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Kultur: Niels Borch Jensen zeigt Martin Kippenbergers letzte Werke

Es hat wenig mit technischer Reproduzierbarkeit zu tun, wenn man von Lithografien, Radierungen, Fotogravüren redet. Es ist ganz einfach ein eigenes Medium, das aussehen kann wie Malerei, wie Zeichnung, wie Fotografie.

Es hat wenig mit technischer Reproduzierbarkeit zu tun, wenn man von Lithografien, Radierungen, Fotogravüren redet. Es ist ganz einfach ein eigenes Medium, das aussehen kann wie Malerei, wie Zeichnung, wie Fotografie. Das vielleicht auch eine bekannte Handschrift neu übersetzt. Doch das Resultat insistiert auf Autonomie und hat mehr mit Serialität zu tun, als mit Ähnlichkeit und Imitation, Thema und Variation. Trotzdem gilt die Druckkunst noch immer als Auflagenobjekt und in einem auf Unikate fixierten Kunstmarkt als zweitrangiges Medium.

Die meisten Kunstsammler haben ihren Hunger nach Bildern erst einmal mit Drucken gestillt, bevor sie sich und ihr Scheckbuch in die Hände der Galeristen und Auktionatoren gegeben haben, um die wahren Höhen und Tiefen des Sammlerdaseins zu durchleben. Die perfekte Einstiegsdroge also, oder doch eher ein noch zu entdeckendes Paralleluniversum? Die Kopenhagener Druckwerkstatt Niels Borch Jensen gilt als eine der besten in Europa, die nicht nur technisch perfekte Werke produziert, sondern selbst widerstrebende Künstler immer wieder davon zu überzeugen vermag, ein neues Medium auszuprobieren und ihre individuelle Signatur den Druckplatten einzuprägen.

Um das auch der Berliner Kunstszene vor Augen zu führen, hat sich Niels Borch Jensen vor kurzem entschlossen, eine Dependance in Kreuzberg zu eröffnen, die das ganze Repertoire seiner Druckkunst in Wechselausstellungen präsentiert, bevor ab März auch die ersten Bögen das Label "made in Berlin" tragen werden. Zwar kann man mit der Presse hier nicht die ganz großen Formate drucken wie in Dänemark, dafür liegt die Kunstszene mit ihrem ganzen Potenzial gleich vor der Tür.

Zurzeit richtet sich der Blick mit Arbeiten von Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Michael Würthle noch auf das Berlin der Vergangenheit: eine Hommage an den 1997 verstorbenen Kippenberger, die auch seine zuletzt entstandenen Arbeiten präsentiert. "Air Blasters" heißt das Triptychon, das Bilder fehlgeschlagener Raketenstarts neben Aufnahmen von historischem Krankenhausmobiliar stellt (Auflage 24, 6000 Mark). Das berühmte Bild der Explosion der "Challenger" etwa ist mit einem mittelalterlichen Krankenbett aus dem medizinhistorischen Museum in Kopenhagen kombiniert, in dem ein gesichtsloser Stoffpuppen-Dummy ruht. Hier sind der technische Fortschritt und eine überkommen geglaubte Heilkunde über formale Korrespondenzen zu einem intuitiven Bild von der Kontingenz der High-Tech-Welt collagiert: Sterblichkeit als noch immer ungelöstes Problem.

Eine 1996 entstandene Serie von sieben Farbradierungen zeigt den typische Kippenberger-Kosmos aus Eierfrau und Eiermann - seine umfangreiche Kunstproduktion widmete sich ja zeitweilig dem Thema "Das Ei in der Kunst und im Alltag" -, lakonischen An- und Ausziehbildern und "Burberry meets Burlington". Das eigentliche Zentrum dieser Hommage im Kleinformat bildet jedoch ein Selbstporträt (Auflage 21, 5000 Mark): der Künstler als Torso, in einem schrankartigen Schrein platziert, eher schwebend als stehend, und von einer Kreisform umfangen wie von einem profanen Heiligenschein. Der Blick geht nach rechts aus dem Bild, die Farben sind düster - ein collagierter Druck aus Aquatinta und Fotogravüre, im Nachhinein fast ein wenig prophetisch.

Albert Oehlens 1998 entstandenes Porträt von Kippenberger im Großformat setzt im Vergleich mehr auf den dandyhaften Faktor und Max Beckmann-Großstadtglamour in der 90er-Version - der Künstler als Bohèmien im schwarzen Anzug jenseits von Mythos und Moderne. Diese Inszenierung währt jedoch nicht lange; schon ein Blatt weiter wird die Figur ebenso kunstvoll wie komplett zerlegt zum dissoziierten all-over aus Körperfragmenten, Zigarette und Weinglas, irgendwo zwischen Neo-Kubismus und figurativem Pollock (Auflage 18, jeweils 4000 Mark). Eine ganz andere Facette des legendären Settings "Achtziger Jahre - Neue Wilde - Berlin-Bohème" präsentiert Michael Würthles Künstlerbuch "Aufzeichnungen eines bewaffneten Schankprinzen im Exil 1972-1979", das diverse Eskapaden aus besagtem Lokal "Exil" schildert. Herausgegeben von der Galerie Bruno Brunett, mittlerweile unter dem Namen "Contemporary Fine Arts" aktiv, zeigt Würthles comic-artiges Skizzenbuch ein Berlin, das längst nur noch in solchen legendenfördernden Publikationen zuhause ist.Niels Borch Jensen Verlag und Druckkunst, Naunynstr. 38, bis 5. Februar; Dienstag bis Freitag 14-18 Uhr, Sonnabend 10-14 Uhr.

Vanessa Müller

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