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Freund hört mit. Im Kampf gegen die Überwachung engagieren sich in Deutschland vor allem die Autoren Juli Zeh (re. o.) und Ilija Trojanow. Fotos: dpa

© dpa

NSA-Affäre: Aufwachen! Ein Schriftstelleraufruf gegen die Massenüberwachung

Don De Lillo und Orhan Pamuk, Elfriede Jelinek und Günter Grass, J. M. Coetzee und Richard Ford und viele mehr: 562 Schriftsteller aus aller Welt sorgen sich um die Demokratie im digitalen Zeitalter. Ein Aufruf und die Reaktionen.

Die Frage liegt auf der Hand, und doch wirkt sie in diesem Zusammenhang unpassend. „Ist das die Repolitisierung der Schriftsteller?“, fragt der Moderator Jakob Augstein an diesem regnerisch-trüben Dienstagmorgen in der Bundespressekonferenz die neben ihm sitzenden sieben Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die den Aufruf „Writers Against Mass Surveillance“ initiiert haben. „Ja“, antwortet Juli Zeh knapp. Die in Kenia geborene und in London lebende Schriftstellerin Priya Basil ergänzt etwas erstaunt, dass gerade in Deutschland immer ein auch politisches Engagement von Schriftstellern gefordert werde, in England würde man das in dem Maß gar nicht kennen. Und die dänische Autorin Janne Teller erläutert, dass die Empfindlichkeit bei Autoren bezüglich digitaler Überwachung womöglich eine naturgemäße sei, wendeten sie sich mit ihrer Arbeit doch stets an die Öffentlichkeit.

Es ist eine sehr deutsche, sich an Vorbildern wie Grass, Böll und Lenz orientierende Frage – und die Antwort darauf findet sich in der weltweiten Resonanz auf diese neben Zeh, Basil und Teller von Ilija Trojanow, Eva Menasse, Isabel Cole und Josef Haslinger geplante und durchgeführte Aktion. 562 Schriftsteller aus über 80 Ländern haben den Aufruf gegen Massenüberwachung und für die Verteidigung der Demokratie im digitalen Zeitalter unterzeichnet, darunter die Nobelpreisträger Günter Grass, Elfriede Jelinek, J. M. Coetzee, Orhan Pamuk und Tomas Tranströmer, aber auch Don DeLillo, Liao Yiwu, David Grossman, Richard Ford. In 30 internationalen Zeitungen wurde der Aufruf gedruckt, im britischen „Guardian“, der spanischen „El Pais“ oder dem brasilianischen „O Globo“.

Der Appell, in dem unter anderem eine „verbindliche Internationale Konvention der digitalen Rechte“ gefordert wird, folgt auf den Offenen Brief, den Juli Zeh mit 32 weiteren Schriftstellern aus Deutschland nach der Snowden- und Prism-Affäre im Sommer an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben hatten - ohne eine Antwort darauf zu bekommen. Auch der anschließende sogenannte Marsch zum Kanzleramt, vor dem der Brief mit weit über 60 000 Unterzeichnern übergeben werden sollte, war ohne Wirkung geblieben. Merkel und die Bundesregierung schwiegen sich zu Snowden und NSA aus – bis sich herausstellte, dass ihr eigenes Mobiltelefon abgehört wird. Während des Wahlkampfs stritt man lieber um Mindestlöhne, PKW-Maut und Steinbrücks Tränen und Stinkefinger.

Die Schriftsteller sprechen von einem "Paradigmenwechsel" und davon, "Teil einer Bewegung" zu sein

„Da war Beton“ sagt Zeh in der Bundespressekonferenz, erklärt es mit Merkels Regierungsstil und mit dem Bonmot, dass die Bundeskanzlerin vermutlich erst „nach einem digitalen Fukushima zu Deutschlands oberster Datenschützerin“ werden würde. Man könnte natürlich auch auf den Gedanken kommen, dass die Bundesregierung und die deutsche Politik in Sachen Datenschutz und NSA nur das Phlegma und die Egalhaltung ihres Wahlvolks spiegeln. Dass es also schön demokratisch und nicht „antidemokratisch“ zugeht, wie Zeh die Ignoranz der Politik charakterisiert. Eva Menasse hat noch eine andere Begründung für die bislang nicht so große Überwachungsempfindlichkeit vieler Deutscher. Merkels Haltung und Politik des Abwartens habe sich wie „Mehltau“ über das Land gelegt; über ein Land, in dem 1983 massiv gegen eine Volkszählung demonstriert worden war.

Die Begriffe, mit denen Zeh, Trojanow und Co. ihren Aufruf flankieren, nicht groß genug sein. Von einem „Paradigmenwechsel“, einem „Epochenwechsel“ ist die Rede, davon, dass man jetzt als „Teil einer Bewegung“ einen „Diskurswechsel“ vollziehen und „handeln“ müsse, dass es hier nicht nur um „eine Feinjustierung zwischen Freiheit und Sicherheit“ gehe. Die Bewegung, die sich nun zumindest bei den Schriftstellern gebildet hat, ist ansonsten mehr eine gefühlte, parallel zum wachsenden Unbehagen vieler Menschen.

Doch auch auf anderer Seite regt sich was, dort, wo es um das digitale Geschäft geht. Einen Tag vor dem Aufruf der Schriftsteller haben US-Technologiekonzerne wie Apple, Google oder Facebook Barack Obama in einem Brief aufgefordert, die staatliche Überwachung der Bürger wieder herunterzufahren und entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen.

Auf die Koinzidenz beider Appelle angesprochen, reagiert Ilija Trojanow zurückhaltend. Natürlich begrüße er das, die jeweiligen Interessen seien aber sicher etwas andere. Das ist offensichtlich: Die einen sammeln Daten, um damit Geschäfte zu machen, die anderen, um den Bürger zu überwachen. Bislang hat sich das als beiderseits gewinnbringende Beziehung erwiesen. Dazwischen steht der Google-und Facebook-Nutzer und soll laut Schriftsteller-Aufruf das Recht bekommen, „mitzuentscheiden, in welchem Ausmaß seine persönlichen Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden und von wem“. Und das Recht zu erfahren, wo und zu welchem Zweck seine Daten gesammelt werden.

Die sogenannte Netzgemeinde reagiert zunächst mit Ironie

Ob sich Angela Merkel nun bewegen wird, „die Bundesregierung reagieren muss“, wie Juli Zeh glaubt? Reagiert auf den Aufruf hat bisher lediglich die Piratenpartei in einer Mitteilung, in der sie ihre Unterstützung zusichert: „Der Aufruf zeigt, dass Überwachung kein Problem ist, welches nur eine Zielgruppe beschäftigt, sondern vielmehr, dass dieses Problem weltweit und altersunabhängig kritisch beobachtet wird. Es gilt, die Weltöffentlichkeit für ihre eigene Freiheit zu sensibilisieren.“

Die sogenannte Netzgemeinde reagiert zunächst mit Ironie: „Ah, morgen rollt die literarische Kavallerie, wird sind gerettet“, twittert einer, „Stand der Debatte 1957 oder was?“ fragt ein anderer.  Erst Sascha Lobo leitet die Diskussion in andere Bahnen und schreibt von „kleingeistiger Häme“: „Das Allerwichtigste ist ja natürlich Abgrenzung – nicht gegen die Überwachung, sondern gegen Leute, die nicht auf die vorgeschriebene Art gegen Überwachung sind.“

Aber auch in der analogen Welt gelten gerade Juli Zeh und Ilija Trojanow oft als die üblichen Verdächtigen. Gemeinsam schrieben sie zum Beispiel 2009 ein Manifest in Buchform, „Angriff auf die Freiheit“, in dem sie den Sicherheitswahn in Zeiten des Kampf gegen den Terror untersuchten. Repolitisiert werden mussten beide nicht. Wenn es ihnen gelingt, Kehlmann, Glavinic und andere aufzurütteln, sollte es nicht heißen: „Ach, die schon wieder“. Sondern: Weiter so!

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