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Kultur: Nofretete darf bleiben

Nach einer Kunstaktion forderte Ägypten den weltberühmten Kopf zurück. Rechtlich gibt es dafür keinen Anhaltspunkt. Ein Ausflug in den Kulturgüterschutz

Die Kunstaktion für den ungarischen Pavillon der Biennale, bei der die Büste der Nofretete auf einen Körper gesetzt wurde (siehe Tagesspiegel vom 10.Juni) hat einen 80 Jahre lang schwelenden Streit wieder aufflammen lassen. Ägyptische Behörden haben erneut die Rückgabe der Büste gefordert.

Die rechtlichen Argumente stehen dabei eher im Hintergrund, da es als gesichert gelten darf, dass sich die Büste rechtmäßig in Berlin befindet. Diesen Standpunkt vertritt auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das die Büste beherbergende Ägyptische Museum gehört. Das Sandsteinbildnis der Nofretete wurde 1912 vom damaligen Direktor des Kaiserlichen Deutschen Instituts für Ägyptische Altertumskunde in Kairo, Ludwig Borchardt, 300 Kilometer südlich von Kairo in Tell el-Amarna ausgegraben. Der die Grabungen finanzierende Berliner Kaufmann James Simon erwarb die Fundstücke nach einer Fundteilung von den ägyptischen Stellen und brachte sie 1913 nach Berlin. Im Jahre 1920 schenkte er sie dem preußischen Staat. Ausgestellt wurde die Büste jedoch erst 1924, offenbar aus Furcht vor britischen Ansprüchen, die aus dem Versailler Vertrag hätten hergeleitet werden können, waren die Briten damals doch Kolonialherren am Nil. Erste Rückgabeforderungen der Ägypter wurden Ende der zwanziger Jahre laut, man fühlte sich dort durch die Grabungsteilung übervorteilt. Um im Ausland politisches Kapital zu gewinnen, sprachen sich einige Jahre später selbst Göring und Goebbels für eine Rückgabe der Büste an Ägypten aus. Hitler setzte diesem Unterfangen jedoch ein Ende und ordnete an, dass Nofretete bleiben sollte. Nach Kriegsende – Nofretete befand sich mittlerweile in amerikanischer Obhut im Wiesbadener „Collecting Point“, einer alliierten Sammelstelle für aufgefundene Kulturgüter – forderten die Ägypter die Herausgabe von den Amerikanern. Diese entschieden jedoch zugunsten der Deutschen: Die Büste sei nicht kriegsbedingt nach Deutschland gelangt.

Dennoch befinden sich die Ägypter mit ihren heutigen Forderungen in guter Gesellschaft. Die meisten Ursprungsländer von Altertümern stellen Rückforderungen an ehemalige Kolonialherren oder Nationen, die viele Sammler hervorbrachten. So sieht sich das Britische Museum in London immer wieder Rückgabeansprüchen von Griechenland bezüglich des Parthenon Frieses ausgesetzt. Der Fries des Tempels der Akropolis, nach ihrem Erwerber, Lord Elgin, auch als „Elgin Marbles“ bezeichnet, wurde Anfang dieses Jahres erneut von Griechenland zurückgefordert, diesmal mit Blick auf die Olympischen Spiele in Athen 2004. Noch kurioser sind die Forderungen betreffend den Schatz des Priamos, den Heinrich Schliemann in Troja ausgrub. Nicht nur Deutschland fordert ihn von Russland heraus, wohin er im Zuge des Zweiten Weltkrieges gelangte, sondern auch die Türkei und Griechenland stellen Ansprüche.

Vor dem Krieg, nach dem Krieg

Fast alle Antikensammlungen der Welt beherbergen Kulturgüter, an denen ihre Ursprungsländer ein beträchtliches Interesse haben. Die einen meinen, die Kulturgüter müssten an ihren angestammten Platz zurückkehren, da sie nur dort ihre künstlerische Bedeutung richtig entfalten können. Andere fordern religiöse Gegenstände zurück, um sie den Ureinwohnern wieder zur Verfügung stellen zu können. Häufig aber sehen die Ursprungsländer auch den touristischen Nutzen, der aus einer Rückgabe zu ziehen ist: Um die Altertümer betrachten zu können, muss der Interessierte dann nicht mehr nach London, Paris oder Berlin reisen, sondern nach Kairo, Athen, Rom oder Istanbul.

Es gibt verschiedene rechtliche Grundlagen für eine Herausgabe von Kulturgütern. Das Völkerrecht kennt vor allem Restitutionsansprüche auf Kulturgüter, die in Kriegszeiten widerrechtlich verbracht wurden. Anknüpfungspunkt ist hier der status quo ante, das heißt, es kommt auf den Aufenthaltsort des Kulturgutes vor dem Ausbruch des Krieges an, ganz gleich, ob sich das Kulturgut dort rechtmäßig oder unrechtmäßig befand. Es gibt aber auch Rückgabeansprüche auf Kulturgüter, die gestohlen, illegal außer Landes gebracht oder illegal ausgegraben wurden. Diese Ansprüche bestehen zum Teil aufgrund von internationalen Abkommen, einige gelten auch gewohnheitsrechtlich.

Noch nicht in internationales Recht erwachsen ist ein Anspruch einer ehemaligen Kolonie auf ihre Kulturgüter, die vom Kolonialherren auf dessen Territorium während der Kolonialzeit gebracht wurden. Das Kriegsrecht greift hier nicht, da Kolonialkriege nicht als Kriege im Sinne des Völkerrechts gelten. Das Kriegsrecht galt nur zwischen Staaten. Die eroberten Gebiete in Amerika, Asien und Afrika hatten nach Vorstellung des Abendlandes jedoch keine staatlichen Strukturen, so dass stets Land ohne Besitzer „friedlich“ okkupiert wurde, egal wie viele Schlachten gegen die indigenen Völker geschlagen wurden.

Wie im Falle der Nofretete wurden die meisten Kulturgüter, die durch westliche Forscher ausgegraben wurden, von den heimischen Behörden an diese verkauft oder die Ausfuhr genehmigt. Im Falle der Nofretete hat Ägypten sogar schon zugegeben, dass sie sich rechtmäßig aufgrund eines gültigen Vertrages in Berlin befindet. Auch die Elgin Marbles dürften sich legal in London befinden, hier gibt es einen Vertrag zwischen Lord Elgin und den damaligen ottomanischen Besatzern Griechenlands. Ein Ausfuhrverbot für Kulturgüter aus besetzten Gebieten galt damals noch nicht. In vielen anderen Fällen könnten Rückgabeansprüche, sollten sie denn existieren, auch verjährt sein.

An dem Bestehen dieser für viele Staaten misslichen Rechtslage können auch die vielen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen nichts ändern, da diese keinen bindenden, sondern nur empfehlenden Charakter haben. Die UNO spricht sich schon seit langem für eine Repatriierung von Kulturgütern an ihre Ursprungsländer aus. Solange sich die Besitzerstaaten dem jedoch widersetzen, wird sich auch neues Gewohnheitsrecht nicht entwickeln. Kein Museum will hier einen Präzedenzfall schaffen, da eine Flutwelle von Rückforderungen erwartet wird, sobald nur ein einziges Stück restituiert wird.

Der Autor ist als Rechtsanwalt in Berlin Spezialist für Kulturgüterschutz.

Christoff Jenschke

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