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Kultur: NS-Zwangsarbeiter: Freies Land mit freien Richtern. Was Rechtssicherheit bedeutet - und warum es sie nicht geben kann

Im Entschädigungsgesetz heißt es: "Die Bereitstellung der Stiftungsmittel setzt die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit voraus". Aber was ist Rechtssicherheit, wann ist sie ausreichend?

Im Entschädigungsgesetz heißt es: "Die Bereitstellung der Stiftungsmittel setzt die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit voraus". Aber was ist Rechtssicherheit, wann ist sie ausreichend? "Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand", heißt es. Die Rechtssicherheit ist ein juristisch-philosophischer Begriff und will das genaue Gegenteil davon: Gottes Hand wird durch Paragrafen und deren richterliche Interpretation ersetzt. Das heißt nicht nur, dass die Gerichte einen Einzelfall gerecht entscheiden, sondern dass ähnlich gelagerte Fälle auch ähnlich - und damit kalkulierbar - entschieden werden. Rechtssicherheit ist so etwas wie die irdische Schwester der Gerechtigkeit. Übertragen auf die Entschädigungklagen heißt das: Rechtssicherheit besteht nicht, wenn nie wieder ein Zwangsarbeiter oder ein Angehöriger Klage erheben kann, sondern wenn man damit rechnen darf, dass diese Klage abgewiesen wird. Nun sind Richter in demokratisch verfassten Staaten aber unabhängig und frei von Staatsdoktrinen. Diese Unabhängigkeit wiederum verhindert, dass es absolute Rechtssicherheit geben kann. Denn vielleicht entscheidet sich ein Richter einfach anders, oder es gefällt einem obersten Gericht, seine langjährige Rechtsprechung plötzlich zu ändern. Rechtssicherheit ist also immer nur "ausreichend". Anders als es der Wortlaut des Gesetzes nahe legt, kann sie auch nicht "hergestellt" werden. Sie ist ein Prozess und zugleich das Ziel einer Rechtsordnung. Man kann höchstens "feststellen", dass es sie gibt. Und genau das soll der Bundestag laut Gesetz auch tun.

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