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Kultur: Nofretetes Vortänzer

Wie Sasha Waltz mit Tänzern und Musikern das Neue Museum erkundet. Ein Probenbesuch

Schon wieder hat sich eine Schlange auf der Museumsinsel gebildet. Wenn auch im Vergleich zu den Tagen der offenen Tür ziemlich kurz, etwa 50 Meter, einmal über die Brücke. Dieses Mal nicht für Architekt David Chipperfield, sondern für die Choreographin Sasha Waltz und ihr Projekt „Dialoge 09“ im Neuen Museum. Noch am Morgen hatte sie das Kartenkontingent von bereits 6000 verkauften Tickets um weitere 1000 aufgestockt. Auch diese waren innerhalb von anderthalb Stunden vergriffen. Nun hängt ein eilig handgeschriebenes Plakat am Kartenschalter: Freitag öffentliche Probe.

Es ist nicht gesagt, dass die Zuschauer jene Version sehen, die am kommenden Mittwoch Premiere feiern wird. Das hat nicht nur mit der noch nicht gänzlich gelösten Frage zu tun, wie und wo das Publikum ins Gebäude hineingelassen wird – oder überhaupt mit den Herausforderungen dieser ungewohnten Bühne, die sich über vier Stockwerke erstreckt. Bei Sasha Waltz ist bis zur letzten Minute der Probenarbeiten alles im Wandel.

Das Neue Museum ist eine Muschel. Außen umgibt sie eine unattraktive Schale aus Bauzäunen. Im Inneren jedoch liegt die Perle, eine stolze und dennoch zerbrechliche Architektur. Siebzig Tänzer, Musiker, Sänger werden sich diese Räume zu eigen machen, jeder auf seine Art. Ein gewaltiges Donnern dröhnt durch das Haus. Der Schlagzeuger Michael Weilacher testet seine Pauken. Dann wieder Stille. Einen Raum weiter gehen plötzlich Alarmsirenen los. Sechs Frauen tanzen dazu, klagend greifen sie sich mit ihren Händen an die Brust, strecken die Arme aus, umkreisen die Säulenreihen. Im Ägyptischen Hof mit teilweise erhaltenen, bunten Fresken, misst ein Quartett mit raumgreifenden Schritten die Diagonale aus, im Hintergrund kreischt eine Bohrmaschine. Die gehört tatsächlich zur Baustelle. Immer wieder kreuzen sich Tänzer in Trainingshosen und Bauarbeiter in Blaumännern. Durch die Sichtachse zweier Türen beobachtet ein Ensemblemitglied einen pas de deux, prüft die Fernwirkung. Schon jetzt lässt sich erahnen, wie die Raumfluchten gerahmte Solo- und Gruppenszenen hervorbringen werden, die sich die Zuschauer beim Hindurchlaufen selbst erschließen müssen. Noch deuten die Tänzer ihre Schritte nur an, denn sie wollen sich an dem harten Steinboden nicht vorzeitig abarbeiten. Manchmal ist der Dialog mit der Architektur eben auch eine Konfrontation mit der Architektur.

Tanz beschäftigt sich immer mit Raum, mit Körpern in einer dreidimensionalen Ordnung. Sasha Waltz, Tochter eines Architekten, geht einen Schritt weiter: Es reizt sie, wenn sich ein konkretes Bauwerk und der Tanz tatsächlich antworten. So bespielte sie das noch leer stehende Jüdische Museum ein Jahr vor der offiziellen Eröffnung. Als sie 2000 mit ihrer Kompanie an die Schaubühne wechselte, bezog sie die Apsis der Bühne in ihrer Choreographie zu „Körper“ mit ein. Zur Einweihung des Radialsystems machte sie das ehemalige Pumpwerk komplett zur Bühne, sie ließ ihre Tänzer im Palast der Republik und vor dem Pergamonaltar auftreten. „Sasha Waltz and Guests“ werden immer dann zu Hausbesetzern, wenn sich mit einem Ort ein Umbruch verknüpft. Sie füllen ein Vakuum in der Zeit des Überganges. Wie im Neuen Museum. Noch sind die kostbaren Ausstellungsstücke nicht eingeräumt. Unter der Kuppel, unter der Nofretete einmal stehen wird, tanzt eine junge Frau.

Über die große Freitreppe geht es vom Erdgeschoss eine Ebene höher. Auf dem Absatz singt sich eine Männergruppe vom Vocalconsort Berlin ein. Einige Abzweigungen später stößt man auf die Streicher des Solistenensembles Kaleidoskop. Im obersten Stockwerk sind die Decken niedriger. In einem Zimmer: Leere, altmodische Ausstellungskästen aus schwarzem Metall stehen in Zweierreihen hintereinander. Dazwischen haben sich drei Männer positioniert. Das Metronom schlägt im Takt, sie beginnen zu tanzen, wie auf Spielfeldbegrenzungen drehen sie sich um die eigene Achse, kosten den Platz aus. Draußen vor dem Fenster drehen sich die Baukräne.

Eigentlich hatte Sasha Waltz angekündigt, in nächster Zeit kleinere Projekte in Angriff zu nehmen. Aber die Räume des Architekten David Chipperfield, in denen Historie und Moderne aufeinandertreffen, haben sie dann doch so sehr fasziniert, dass sie im vergangenen Herbst einen Tänzer-Workshop veranstaltete. Anders allerdings als in „Radiale Systeme“ vor drei Jahren wandern die Ensemblemitglieder nicht durch das ganze Haus, sondern sind hier im Neuen Museum zwei bestimmten Stationen zugeordnet. Ein Tänzer schwingt sein Bein auf die Marmorbalustrade, wippt und dehnt sich. Auch so kann man sich der Architektur nähern.

Vernissage am 18. März, 19 Uhr, Neues Museum. Karten nur noch für die Preview am 17. März. www.radialsystem.de, Ticket-Hotline: 030 - 288 788 588

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