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Das ganze Gewicht der Welt. Mit seinen Äußerungen zum Serbienkrieg hat sich Peter Handke ins Abseits gestellt.

© imago/Agencia EFE

Nobelpreis für Peter Handke: Der Schamane aus Chaville

Schreiben, um die Sprache hinter sich zu lassen: Peter Handke sucht in seiner Literatur nach dem sanften Gesetz.

Von Gregor Dotzauer

Ein weltberühmter Autor, den nur noch Eingeweihte lesen. Ein Heiliger Franziskus aus der Pariser Vorstadt, der mit den Bienen und Pilzen spricht. Der eremitische Fürst eines Friedens, der den geliebten Bleistift zornesrot in einen tödlichen Speer verwandeln kann.

Ein großer Wanderer, der am Wegesrand bei Tag mystische Dingkonstellationen erkennt, deren Kraft sich auch auf den Leser überträgt. Und ein Visionär, der seine einzigartige Divinationsfähigkeit sofort verliert, wenn er sich über das Tatsächliche erhebt und Gegenwelten einklagt, wo ein klares, von jedem überprüfbares Urteil über die Wirklichkeit gefordert ist.

Über Peter Handke, den mittlerweile 76-jährigen Kärntner mit slowenischen Wurzeln, ist schon fast alles geschrieben worden. Auch er selbst, ein Grafomane, der in dem Moment ersticken würde, in dem er den Stift fallen lassen müsste, hat schon fast alles einmal so ähnlich geschrieben, nur eben nicht den einen Satz mehr, nach dem der vorhergehende verlangt. Jenen „Ruck der möglichen Fortsetzung“, den er 1987 in „Nachmittag eines Schriftstellers“ beschwor: „Jedes Wort, das nicht gesprochen, sondern als Schrift, das andere gab, ließ ihn durchatmen und schloss ihn neu an die Welt; erst in solch einer glückenden Aufzeichnung begann für ihn der Tag, und es konnte ihm dann auch, so meinte er jedenfalls, bis zum nächsten Morgen nichts mehr geschehen.“

Was Handke da notierte, zehn Jahre nachdem sein Journal „Das Gewicht der Welt“ die spirituelle Wende einleitete, die er mit der Tetralogie „Langsame Heimkehr“ vollzog, ist auch das Glück seiner Leser: der Suchtstoff, den seine beste Prosa erzeugt: das eher Erzählende der „Kindergeschichte“ oder das eher Betrachtende der „Lehre der Sainte-Victoire“.

Eine befreiende Weite, die an die weitgehende Handlungslosigkeit seiner Bücher geknüpft ist. Ein selbst in der unerträglichen Gespreiztheit mancher Sätze lichtes Gewebe, das alle Zwänge rein instrumentell gebrauchter Sprache abgestreift hat. Handkes Literatur enthält auch in ihren fragwürdigsten Augenblicken eine Idee von Literatur, die über ihre eigene Praxis hinausweist.

Die Schwedische Akademie hat dieses geduldige, in langen Satzperioden immer wieder neu ansetzende philosophische Denken mit und in den Dingen nun mit dem Literaturnobelpreis gewürdigt. Doch mit welcher Begründung? Handke, heißt es, erhalte die Auszeichnung „für ein einflussreiches Werk, dass mit linguistischer Ingenuität die Peripherie und die Besonderheit der menschlichen Erfahrung erkundet hat“.

Schiefer kann man es kaum ausdrücken. Denn von welchem Handke soll hier die Rede sein?

Der Sprachkritiker, der in den 1960er Jahren in durchaus österreichischer Tradition gegen linguistische Strukturzwänge mit Permutationsspielen aufbegehrte, ist lange tot. Der Autor von Theaterstücken wie der „Publikumsbeschimpfung“ (1966) oder der Kaspar-Hauser-Hommage „Kaspar“ (1967) trat mit existenzialistischen Parabeln wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970) erst in den Schatten des von ihm verehrten Franz Kafka.

Unter Stifters sanftem Gesetz

Später suchte er sein Heil unter den Sonnen Goethes und im Schutz von Adalbert Stifters sanftem Gesetz. Seit bald 40 Jahren arbeitet er daran, die gesamte Sprache durch Sprache hinter sich zu lassen und eine Unmittelbarkeit der Anschauung zu erreichen, die es so nicht geben kann.

Genau das ist der Punkt, an dem ihm völlig zurecht seine verblendete Parteinahme für das Serbien von Slobodan Milosevic vorgehalten wurde. Doch in dem Maß, in dem Texte wie die „Winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina – Gerechtigkeit für Serbien“ (1996) die Rechte der Literatur überstrapazieren, indem sie dem Journalismus sagen wollen, wo die vermeintlich tiefere Wahrheit liegt, so wenig setzen sie, von Handkes persönlichen Irrungen und Wirrungen abgesehen, außer Kraft, was seine Romane leisten.

Handkes proserbische Texte lassen sich in ihrer Literatur mit Journalismus verwechselnder Einspruchsgeste an vielen Stellen falsifizieren und in ihren polemischen Strategien enttarnen. Mit seinen Romanen gelingt das nicht. Die Stockholmer Jury hat von daher gut daran getan, die rein moralische Perspektive auf den längst in Ruhestand gegangenen Hobbypolitiker außen vor zu lassen und das in manchem Untrennbare zumindest anders zu gewichten.

Ungeeignet für humanistische Festreden

Nein, dieser Schriftsteller taugt nicht für humanistische Festreden – und zwar weniger, weil er sich dabei nicht schon um Kopf und Kragen geredet hätte, sondern weil seine Literatur in einer Welt angesiedelt ist, aus deren Zentrum der Mensch auf wundersame Weise entrückt ist. Man muss ihn davor bewahren, sich auf ein Gebiet zu begeben, das nicht das seine ist.

Wenn die Formulierung der Akademie, Handkes Bücher handelten von der Besonderheit der menschlichen Erfahrung, also darauf zielen sollte, diese Erfahrung eben nicht als etwas Besonderes zu verstehen, könnte man das glatt als eine Haltung ökologischer Demut interpretieren.

Sich neben alle anderen Kreaturen in eine als pantheistisch erlebte Schöpfung einzufügen, lässt sich nun einmal nicht unter Umgehung der menschlichen Perspektive bewerkstelligen.

Epiphanischer Zauber

Vor zwei Jahren legte dieser Schamane aus Chaville mit dem Roman „Die Obstdiebin“ sein erstes großes Alterswerk vor: eine Expedition in die Picardie vor seiner Haustür, in der er den ganzen epiphanischen Zauber seiner Wahrnehmung noch einmal zu entfachen versucht.

So, wie das Lob des Einfachen hier über die Ufer tritt, ist es sicher nicht das ideale Entrée in seine Welt. Aber wo ginge für jemanden, der Handke nie gelesen hat, die Türe zu diesem philosophischen Schreiben auf?

In seiner erschütternden Nüchternheit ist sicher das schmale autobiografische Mutterbuch „Wunschloses Unglück“ aus dem Jahr 1972 noch immer eine erste Wahl. Sie sollte niemanden davon abhalten, sich auch in die unwegsameren Gebiete zwischen dem slowenischen Karst („Die Wiederholung“) und der spanischen Sierra de Gredos („Der Bildverlust“) zu begeben.

Wenn man verlernt, solche Bücher zu lesen, ist es um die Literatur insgesamt geschehen. Auch deshalb hat die Stockholmer Jury eine gute Entscheidung getroffen.

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