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Kultur: Niemandsland

Daß niemand in Deutschland fähig war, ein Projekt wie "Holocaust" oder "Schindlers Liste" auf die Beine zu stellen, läßt sich vielleicht nicht entschuldigen, aber es läßt sich immerhin erklären.Die Angst, sich an dem Thema die Finger zu verbrennen, dazu noch der materielle Aufwand, den die Rekonstruktion eines Massenmordes erfordert - das ist wohl zuviel für eine Filmindustrie, die sich vor wirklichen Herausforderungen drückt.

Daß niemand in Deutschland fähig war, ein Projekt wie "Holocaust" oder "Schindlers Liste" auf die Beine zu stellen, läßt sich vielleicht nicht entschuldigen, aber es läßt sich immerhin erklären.Die Angst, sich an dem Thema die Finger zu verbrennen, dazu noch der materielle Aufwand, den die Rekonstruktion eines Massenmordes erfordert - das ist wohl zuviel für eine Filmindustrie, die sich vor wirklichen Herausforderungen drückt.Bei "Bent", hätte sie sich sagen können, liegt der Fall anders.Martin Shermans Bühnenstück aus dem Jahr 1979 schildere schließlich nur einen Randaspekt der Vernichtung in den Lagern: Die Zahl der im Dritten Reich ermordeten Homosexuellen wird auf höchstens 100 000 geschätzt, und von dem Paragraphen 175 waren nur Deutsche betroffen.Und doch: Fast 20 Jahre hat es gedauert, bis der Theater-Welterfolg für die Leinwand adaptiert werden konnte - nicht in Deutschland freilich, sondern in England.

Die Männer, die im KZ den rosa Winkel tragen mußten, waren gesellschaftlich so schlecht angesehen, daß niemand nach 1945 Schuld- oder Schamgefühle empfand.Im Gegenteil, Roberto Rossellini präsentierte in "Rom, offene Stadt" (1945) eine lesbische Gestapofrau, die Widerständlerinnen mit Drogen gefügig macht, und in "Deutschland im Jahre Null" (1948) einen pädophilen Nazi-Lehrer - beide Filme gelten noch heute als antifaschistische Meisterwerke.

Es sind nicht die guten Absichten des Filmes "Bent", die beeindrucken, sondern seine Form.Regisseur Sean Mathias läßt "Bent" in einem Niemandsland spielen: Er hat keine Szene in Berlin gedreht, wo die Handlung einsetzt, und für Dachau mußte ein leeres Fabrikgelände herhalten.Manchmal auch erinnern nur die Uniformen daran, daß "Bent" 1934 spielt.Eine Ikone der sechziger Jahre wie Mick Jagger soll, in der Rolle des Transvestiten Greta, die wilden Zwanziger verkörpern.Und es irritiert, den stets netten Rupert Graves als Gestapo-Mann zu sehen.Aber: Warum interessieren sich denn amerikanische und britische Schwulen-Aktivisten für ein Kapitel der Geschichte, das sie selbst gar nicht gekannt haben? Doch nur, weil die Toleranz für solch ein Staatsverbrechen auch außerhalb von Nazi-Deutschland bestanden hat - und besteht.Menschen, die wegschauen - ein zentrales Motiv von "Bent" - wird es immer geben.Ob die Gewalt von SS-Männern oder einer Jugendgang ausgeht, ist zweitrangig.

Die Handlung konzentriert sich auf zwei Männer.Horst (Lothaire Bluteau), ein Krankenpfleger, hat vor Jahren einmal eine Petition gegen den Paragraphen 175 unterschrieben und ist deshalb ins KZ eingewiesen worden.Wir lernen ihn als einen abgebrühten Mann kennen, der bereits über die nötigen Überlebensstrategien verfügt.Ganz anders Max (Clive Owen), der vergeblich versucht hat zu emigrieren: ihn kostet es große Überwindung, seinen besten Freund Rudi unter Anleitung der SS zu mißhandeln oder mit einem toten 13jährigen Mädchen zu schlafen.Doch von Horst lernt er, sich anzupassen und gleichzeitig geistig Widerstand zu leisten."Bent" besteht fast nur aus Nahaufnahmen und Halbnah-Einstellungen, ein Gefühl von Theaterhaftigkeit bleibt.Es stört jedoch keineswegs - es ist die Monotonie des KZ-Alltags, die die Häftlinge quält.

Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Nord, Xenon (alle OmU)

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