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Niklas Franks Vaterbuch: Eine deutsche Familie

Niklas Frank streitet mit seinem Bruder über den Vater – den „Schlächter von Polen“.

Niklas Frank eilt ein Ruf als Vatermörder voraus. Der Journalist wurde bekannt durch seine Abrechnungen erst mit dem Vater und dann mit der Mutter. Nun hat Frank seine Familientrilogie quasi vollendet. Auch seinem Bruder Norman hat der ehemalige „Stern“-Reporter kurz vor dessen Tod noch den Prozess gemacht. Eine deutsche Familiengeschichte mit all ihren Abgründen liegt damit geschlossen vor.

1987 veröffentlichte Niklas Frank die Abrechnung mit seinem Vater, der kühle, schmucklose Titel: „Der Vater“. Es war ein Paukenschlag, eine persönliche Anklage gegen den Generalgouverneur im besetzten Polen, den als „Schlächter von Polen“ in die Geschichte eingegangenen Vater Hans Frank – eine Anklage und ein später Prozess gegen den eigenen, vom Militärgericht 1946 in Nürnberg gehenkten Vater. Das Buch trug dem Sohn Niklas Frank anonyme Morddrohungen ein, Verrisse, Häme, blanke Ablehnung.

Doch Frank ließ sich nicht irre machen und wurde zum Störenfried einer aus seiner Sicht wohlfeilen Geschichtsschreibung. „Der Vater“ war ein einziger Wutschrei, ohnmächtig, abgründig, aufwühlend. Auch der Bericht über die Mutter, 2005 unter dem Titel „Meine deutsche Mutter“ erschienen, war vielen nicht geheuer und auch nicht geschmackvoll genug. Man fragte sich pikiert, ob eine solche Abrechnung mit der eigenen Mutter aller Öffentlichkeit nötig sei.

Nun also der dritte Band zur Familiengeschichte über den Bruder Norman, mit einem Zitat von ihm als Titel: „Mein Vater war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn“. In diesem Zwiespalt bewegt sich der Dialog zwischen den Brüdern. Niklas Frank konfrontiert seinen Bruder mit den Dokumenten und entlarvt die lebenslangen Widersprüche einer standhaften Verdrängung. Die Brüder ringen miteinander, werfen sich gegenseitig Grobheiten an den Kopf, Lügen, Wahrheiten, Beschimpfungen. Sie belauern sich, giften sich an, sind eifersüchtig aufeinander, lieben sich, streiten sich, verletzen sich.

Für beide ist diese Auseinandersetzung sehr schmerzlich. Beide sind intelligent, schlagfertig, belesen. Der eine, Niklas, ist gewappnet mit all seinen Vorkenntnissen und den Dokumenten aus grauer Vorzeit, den Briefen der Familie, den Reden des Vaters, den Äußerungen von Zeitgenossen. Der andere hört sich die Unerhörtheiten an, schluckt, glaubt es nicht, nimmt eigene Irrtümer zur Kenntnis, eigene Verdrängungen, Lügen, die Abgründe deutscher Geschichte. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Bruder Norman erinnert sich nicht an die SS-Kaserne neben seiner Schule in Krakau, nicht an halbnackte Juden, die in bitterer Kälte Kohlensäcke abladen mussten, nicht an die Peitschenhiebe, nicht an Quälereien aus purer Lust und auf offener Straße. Der Bruder will sich nicht erinnern, er kann sich nicht erinnern.

Doch ein Schulfreund von Norman erinnert sich sehr wohl und schreibt es sogar auf. Der Schulfreund hat ein Büchlein für seine Enkel gemacht, damit nichts vergessen wird. Frühjahr 1944: Auf einem Lkw sieht der Schulfreund von Norman jämmerliche, abgemagerte, heruntergekommene Gestalten. Hinten auf dem Lkw steht der Zielort in großen Buchstaben gemalt: Auschwitz. Das Vernichtungslager ist förmlich plakatiert.

In langer Reihe hängen an Telefonmasten die Toten an Galgen. Zur Abschreckung vor aller Augen. Darüber konnte keiner hinwegsehen. Wie konnte später gesagt werden, man habe nichts gewusst? Und die Spottlieder und antisemitischen Witze? In aller Munde, herzhaft und gehässig gebrüllt und selbstgefällig weitergetragen. Auch das ist bei Niklas Frank nun nachzulesen. Der Autor macht all das plastisch, er kennt keine Tabus, reiht eine Ungeheuerlichkeit an die andere. Und macht damit, stellvertretend für die Deutschen, auch seinem geliebten Bruder den Prozess.

Frank leuchtet in die Abgründe einer deutschen Familie. Er enthüllt die Tragik gespaltener Seelen. Drei Geschwister bleiben auch nach dem Tod des Vaters national und faschistisch. Auch die Mutter rückt nicht ab vom alten Denken. Bruder Norman flüchtet sich in den Alkohol, erinnert sich lieber an das Glück der Kindheit und die Abenteuer der Pubertät, will alles andere vergessen.

Ein paar Anekdoten aus großer Zeit sind ihm im Gedächtnis geblieben. Mit Roland Freisler, dem geifernden „Blutrichter“ Hitlers, beim Frühstück: witzig war der, erinnert sich Norman. Als Fünfjähriger saß er auch auf Hitlers Schoß: beißend ironisch denkt Norman daran zurück, mehr nicht. Schön gefärbte Bilder eben. Damit kommen die Brüder der Wahrheit nicht näher. Und doch erkennt Bruder Norman ab und an etwas, nimmt den Dokumenten die Beweiskraft ab – und widerruft im nächsten Moment das schreckliche Erwachen. Niklas Frank, der Autor, kommt sein Leben lang nicht los von seiner mörderischen Familie und der Scham über die deutschen Verbrechen. Seit Jahrzehnten wühlt er im Urschlamm und möchte verstehen, begreifen, wissen, warum. Eine Frage der Selbstachtung? Eine Frage des Überlebens? Ein Ringen mit dem Trauma, ein Kampf gegen die Verpanzerung.

Niklas Frank hat ein tabuloses, ein tragisches und sehr schmerzhaftes Buch geschrieben. Die Wucht der Worte ist überwältigend. In dieser Befragung, in diesem Dialog zwischen zwei Brüdern kommt keiner ungeschoren davon, auch der Leser nicht. Ein umwerfendes Buch, bitter, trostlos, verzehrend. Eine Entblößung, herausfordernd, selbst zerfleischend, klar und einfach und packend geschrieben. Ein Lehrstück.

„Wir waren eine verschwiegene Familie“, bekennt Norman irgendwann. Bruder Niklas hat dieses Schweigegelübde brachial zerschlagen. Stefan Berkholz

Niklas Frank:

Bruder Norman! „Mein Vater war

ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn.“ Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2013. 316 Seiten, 22 Euro.

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