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Der Kritisierte übt Kritik. Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei, hier im November.

© picture alliance/ Pool Presidential Press Service/ AP/ dpa

Nobelpreis-Verleihung 2019: Erdogan wirft Handke Rassismus vor

Der türkische Präsident kritisiert den Nobelpreisträger. Handke bagatellisiere Kriegsverbrechen. Erdogan selbst werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Schriftsteller Peter Handke als „rassistische Person“ bezeichnet und die Verleihung des Literaturnobelpreises an den Österreicher scharf kritisiert. „Dass am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, der Literaturnobelpreis einer rassistischen Person gegeben wird, die den Genozid in Bosnien-Herzegowina leugnet und Kriegsverbrecher verteidigt, hat keine andere Bedeutung, als Verstöße gegen Menschenrechte auszuzeichnen“, erklärte Erdogan am Dienstag.

Kritiker werfen Erdogan selbst Menschenrechtsverletzungen vor, etwa dass unter seiner Führung Oppositionelle durch politische Prozesse zum Schweigen gebracht werden. Peter Handke soll am späten Dienstagnachmittag in Stockholm den Preis für das Jahr 2019 überreicht bekommen.

UN: weitreichende und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in der Türkei

Kritiker werfen Erdogan selbst Menschenrechtsverletzungen vor, etwa dass unter seiner Führung Oppositionelle durch politische Prozesse zum Schweigen gebracht werden. Die UN veröffentlichte 2018 einen Bericht, der „weitreichende“ und „schwerwiegende“ Menschenrechtsverletzungen nach dem Putschversuch von 2016 feststellte.

„Schwerwiegende Rückschritte“ bei den Menschenrechten beklagte die EU in diesem Frühjahr in ihrem neuesten Bericht zur Türkei. Besonders seit dem Putschversuch rutscht das Land in autokratische Zustände ab, bei denen Einschränkungen der Freiheitsrechte mit dem notwendigen Kampf gegen angebliche Staatsfeinde begründet werden.

Zehntausende Menschen sind in dieser Zeit ins Gefängnis gekommen, weil sie Verbindungen zu den Putschisten gehabt haben sollen, Hunderttausende verloren ihre Arbeit. Einige hundert Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen wurden verboten – nach einer Zählung der türkischen Journalistengewerkschaft TGC sitzen derzeit 110 Journalisten hinter Gittern. Die Regierung von Präsident Erdogan verspricht Verbesserungen durch eine Justizreform. Bisher sind jedoch keine nachhaltigen Veränderungen erkennbar.

Am Samstag hatte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin via Twitter gefordert, die „irrationale und unerhörte“ Entscheidung, die Auszeichnung an Handke zu vergeben, zurückzunehmen. Er warf dem Nobelpreiskomitee zudem vor, damit zu neuen Kriegsverbrechen zu ermutigen.

Heftige Kritik an Handke als Nobelpreisträger

Die Wahl Handkes zum Preisträger hatte schon vor der Verleihung am Dienstag in Stockholm eine heftige Debatte ausgelöst. Grund dafür ist Handkes Haltung zum Jugoslawien-Konflikt: Der Literat hatte sich in dem Konflikt stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milosevic eine Rede.

Zur Verleihung ein Protest in Stockholm

Am Dienstagabend findet auf dem Stockholmer Platz Norrmalmstorg ein Protest gegen die Auszeichnung von Peter Handke statt. Eine der Initiatorinnen der Kundgebung, Teufika Sabanovic, erwartet mindestens 500 Teilnehmer, hofft aber auf knapp 1000. Sie und ihre Mitstreiter fordern, dass Handke den Nobelpreis am Ende doch nicht erhält.

„Ich denke, es ist wichtig, dass wir das hier unabhängig davon tun, ob wir Erfolg haben damit oder nicht. Wir müssen uns dem entgegenstellen“, sagte Sabanovic, die Bosnien im Dezember 1995 zunächst in Richtung Deutschland verlassen hatte und schließlich 1998 nach Schweden kam.

Sabanovic glaubt nicht daran, dass sich der österreichische Schriftsteller für seine Haltung doch noch entschuldigen wird. „Ich würde mir wünschen, er würde sich ändern, und ich glaube an das Gute im Menschen. Aber er kann seine Veröffentlichungen nicht rückgängig machen. Es ist eine unmögliche Situation“, sagte Sabanovic. Handke betreibe Geschichtsrevisionismus, obwohl der Völkermord von Srebrenica ein ausgiebig belegter Fakt sei, über den man sich international einig sei. „Handkes Literatur schreibt die Geschichte um, er stellt einen Genozid infrage, der bewiesen worden ist. Das kann man einfach nicht infrage stellen. Ende der Geschichte.“

Der Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 1990er Jahre war mit einer Serie von äußerst blutigen Kriegen zwischen Serbien und anderen Nachfolgestaaten einhergegangen. Allein in Bosnien gab es 100 000 Tote und zwei Millionen Vertriebene.

Auch wenn alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, belegen Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie die Rechtsprechung des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, dass die Kriege von Milosevic geplant und initiiert wurden und dass die meisten und schwersten Gräuel auf dessen Konto gingen. (dpa, TSP)

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