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Aufgetaucht. Claus Bergens Bild „Im Kampfgebiet des Atlantik“ (vor 1941, 180 mal 320 Zentimeter) glorifiziert den Krieg zu Wasser. Hitler selbst kaufte es an.

©  Stiftung DHM Berlin

NS-Kunst im Museum: Position und Pose

„Artige Kunst“: Das Bochumer Museum unter Tage zeigt gleichberechtigt Werke von Parteimalern und verfolgten Künstlern. Ein Experiment.

Jubelnd reißen die Mädchen ihre Arme hoch, mit Gesang und Ziehharmonika kehren sie heim von der Feldarbeit. Gleich daneben zieht ein Landmann im Abendlicht Ackerfurchen mit seinem Pflug, drei gewaltige Rösser sind davor- gespannt, die durch die Untersicht noch monumentaler erscheinen. Nur einen Blick weiter könnte dem Ausstellungsbesucher richtig warm ums Herz werden: eine sechsköpfige Familie daheim sitzend am Tisch, die Mutter mit bäuerlichem Kopftuch und dem jüngsten Kind auf dem Schoß, der Vater trägt Holzpantinen und hält einen Knirps, der zu laufen beginnt, gerade noch fest.

Wüsste man es nicht besser, die drei Szenen wären im 19. Jahrhundert zu verorten, doch sie stellen das Nazi-Ideal von Arbeit, Scholle und Familie dar. Und noch ein Dreiklang vereint die großformatigen Gemälde: Kitsch, Verlogenheit, Banalität. Was also hat solch schlechte Malerei im Museum verloren?

Die Bochumer Stiftung „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ traut sich was. Sie stellt Nazi-Kunst zur Debatte, die in anderen Museen weggesperrt bleibt: Ankäufe willfähriger Direktoren, die nach 1945 schnell im Depot verschwanden, oder Wandschmuck aus NS-Behörden, der von den Alliierten zunächst in Sicherheitsverwahrung genommen wurde und seit den 90ern beim Deutschen Historischen Museum in Berlin gelagert wird.

Seitdem ist das Thema wieder auf dem Tapet: Wie umgehen mit diesem Erbe? Kurz nach dem Ende des „Dritten Reiches“ war das noch klar. Die Museen knüpften dort wieder an, wo die Entwicklung 1933 abgebrochen war – bei den Avantgarden, der verfemten Moderne, nicht zuletzt um ihre freiheitliche Gesinnung zu demonstrieren. Parallel dazu und eher unbemerkt erfreuten sich die nun von der staatsgesteuerten Ideologie befreite biedere Kunst und das heroische Menschenbild der einstigen Partei-Maler weiterhin großen Zuspruchs bei privaten Sammlern.

Ein Aufschrei ging allerdings durchs Land, als sich in den achtziger Jahren der Aachener Schokoladenfabrikant Peter Ludwig mit seiner Frau von Arno Breker porträtieren ließ und die Büsten in seinem Kölner Museum aufgestellt werden sollten. Klaus Staeck startete damals die Kampagne „Keine Nazi-Kunst in unsere Museen“. Der legendäre Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl unterzeichnete den Aufruf zwar nicht wie erhofft, schrieb aber 1988 kurz vor seinem Tod den klugen Aufsatz „Pose und Indoktrination“, mit dem er die Falschheit, das Dressierte der NS-Kunst am Beispiel Breker entlarvte. Und er sprach sich gegen eine öffentliche Präsentation der „Unkunst“ aus.

Imdahls Erben sehen das heute anders. Das 2015 eröffnete Bochumer Museum unter Tage, in dem die Stiftung die Sammlung der Ruhr-Universität betreut, zeigt nun „Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“, so der Ausstellungstitel. Vor wenigen Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen, aber das Selbstverständnis der Museen hat sich verändert. Sie sehen sich nicht mehr nur als Stätte des Guten, Wahren, Schönen, sondern als Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Wo, wenn nicht hier, ließe sich die seit dem Mauerfall laufende Debatte um Beutekunst und Restitution, um die Rolle der Museen im „Dritten Reich“ führen? Ansätze dafür gab es in der jüngsten Zeit in der Münchner Pinakothek der Moderne und der Berliner Ausstellung „Die schwarzen Jahre“ zur Sammlung der Nationalgalerie zwischen 1933 und 1945.

Es tut sich was, auch wenn das Thema von vielen Kunsthistorikern immer noch mit spitzen Fingern angefasst wird und die meisten Museen es meiden. Die Bochumer Ausstellung erhielt zwar Leihgaben aus Berlin, Dresden, Düsseldorf und Stuttgart, aber als Partner für eine Übernahme der Schau fanden sich nur zwei Häuser in der Peripherie, die Kunsthalle Rostock und das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg. Bochum wird damit zur kunsthistorischen Probebühne, wie weit man sieben Jahrzehnte nach 1945 selbst unter den Vorzeichen kritischer Analyse gehen darf.

Den Besucher trifft es dennoch wie ein Schlag: so groß, so schlecht gemalt ist diese Kunst. Die Akte wirken glatt, die Sportler tumb, das aus dem Meer auftauchende U-Boot bloß martialisch. Die als Gegengewicht gezeigten Werke verfolgter Maler, deren Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ aus den Museen entfernt wurde, sind in ihrer Komplexität, Wachheit und Empathie für den gezeigten Gegenstand den anderen Werken haushoch überlegen. Dix, Grosz, Beckmann, Jawlensky, Nussbaum – fast schmerzt es, dass sie hier erneut auf ihre einstigen Verdränger stoßen. Doch entspricht die Gleichzeitigkeit weit mehr der damaligen Realität als dem exklusiven, heute in den Museen gepflegten Kanon der Moderne.

Durch die Gegenüberstellung soll das Publikum sehend begreifen, worin der Unterschied besteht, wie viel Dumpfheit in der damals genehmen Kunst steckt. Ganz allerdings trauen die Kuratoren ihren Besuchern nicht. Die aus dem Giftschrank geholten Werke haben das Etikett „artige Kunst“ erhalten. Verwechslungen sind durchaus denkbar, denn die falsche Idylle lockt noch immer viele, und die gezeigten Herrenmenschen gleichen den brutalen Helden heutiger Ballerspiele. Propagandamalerei hat in oppressiven Systemen wieder Konjunktur; Putin, Erdogan lassen sich von Staatskünstlern suggestiv in Untersicht malen.

Damit auch der Letzte in der Bochumer Ausstellung begreift, dass es hier nicht um die Nobilitierung von NS-Kunst geht, wohin die Ideen der Nazis führten und ihre Kriegstreiberei, die in Landserbildern und Stillleben in einer Soldatenunterkunft mit Helm, Blechnapf, Kartenspiel und Patronengürtel verherrlicht wird, sind Fotografien von Leichenbergen aus den befreiten Konzentrationslagern und von zerbombten Städten untergemischt. Den gemalten Kriegsjubel kontrastiert die Aufnahme eines weinenden Hitlerjungen in Soldatenuniform, der in die Hände der US-Army bei ihrem Einmarsch fiel.

Aufschlussreicher wäre es gewesen, mehr über die Machwerke der NS-Maler selbst zu erfahren, die „zugrundeliegenden Konzepte“, „die Strategien ihrer Realisation“, wie es Imdahl einst gefordert hatte. Das sollen Audioguide, Führungen und der Katalog leisten, genügt in einer solch streitbaren Ausstellung aber nicht. Der sich weithin selbst überlassene Besucher erlebt ein visuelles Gefecht zwischen Parteimalern und Verfemten.

Dass die Biografien, die künstlerische Entwicklungen nicht immer geradlinig verliefen, auch davon berichtet die Ausstellung. Neben Erwin Hahs’ „Großem Requiem“ von 1944/45, das Ruinen, Trauernde und einen Totengott mit erloschener Flamme zeigt, ist eine Röntgenaufnahme des Bildes gestellt. Es zeigt das unter der Oberfläche verborgene Porträt Adolf Hitlers, zu dem der von der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle an ein Gymnasium relegierte Maler den Auftrag erhielt. Hahs’ Führer, umgeben von zerstörten Straßenschluchten, kam bei den Machthabern allerdings nicht gut an. Der Künstler erhielt das Bild zurück und übermalte es.

Bochum ist ein Vorstoß, in seiner Konfrontativität allerdings problematisch. Eines zeigt die Ausstellung jedoch deutlich: Die Beschäftigung mit der künstlerischen Produktion im Nationalsozialismus sollte nicht allein historischen Museen überlassen bleiben, in denen die NS-Kunst nur der Darstellung des damals idealisierten Menschenbildes und der propagandistischen Methoden dient. Nachdem sich die Kunstmuseen zuletzt mit Hilfe der Provenienzforschung zunehmend der Herkunft ihrer Sammlungen gestellt haben, wird es Zeit, dass sie sich auch den unliebsamen, ideologisch unterminierten Artefakten widmen. Das Museum des 21. Jahrhunderts sollte mehr als ein Ort ästhetischer Beglückung sein.

Museum unter Tage, Bochum, bis 9. 4.; Katalog (Kerber Verlag) 39.95 €.

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