein Loch buddeln, um darin ihren Frust abzuladen.Oder um durch einen Zeittunnel auf eine schöne Insel zu verreisen.Da gibt es Palmen und Papageien und ein turtelndes Liebespaar, das ihren Eltern - als sie noch jung und knusprig waren - verdammt ähnlich sieht.Weil so viel Geknutsche und Geschlabber niemand aushalten kann, beamen sich die Kinder von der Trauminsel zurück nach Hause.Wie schön, daß dort, oh Wunder!, geläuterte Eltern auf sie warten."Nie wieder Streit!" singen alle, und die an Harmlosigkeit kaum zu überbietende Inszenierung hat endgültig ein brisantes Thema leichtfertig verschenkt.

Wieder am 19.2., 10 Uhr, 20.2., 16 Uhr.

FRANK DIETSCHREIT

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