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Kultur: Nietzsche-Parodie: Der kastrierte Philosoph

Rosen und Buchstaben überall. Lampenschirme und silberne Totenköpfe.

Von Sandra Luzina

Rosen und Buchstaben überall. Lampenschirme und silberne Totenköpfe. Auch in seiner neuen Produktion "Bad Boy Nietzsche", die im Hebbel-Theater ihre Deutschland-Premiere vor einem ausgewählt-akademischem Publikum erlebte, sperrt Richard Foreman seine Protagonisten in ein enges Bühnenkabinett. Aus dem Fundus des abendländischen Geistes wurde lauter symbolischer Ramsch angehäuft: Wer will in dieser Rumpelkammer verbleiben? Niemand. Der Bühnen-Nietzsche ist stationär eingeliefert.

Dieser Nachruf zum 100. Todestag des Philosophen ist eine ausschweifende Nietzsche-Phantasie, eine grelle und alberne Nietzsche-Parodie. Der Abend schwankt zwischen verquastem Ernst und terroristischer Belustigung. Wir sind Zeuge einer Entgeisterung. Wir sehen nicht den Denker auf der Bühne. Foremann erliegt nicht der Versuchung, die Zuschauer mit einer Auslese von Nietzsche-Aphorismen zu bombardieren, dessen Denken einzuhämmern. Nur wenige Zitate und Randnotizen aus Briefen und Gedichten irrlichtern durch einen doch recht dünnen Text. Foreman wählt - kaum überraschend - die Perspektive des Wahnsinns. Der Wahnsinn brach nicht erst aus, als Nietzsche den Kutschergaul weinend umarmte. Wie aber das Nietzsche-Bild gehämmert wird in diesem postmodernen Basteltheater, hat durchaus etwas Gewalttätiges.

Er ist nur Narr! Gary Wilmes als Nietzsche verlegt sich aufs tapsige Humpeln, er spielt nicht den Philosophen, der die Gedanken zum Tanzen bringt. Unter der Schlafhaube ein Idiotengrinsen. So schwerfällig, wie er sich bewegt, spricht er auch. Ständig fällt er hin oder wird von den anderen zu Fall gebracht, wiederholt tut er sich weh und schreit laut: Aua! Kein Schmerzensmann nimmt hier Gestalt an. Stattdessen träumt er von einem chinesischen Pferdchen.

Eingekreist wird der Schelm von einem Kind, einer schönen Frau, einem grausamen Mann und einem Chor der aggressiven Diener. Sie befragen und drangsalieren den armen Friedrich. Foreman wühlt sich durch den Metaphern-Fundus Nietzsches. Fliegen, Tanzen, Gebären, Schiffbruch. Aus der Bühnenrumpelkammer werden kleine Laubsägearbeiten hervorgeholt, ein Schiffchen, in die Luft ragende Beine, Fischaugen und Judensterne. Requisiten wie aus dem Kindertheater, die das Geschehen symbolisch umzingeln und persiflieren. Nietzsche der Antisemit - diese Verfälschung wird in einem langatmigen Sketch verhandelt. Nietzsche und die Schöne liefern sich einen Disput, ob in dem Brot nun Juwelen (Juwels) oder Juden (Jews) eingebacken sind.

Hier ist ein Mensch!

Beim Ontological-Hysteric Theatre schnurrt das Bühnengeschehen wie ein präzises Uhrwerk ab. Die Aktionen steigern sich zu einer kurzen Raserei, zu einem flüchtigen Tumult, dann beruhigen sie sich wieder zu einem Schlafhauben-Theater. Musikeinsprengsel und - Endlosschleifen, Seufzen, Stöhnen und Singen vom Band laden das Spiel narkotisch-dramatisch auf. Die Bühne versinkt abrupt im Dunkel, erhellt sich in kleinen Lichtblitzen. Sollen hier Nietzsches Denkbewegungen nachvollzogen werden?

Für die verborgenen Ängste und Obsessionen, denen Foreman immer nachspürt, hat er sich diesmal den deutschen Philosophen als Schutzpatron gewählt. Die Stimme des Meisters vom Band verkündet beschwörend: "Hier ist ein Mensch, der sich einfach nicht von seinen selbstzerstörerischen Motiven freimachen kann". Die szenische Beweisführung hinkt allerdings heftig. Foreman will in den Triebgrund dieses Denkens vordringen. Das Kapitel Nietzsche und die Frauen: fatal banal. Text statt Sex. Der dem deutschen Pfarrhaus entsprungene Philosoph wusste keinen Gebrauch von seinem Geschlecht zu machen. Gary Wilmes klemmt es weg, dieses befremdliche Körperteil. Dafür bedrängen ihn Chimären der Geilheit, barbusige Frauen in Strapsen und Mieder locken und verspotten ihn. In Juliana Francis verschmelzen Lou von Salomé und die Nietzsche-Schwester und -Fälscherin Elisabeth zu einer Hohepriesterin der Grausamkeit. Der "Wille zur Macht" als Sado-Maso-Nummer: Damit rutscht der Abend endgültig in die Vulgärpsychologie ab.

Bad Boy Nietzsche? Alle sind ganz fürchterlich gemein zu diesem sanften Narren. Und der kann sich dieser Heimsuchungen nicht erwehren. Was als Mummenschanz daherkommt, will doch ein bitterböses Spiel um Macht und Ohnmacht sein. Vorgeführt wird der kastrierte Philosoph. Der Austreibung des Geistes. All das, was an diesem dionysischen Philosophen gefährlich sein könnte, wird weggesperrt. Nietzsche geht freiwillig in die Verbannung, steigt in eine dunkle Kammer. Und kehrt doch immer wieder zurück. Wir werden ihn nicht los, diesen bad boy. Sagt Richard Foreman. Und zeigt uns doch nur einen impotenten Denker, einen Nietzsche-Popanz, der niemanden mehr zu entzünden noch zu verstören vermag.

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