zum Hauptinhalt
Lyrischer Realist. Iwan Alexejewitsch Bunin (1870 - 1953).

© Heritage Images

Nobelpreisträger Iwan Bunin: In den Tiefen der vergessenen Provinz

Erzählungen aus dem vorrevolutionären Russland: Der Band "Frühling" erinnert an die Prosa von Iwan Bunin, der 1933 als Exilant den Literatur-Nobelpreis erhielt.

Vier Nobelpreisträger (und einen halben, den 1972 ausgebürgerten Joseph Brodsky) hat die russische Literatur zu verzeichnen, alle zu Sowjetzeiten. Alexander Solschenizyn und Boris Pasternak waren dem Regime verhasst. Letzteren konnte das Politbüro sogar zwingen, den Preis abzulehnen. Der einzig genehme, Michail Scholochow, hat sein mit dem Preis gewürdigtes Epos „Der stille Don“ auf fragwürdige Weise zustande gebracht. Um ihn gibt es eine große Plagiatsdiskussion. Der erste Preisträger indes, als Exilant 1933 ausgezeichnet, firmiert in den Stockholmer Annalen als „staatenlos“. Iwan Bunin (1870–1953) ist jedenfalls der unbekannteste.

Sein Ruhm strahlte zu Beginn des 20. Jahrhunderts hell. 1903 und noch einmal 1909 erhielt er den Puschkin-Preis der russischen Akademie, im gleichen Jahr wurde er als Ehrenmitglied aufgenommen. 1915, mitten im Krieg, erschien eine sechsbändige Werkausgabe seiner Gedichte und Prosa, die er seit 1913 vorbereitete. Es war dies sein unbeschwertestes Jahr. Ein Band von Erzählungen erschien. Bunin reiste viel, etliche Male besuchte er Konstantinopel, aber auch den Süden Russlands, die karge Steppe, die in mehreren seiner neuen Erzählungen den Hintergrund bildet. Über den Protagonisten einer Erzählung heißt es, seine Gedanken kehrten zurück „an den Anfang seines unbehausten Lebens, zu dieser, großen, toten Stadt, die ewig vom Staub verweht war“, und dann folgen in direkter Rede die Worte „Asien, Asien!“

Begehren, Liebe, Schuld

Bunin ist ein großartiger Schilderer von Landschaften und Wetter. Seine Stücke schwelgen in den Farben, die die von Sonne und Mond beschienene Landschaft und über ihr die Wolken annehmen: „Weiter vorne, jenseits der Landstraße, die in feinem jungem Grün leuchtete, neigte sich im grellen Abendlicht der dichte Roggen und glänzte gegen die Sonne, die hinter dem Haus unterging. Die rosigen Wolkenschwaden im Südwesten, zart und fast durchsichtig, verschwammen oberhalb des Horizonts mit dem hellen, matten Azur des Himmels... In diese Richtung blickte sie vor allem, verlockt von den Weiten der Steppe.“

„Sie“, das ist das Mädchen Paraschka, das „An der Landstraße“ aufwächst, wie die mit 47 Druckseiten längste Erzählung überschrieben ist, ein Meisterwerk der Beobachtung und mehr noch der Andeutung, des Nicht-Gesagten in einem Lebensschicksal, in dem das Nicht-Sagen-Können der unglücklich verketteten Personen eine Hauptrolle spielt.

Es geht um Begehren, um Liebe, auch um Schuld. Doch Bunin verkündet keine Moral. Er bleibt distanziert. Auf ihn trifft der Begriff des „lyrischen Realismus“ zu, wie ihn Felix Philipp Ingold in seinem Meisterwerk „Der große Bruch. Russland im Epochenjahr 1913“ verwendet, unter Berufung auf Maxim Gorki. Mit dem Dichter der Revolution verbrachte Bunin manchen Winter auf Capri; später distanzierte er sich von ihm.

Bunins Leser lebten gleich ihm im Exil

In „Dürres Gras“ geschieht wenig; es verlischt und stirbt der Knecht Awerki. Das ganze Elend der russischen Bauernschaft steckt in diesen 40 Seiten. Mit Romanen und Erzählungen über das russische Dorf war Bunin schnell zu Ruhm gekommen – bemerkenswert, barg doch das bäuerliche Russland, aller Modernisierung zum Trotz, das Kernproblem des späten Zarismus, der nicht zuletzt an der Bodenfrage zerbrach. In die Gleichförmigkeit des Landes bricht allenfalls die immer wieder erwähnte Eisenbahn ein. So heißt es in „Staub“: „Alles auf dieser Seite des Bahnhofs erinnerte ihn an Moskau. Auf der anderen Seite aber lag etwas vollkommen anderes, Vergessenes: tiefe Provinz, eine weiträumige, kornreiche, ergiebige, eintönige Gegend.“ Bunin ist der Dichter genau dieser anderen Seite.

1913 war das Jahr einer ästhetischen Revolution, für die die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ steht. Bunin indes schloss sich keinem der aufblühenden „Ismen“ an, er verurteilte vielmehr 1913 in einer Moskauer Zeitung die modernen Strömungen, die in rascher Folge zu erleben waren – verschrieb sich aber dann doch überraschend dem Futurismus.

Es verwundert kaum, dass Bunin sich auf der Gegenseite der Oktoberrevolution wiederfand und 1920 gerade noch über Odessa emigrieren konnte. Von da an lebte der Weitgereiste, der selbst im heimischen Russland im Hotel Wohnung nahm, eben als Staatenloser, als der ihm 1933 der Nobelpreis zuerkannt wurde. Seine Leser lebten gleich ihm im Exil und, erst im Zuge des „Tauwetters“ ab 1956 konnten seine Bücher in der Sowjetunion erscheinen.

Wahrlich nicht das eingängigste Thema

Seit gut einem Jahrzehnt nun arbeitet der Zürcher Dörlemann Verlag daran, Bunin dem deutschsprachigen Publikum nahezubringen. Mit seinen Schilderungen des dörflichen, unfassbar zurückgebliebenen Russland umkreist Bunin wahrlich nicht das eingängigste Thema. Die von Kennern der russischen Sprache hochgelobten Übersetzungen von Dorothea Trottenberg wimmeln notwendigerweise von längst vergangenen Begriffen wie „Darre“ oder „dengeln“.

Der Bucheinband ist mit dem Ausschnitt eines Gemäldes von Kasimir Malewitsch geschmückt, eine feine Ironie; denn nicht der Suprematist war hier gefragt, sondern der Noch-Impressionist des russischen Frühlings, wie die titelgebende Erzählung dieser Ausgabe. So wird nebenbei der Spannungsbogen des Jahres 1913 aufgezogen.

Iwan Bunin: Frühling. Erzählungen 1913. Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Herausgegeben von Thomas Grob. Dörlemann, Zürich 2016. 288 S., 25 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false