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Kultur: Noch Fragen?

Bernsteins „Candide“ an der Deutschen Oper.

Es ist schon eine haarsträubende Geschichte, die Voltaire da in seinem Roman „Candide“ erzählt: Der Held gerät in Kriege und Naturkatastrophen, wird verstoßen, beraubt, betrogen. Das kann man nur mit sehr festem Glauben an das Gute im Menschen aushalten – oder mit Sarkasmus. Für die Inhaltsangabe, die Vicco von Bülow zu Leonard Bernsteins Vertonung des „Candide“ geschrieben hat, wählt er natürlich letzteren Weg, macht mit altertümlichen Formulierungen das Entsetzliche erträglich, münzt Grausiges in Groteskes um.

Bei der Aufführung der satirischen Operette am Donnerstag in der Deutschen Oper wird Ben Becker zum Herold des großen Humoristen, raunt die Loriot-Worte ins Mikrofon – und trifft trotz seiner typischen Der-Tag-Geht-Johnny- Walker-Kommt-Attitüde doch den rechten Ton. Weil jederzeit Respekt vor der Formulierungskunst des 2011 verstorbenen Verfassers mitschwingt.

Überhaupt kommt dieser konzertante Musiktheaterabend – mit Voltaire gesprochen – der besten aller möglichen Aufführungen ziemlich nahe. Es liegt eine entspannte Heiterkeit in der Luft. Und es herrscht eine Aufmerksamkeit, eine Neugier auf Wort und Ton, wie sie vielleicht nur bei Aufführungen ohne Szene möglich ist. Nach einer etwas zu straff gezügelten Ouvertüre gelingt Donald Runnicles genau jene Mischung aus Lässigkeit und Präzision, die Live-Komik braucht. Das Orchester spielt in Bestform, in den Nebenrollen glänzen Solisten aus dem hauseigenen Ensemble, allen voran die beiden Charakterkehlen Simon Pauly (virtuos wortgewandt als Optimist Dr. Pangloss wie als Pessimist Martin) und Burkhard Ulrich (schön aasig in den Bösewichtrollen).

Stephen Chaundy, ein sehr britischer Candide mit knabenhaft schlankem Tenor, wird gerahmt von zwei Primadonnen, einer von gestern und einer von heute: In Würde gealtert ist Grace Bumbry, die „schwarze Venus“ der sechziger Jahre. Wie sie schreitet, wie sie selbst sitzend Bühnenpräsenz ausstrahlt, wie sie souverän das verbliebene stimmliche Material nutzt, das ist berührend, das wird vom Publikum gefeiert. Direkt neben ihr – und doch Lichtjahre entfernt – agiert Simone Kermes, die Derwisch-Diva, eine körperbetonte Singschauspielerin von der punkig-barocken Haarpracht bis zu den strassglitzernden Stöckelschuhen. Nie würde sie Koloraturen als bloßen Zierrat begreifen – wo die sich doch so perfekt zur Figuren-Charakterisierung nutzen lassen. Furios.

Wenn sich Candide zum unhappy End doch mit seiner Jugendliebe Kunigunde zusammentut, zwecks gemeinsamer Eigenheimbewirtschaftung, reizt Donald Runnicles den Schlusschor so richtig schön bombastisch aus. Und mitten in das polyphone Spektakel träufelt Ben Becker ganz leise Loriots letzte Worte: „Noch Fragen?“ Frederik Hanssen

Noch einmal am 18. März. Am 25. 3. rezitiert Ben Becker Brahms’ „Deutsches Requiem“ beim Auftritt des Konzertchors der Staatsoper in der Gethsemanekirche.

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