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Kultur: Normal? Super!

Parkt mein Herz an der Biegung der Straße: „Die Drei von der Tankstelle“ als Berliner Musical

Deutschland im Jahr 1930: fast vier Millionen Arbeitslose, die Parteien wissen nicht weiter, die Republik versinkt in Depression. Trost kommt von der Leinwand. „Um 7 und 9 Uhr rasen Chefs und Angestellte ins Kino, um für zwei Stunden ihren Kummer zu vergessen“, schreibt das „Berliner Tageblatt“ über die Musikkomödie „Die Drei von der Tankstelle“. „Der Film wird als eine Art Radiergummi für Sorgenfalten benutzt.“ Der Kassenschlager macht Heinz Rühmann zum Star. Deutschland 2005: fast fünf Millionen Arbeitslose, die Parteien streiten, die Stimmung ist im Keller. Für ein Comeback der „Drei von der Tankstelle“ könnten die Zeiten nicht besser sein.

Im Steglitzer Schlossparktheater, wo die Depressionskomödie am Donnerstag ihre Erstaufführung auf einer Berliner Bühne erlebte, flackern am Anfang körnige Schwarzweißbilder über die Leinwand. Die drei Helden knattern im Oldtimer-Cabriolet und mit zeitgemäßen Ballonmützen durch spätexpressionistische Kulissen, dann steigen sie aus dem Film in die Theaterwirklichkeit hinab. Natürlich singen sie ihren größten Hit: „Ein Freund, ein guter Freund / Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt! / Ein Freund bleibt immer Freund / Und wenn die ganze Welt zusammenfällt!“ Die Wohlstandstwens kehren von einer Weltreise zurück, anschließend – man schreibt das Jahr des Börsenkrachs – fällt die Welt tatsächlich zusammen. Willy, Kurt und Hans erfahren, dass sie „nicht nur pleite, sondern pleitissimo“ sind, fliegen aus der gepfändeten Villa und eröffnen die titelgebende Tankstelle „Zum Kuckuck“.

Ein bisschen ist es wie mit dem Wahlergebnis: Statt sich in eine Radikalreform der siebzig Jahre alten Filmvorlage zu stürzen, hält die Inszenierung tapfer-trotzig am Bewährten fest. Man hätte die Tankstellengründer problemlos zwangsaktualisieren und in Globalisierungsverlierer oder Ich-AG-Dienstleister verwandeln können. Der Kopf-Hoch-Evergreen „Einmal schafft’s jeder / Jeder kommt an, der was kann“ könnte in jedem neoliberalen Parteiprogramm stehen. Klugerweise belässt Regisseur Andreas Gergen das Stück im Zeitkolorit, auch wenn die ein oder andere Tsunami- und Neuwahlen-Pointe nicht fehlen darf. Das hinreißende Bühnenbild von Stephan Prattes setzt auf ironischen Retrocharme. Der kasperletheaterartige Aufbau lässt sich, da getreppt, auch hervorragend betanzen. Bemalte Sperrholzplatten stellen die Autos dar und werden von den Schauspielern wie Schilde gehalten oder wie Bauchläden getragen.

Im direkten Vergleich mit der Tonfilmoperette und ihren Stars kann das Stück nur verlieren, das ist das Risiko der Inszenierung. Doch Hauptdarsteller Dieter Landuris, in Statur und Rollenprofil ohnehin kein Willy Fritsch, wendet seine Figur ins Lausbübisch-Verschlagene, gesangliche Defizite mit Aplomb überspielend. Axel Herrig darf als Kurt hemmungslos wienern, sein Vorbild Oskar Karlweiß ist ohnehin vergessen. Nur Monty Arnold versucht sich penetrant an einer Rühmann-Kopie. Seine gepressten „Iss ja doll!“-Ausrufe werden zum Störgeräusch des Abends.

Schon bald fährt an der Kuckuck-Tankstelle eine sehr blonde Millionärstochter vor. Katharine Mehrling gibt die Lilian- Harvey-Rolle mit Mut zur Zickigkeit und überragender Gesangsstimme. Sie verliebt sich in alle drei Tankwarte, auf Dauer parkt sie ihr Herz aber bei Willy. Trumpf der Inszenierung sind natürlich die hartnäckigen Ohrwürmer von Werner Richard Heymann. Im zweiten Teil verliert der Abend an Tempo, und die Revue verwandelt sich zum Heymann-Potpourri, bei dem auch Hits aus anderen Filmen wie „Irgendwo auf der Welt“ (aus „Ein blonder Traum“) oder das Knef- Chanson „Heut’ gefall’ ich mir“ (aus „Alraune“) verwurstet werden. Im umjubelten Schlussbild singen alle Darsteller „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“. Das Lied stammt aus dem Ufa-Musical „Der Kongress tanzt“ und ist auch gar nicht wahr: In unserer Recycling-Kultur kehrt alles einmal zurück.

Bis 31. Dezember, Di, Do-Sa 20, Mi 18.30, So 16 Uhr.

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